Die Dame, die an der Rose schnuppert; der Bauer mit der Hellebarde – das französische Jasskartenset mit seinen Figuren ist ein fester Bestandteil des Schweizer Kulturguts. Zur Geschichte hinter den Figuren weiss Cristian Consuegra (28) vom Departement Geschichte der Universität Basel Bescheid. Mit Darstellungen von biblischen Gestalten und historischen Persönlichkeiten wie Alexander dem Grossen als den Kreuz-König hielt man auf den Karten vor allem eines fest: ein Abbild der Welt mit all ihren Bauern und Königen. Die Figuren und Zeichen auf den Spielkarten seien ständig angepasst und verbessert worden, um den lokalen Gegebenheiten besser zu entsprechen, sagt Consuegra.
Herz-Herr als Hipster?
Zeit für ein Update fand die siebenjährige Tochter einer Zeichnungslehrerin namens Anja aus Bern. Als wäre es das offensichtlichste der Welt, deckte ihr Kind die Makel des uralten Spiels auf. Wo sind die Königinnen? Und wieso ist das Kartonstück mit dem Mann mehr Wert als das mit der Frau? Fragen, die sich ein siebenjähriges Mädchen nicht stellen sollte, findet Anja und schnappte sich ihr iPad und designte los.
Ab 2021 steckte sie zwei Monate Arbeit in die Weiterentwicklung der Figuren. Welche war für sie die schwierigste? «Der Herz-Herr», sagt Anja. Rund 20 Versionen gibt es von ihm. Von Hipster-«Bürzi» bis Schnauz trug er alles, bis er perfekt zu seiner Herzkönigin passte. Zu den Damen gesellen sich so die Herren und zu den Königen die Königinnen. Die Illustrationen haben alle ihre ursprünglichen Züge beibehalten, bloss eine Geschlechtsumwandlung bekommen. Dieses neue Kartenset druckte sie sich für den privaten Gebrauch aus.
Eigenleben im Klassenzimmer
Das Kartenset «Jass* für alle» freut ihre Kinder. Beim Spielen sticht die Königin ganz selbstverständlich den Herren aus. «Je älter die Spielenden, desto schwieriger war die Umstellung. Auch für mich», sagt Anja.
Als Zeichnungslehrerin zeigte Anja die Karten mal ihren Lernenden in einer Pause. Die Reaktionen freuten sie. «Im Klassenzimmer entwickeln die Karten ein Eigenleben.» Was sie als Königin-Ecke gesehen hat, sahen die Jugendlichen als Jungen-Mann-Ecke. Das stört sie überhaupt nicht, im Gegenteil: «Ich habe die Karten zwar gestaltet, doch lasse ich sie gerne zur freien Interpretation so stehen.»
Crowdfunding und Schmuggelaktionen
Die Freude an ihrem Spiel will Anja nun mit anderen teilen. Wie der «Kleinreport» berichtete, eröffnete sie ein wemakeit-Projekt, um «Jass* für alle» in grosser Auflage herstellen zu können. Das ursprüngliche Ziel von 4900 Franken erreichte sie innert kürzester Zeit, die geplanten 600 Stücke werden zeitnah gedruckt. Bis zum Zusatzziel von 7750 Franken und somit einer höheren Auflage braucht es aber auch nicht mehr viel.
Dann gibt es vielleicht auch die eine oder andere Schmuggelaktionen in vorhandene Kartensets in Restaurants. Die Kommentare unter dem Projekt und die hohe Spendenbereitschaft sprechen für sich: Den Leuten gefällt das neue Abbild der Welt.
Übrigens: Es ist nicht das erste Mal, dass Frauen in der Schweiz Jasskarten umgestalten. Deutsche Jasskartensets mit ausschliesslich Frauenfiguren existieren bereits in verschiedenen Ausführungen.