Joel Grolimund (31), Mister Hitparade bei Radio SRF
Vermisst: Sommerhit 2023. In diesem Jahr hat sich bis jetzt noch kein klassischer Sommerhit herauskristallisiert. Wo sind Songs wie «Danza Kuduro», «Waka Waka» oder «Despacito»? Die Schweizer Mundartband Hecht hat mit «Amigo» einen eingängigen, easy Popsong ins Rennen geschickt. Bei den grossen Schweizer Festivals ist die Gruppe sicher ganz weit oben als Sommerband 2023. Der Song schaffts aber wohl auch nicht zum grossen Sommerhit.
Da bei uns bis jetzt kein Titel überzeugen konnte, lohnt sich ein Blick ins Ausland. In Italien steht zum Beispiel der Song «Italodisco» von The Kolors aktuell auf dem Hitparade-Podest. Dieser Track hat vieles, was ein Sommerhit braucht. Eingängige, sommerliche Melodie mit lüpfigem 80er-Beat. Der Song ist bei uns zwar noch nicht angekommen, ich werfe aber «Italodisco» einfach mal als möglichen Sommerhit ins Rennen. Und wenn nicht: Mit «Flowers» von Popstar Miley Cyrus hatten wir in diesem Jahr zumindest bereits einen Frühlingshit.
Mira Weingart (26), Musikjournalistin und Moderatorin bei SRF Virus
Wenn wir uns fragen, was «der eine Sommerhit 2023» ist, passiert es schnell, dass wir uns an internationalen Superstars orientieren: Harry Styles, Taylor Swift, The Weeknd. Dabei verpassen wir Hits von Schweizer Künstlerinnen und Künstlern. Da wären zum Beispiel L Loko & Drini. Mit «Will nomeh» prägen sie nicht nur die Jugend in Zürich, sondern haben an den diesjährigen Swiss Music Awards den «Best Hit»-Award abgeräumt.
Oder EAZ, der mit «Juicy» auf Tiktok viral ging und etwas geschafft hat, was Mundartmusik seit 1969 nicht mehr gelungen ist: Er hat einen Platz in den Deutschen Charts ergattert. Und dann wäre da Pronto, der schon lange weit über die Schweizer Grenzen gehört wird. Er schreibt Tracks, die sich immer wieder aufs Neue wie Sommer anfühlen. Unbedingt reinhören in «Danger». Wir können also unsere Lokalheldinnen und -helden mehr feiern und unterstützen. Es ist gut möglich, dass Sie Ihren persönlichen Sommerhit direkt vor der Haustür finden.
Roger De Win (49), Tele Top, «Schlager-Talk»
Dieses Jahr wirds schwierig. Den Titel selbst würde ich aus Schlagersicht am ehesten Vincent Gross gönnen: Der Schweizer Sänger giesst dem Publikum 2023 mit «Ouzo» kräftig ein. Nicht innovativ, weder textlich noch musikalisch, aber im Zeitgeist der 80er-Nostalgie.
Leider wird das Ganze aber wohl wieder von den Bierfässern aus der Ballermann-Ecke weggeschwemmt. Denn gerade dort bemühen sich jedes Jahr so einige um den Titel «Sommerhit». 2022 klappt das vorzüglich mit «Layla». Das gleiche Team schickt nun «Bumsbar» ins Rennen. Der wirds nicht. Zu abgedroschen wirkt der Versuch, mit Kirchenmotiven im Video einen neuen Skandal herbeizugröhlen.
Bessere Chancen geb ich Julian Sommer & Mia Julia: Deren Lied «Peter Pan» punktet mit Eingängigkeit, melodiösen Metaphern (auf Mallorca-Schlager-Niveau) und hohem Spassfaktor. Grundsätzlich glaube ich aber eher an einen Remake-Popsong dieses Jahr: Entweder «Baby Don’t Hurt Me» von David Guetta feat. Anne-Marie & Coi Leray oder vielleicht sogar doch noch «Monsoon» von Leony?
Lukie Wyniger (46), Gastgeber im Waldhaus beider Basel, DJ und Reggae-Spezialist
«Einfach und gut» oder auf Jamaikanisch: «Simplycity a dweet»! Das geflügelte Wort aus Jamaika passt zu meinem Sommerhit 2023 vom jamaikanischen Sänger D’Yani voll und ganz. «Live a Little» heisst der Song, der bereits im Frühling erschienen ist und seither stetig wächst: in Sachen Klickzahlen, in Sachen Youtube-Views und in Sachen Ohrwurm-Faktor.
Es sind auf den ersten Blick einfache Lyrics: «All I wanna do is – live a little, breath a little and gwaan enjoy life» (Deutsch: «Alles, was ich möchte, ist – ein bisschen leben, ein bisschen atmen und ein bisschen geniessen»). Und es ist eine einfache Produktion – der jamaikanische Produzent XTM zimmerte für den Sommerhit ein Roots-Reggae-Gewand mit wummerndem Bass und schönen Details.
Auf den zweiten Blick erkenne ich die Kraft dieser «Simplycity» – wenn D’Yani aus Jamaika zu mir singt, versuche ich mich für den Tag wieder ab den einfachen Dingen zu freuen. Damit komme ich bis jetzt durch den Sommer. Der Song versprüht auf unaufgeregte Weise Lebenskraft, Optimismus und positive Energie.
Dani Steigmeier (58), Musikchef bei Sunshine Radio
Bis vor einer Woche wurde ich immer wieder gefragt, welches der Sommerhit 2023 ist – und ich wusste keine Antwort. Jetzt hat mir ein Kollege einen Hit aus Italien mitgebracht: «Italodisco»! Der Song von der Band The Kolors hat für mich das Zeug zum Hit. Er klingt nach den 1980er-Jahren und der synthetischen Popmusik, die damals aus Italien zu uns gekommen ist. Das spricht bei uns auch ein etwas älteres Publikum an, das sich noch an diese Zeit erinnern kann. Egal, wo man sich an den Strand oder auch hier bei uns an den See legt, wenn man die Kopfhörer einstöpselt und sich den Song anhört, kommen Erinnerungen an warme Sommerabende in Italien in einem hoch.
Wir nehmen «Italodisco» ab Samstag ins Programm und puschen ihn, er wird drei- bis viermal pro Tag laufen. Ob es wirklich ein Hit wird, das wissen wir erst Ende Sommer. Aber die Chancen stehen nicht schlecht, quasi alle Sommerhits stammen von unbekannten Bands, die damit ein One-Hit-Wonder landen. Der Song wird zum Ohrwurm, die Band selber geht meist wieder vergessen.
Michi Huser (27), Musikchef und Moderator Radio Pilatus
«Baby Don't Hurt Me» von David Guetta feat. Anne-Marie & Coi Leray. Der Trend der letzten Jahre ist klar: «Aus Altem wird Neues.» DJ David Guetta hat diesen Trend erkannt und produziert aus «What Is Love» von Eurodance-Legende Haddaway die Neuauflage «Baby Don’t Hurt Me». Neben dem bekannten Refrain, gesungen von Anne-Marie, gibt es noch einen Rap-Part von Coi Leray, was dem Song einen modernen Touch verleiht. Für die Hörerinnen und Hörer wirkt der Song ab der ersten Sekunde vertraut, und trotzdem ist es etwas Neues. Es ist ein Song, der zu jeder Sommerparty im Jahr 2023 gehört.