Mordfantasien eines Strippenziehers
«Finsterling? Ich empfinde mich als Lichtgestalt»

Als Martin Meyer prägte er jahrzehntelang die «NZZ» mit. Als Fabio Lanz schreibt er Kriminalromane. Sein neuster Wurf «Ikarus» spielt in der Psychiatrie. Ein Gespräch über verklemmte Zürcher, linksgrüne Protestanten und subjektive Journalisten.
Publiziert: 20.10.2024 um 10:43 Uhr
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«Zwingli wäre für Tempo 30 gewesen»: Martin Meyer alias Fabio Lanz.
Foto: Thomas Meier

Auf einen Blick

  • Martin Meyer über seinen Wechsel ins Krimi-Genre
  • Seine Ermittlerin Sarah Conti ist eine kultivierte Zürcherin mit Tessiner Wurzeln
  • Er hat drei Kriminalromane unter dem Pseudonym Fabio Lanz geschrieben
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Herr Meyer, in Ihrem letzten Buch «Das Fallbeil» ist eine Kulturjournalistin im Kunsthaus auf der Guillotine geköpft worden. In Ihrem neusten Werk «Ikarus» wird ein Psychiater auf dem Wehrmännerdenkmal auf der Forch vom Blitz verbrannt. Bei Ihnen tun sich ja Abgründe auf.
Als Krimiautor ist man der Regisseur einer kleinen Welt. Diese enormen Freiheiten machen ungeheuer Spass.

Die Freiheit, die Faszination des Horrors auszuleben?
Kriminalromane müssen eine Signatur haben, damit man sie von anderen Produktionen unterscheiden kann. Es wimmelt ja von Krimis. Wichtig war mir ein spektakulärer Mord, den man sich merken kann. Ein Toter im Lesesaal, in der Bibliothek? Na ja … Ich weiss nicht. Ebenso wichtig ist aber die Figur des Ermittlers, wie Georges Simenons Kommissar Maigret oder Agatha Christies Hercule Poirot.

In Ihren Büchern übernimmt Sarah Conti. Die Kommissarin ist eine intelligente, kultivierte, lebhafte Zürcherin mit Tessiner Wurzeln und blondem Haar. Als Leser erfährt man auch von ihrem Privatleben, von ihrer On-off-Beziehung zu ihrem Partner Fred. Wie kamen Sie auf die Figur?
Zunächst habe ich mir überlegt: Mann oder Frau? Oder vielleicht sogar eine fluide Mischform?

Eine non-binäre Ermittlungsperson. Die Aufmerksamkeit wäre Ihnen gewiss.
Heute ist alles möglich. Aber dann habe ich mich für eine jüngere, hoffentlich attraktive Frau entschieden, interessant und eigenständig, aber auch neugierig. Sie ist Hobbypianistin.

Als Inspiration spielte auch Ihre Frau Megan eine Rolle, wie Sie kürzlich verrieten.
Stimmt. Und zu Sarah Contis Liebesleben: Ich kann nicht die ermittelnde Hausfrau anstellen. Ich hoffe also schon, dass es gelingt, dass Spannung aufkommt.

Es muss ja nicht gleich wie bei manchen «Tatort»-Kommissaren sein, die im Gefühlsausbruch die Zimmertür aus den Angeln reissen.
Das fand ich immer lächerlich. Das hat nichts mit detektivischer Arbeit zu tun. Sarah Conti ist kein Schimanski.

«Zwingli hatte die Gefühle der Zürcher nach innen gelenkt», schreiben Sie. Ist Ihre Heimatstadt verklemmt?
Ich liebe Zürich. Ich bin hier aufgewachsen und ging hier zur Schule. Ich machte hier meine Karriere. Aber natürlich ist nicht immer alles positiv. Wenn man einen Krimi schreibt, dann muss man ja noch Böses, Abgründiges zeigen. Und das hat Zürich natürlich schon auch.

Dann ist Fabio Lanz zur Stelle.
Bei meinen bisherigen Krimis sind es ja immer auch Verbrechen aus Leidenschaft. Das bewundere ich bei Georges Simenon, der ein grandioser Beobachter der menschlichen Leidenschaften war. Die man sogar auch in Zürich findet.

Aber die Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten doch sowieso gelockert?
Es ist sicher nicht mehr so wie in den Fünfzigerjahren. Selbstverständlich auch dank des Zuzugs von Menschen aus dem Ausland, aus Asien, Amerika, Osteuropa. Dennoch – jede Stadt hat eine gewisse DNA, die sich nicht in ein paar Jahrzehnten verändern lässt. Das geht länger. Zürich ist dank Huldrych Zwingli immer noch ein Herzgebiet des Protestantismus, ganz im Sinn von Max Webers Theorie der protestantischen Ethik …

Die Zürcherinnen und Zürcher als arbeitsames Völklein.
Diese DNA gibt es immer noch. Wir sind ja, wenn wir ehrlich sind, keine wahnsinnig fröhliche Stadt. Ausser vielleicht, wenn die Linke wieder ein Quartierfest feiert und dafür die Strasse blockiert.

Wenn Zürich das Fröhliche zu Tode reguliert, wie zum Beispiel das Züri-Fäscht, dann sehen Sie den Geist Zwinglis am Werk?
Genau. Oder denken Sie an das Autofahren – das macht manchmal durchaus Spass, wird jedoch verunglimpft. Anders gesagt: Eigentlich nimmt der linksgrüne Moralismus, dieser Drang, den Leuten zu sagen, wie sie sich benehmen sollen, mit jeder Amtsperiode unserer Politikerinnen und Politiker zu. Auch Tempo 30 ist so gesehen etwas zutiefst Zwinglianisches.

Wäre Huldrych Zwingli für Tempo 30 gewesen?
Sicher. Ausser bei der Schlacht von Kappel. Dort hätte ihm Tempo 30 nicht gereicht.

Ihre Krimis spielen in einem engen Radius des bürgerlichen Zürich, zwischen Bellevue, Paradeplatz, Zürichberg und Goldküste. Wollen Sie einen Gegenpol zu einer globalisierten Entwicklung markieren, der Zürich und die Schweiz ausgesetzt sind?
Nein. Es ist einfach wichtig, dass ein Krimiautor aus seinem Lebensbereich schreibt. Ich kann keinen Krimi schreiben, der in Tokio spielt. Das wäre absurd. Ich muss die Gegend, die Leute und die Verhaltensweisen kennen, um das Ganze zu einer Geschichte zu verdichten. Es gibt einen sogenannten Tatort. Und ein Tatort ist nun mal etwas Lokales. Das spielt jetzt halt tatsächlich in diesen Gegenden oder Quartieren, die ich besonders gut kenne.

Persönlich: Martin Meyer

1951 in Zürich geboren, stiess der promovierte Literaturwissenschaftler Martin Meyer 1974 zur «Neuen Zürcher Zeitung», wo er von 1992 bis 2015 die Leitung des Feuilletons innehatte. In diversen Funktionen prägte er fortan die «NZZ» mit, unter anderem als Vorsitzender des publizistischen Beirats. 2014 kritisierten Teile der Redaktion sowie linke Medien seine Rolle bei der Ernennung des Chefredaktors; schliesslich wurde statt des Blocher-Biografen Markus Somm Deutschlandkenner Eric Gujer Nachfolger des geschassten Markus Spillmann. Zu Meyers diversen gesellschaftlichen Engagements gehört das Präsidium des Schweizerischen Instituts für Auslandforschung (SIAF) der Universität Zürich. Er verfasste zahlreiche Sachbücher und hat unter dem Pseudonym Fabio Lanz bisher drei Kriminalromane geschrieben. «Ikarus» (Verlag Kein & Aber) ist seit diesem Herbst im Handel. Meyer ist mit der Schweiz-Amerikanerin Megan Meyer verheiratet, Vater eines erwachsenen Sohnes und lebt in Zürich.

Thomas Meier

1951 in Zürich geboren, stiess der promovierte Literaturwissenschaftler Martin Meyer 1974 zur «Neuen Zürcher Zeitung», wo er von 1992 bis 2015 die Leitung des Feuilletons innehatte. In diversen Funktionen prägte er fortan die «NZZ» mit, unter anderem als Vorsitzender des publizistischen Beirats. 2014 kritisierten Teile der Redaktion sowie linke Medien seine Rolle bei der Ernennung des Chefredaktors; schliesslich wurde statt des Blocher-Biografen Markus Somm Deutschlandkenner Eric Gujer Nachfolger des geschassten Markus Spillmann. Zu Meyers diversen gesellschaftlichen Engagements gehört das Präsidium des Schweizerischen Instituts für Auslandforschung (SIAF) der Universität Zürich. Er verfasste zahlreiche Sachbücher und hat unter dem Pseudonym Fabio Lanz bisher drei Kriminalromane geschrieben. «Ikarus» (Verlag Kein & Aber) ist seit diesem Herbst im Handel. Meyer ist mit der Schweiz-Amerikanerin Megan Meyer verheiratet, Vater eines erwachsenen Sohnes und lebt in Zürich.

Schauplatz Ihrer neusten Geschichte ist die Psychiatrie. Haben Sie da biografische Bezüge oder fasziniert Sie das einfach?
Damit habe ich bisher keine persönlichen Erfahrungen gemacht … Ich musste einen Themenwechsel machen. Im ersten Roman geht es um das Anwaltsmilieu und merkwürdige Geheimgesellschaften. Im zweiten geht es um Kunst und das Kunsthaus. Im dritten geht es nun um Psychiatrie. Was den Vorteil hat, dass man da auch sehr viel Menschenbeobachtung einbringen kann.

Was auch das Metier des Journalisten ist. Sie waren ein halbes Jahrhundert lang Journalist. Und haben nun von einem Beruf, in dem man der Wahrheit verpflichtet ist, zur Kunst des Erfindens gewechselt.
Wobei auch ein Journalist immer subjektiv ist. Er hat seine Affekte, die er im Zaun halten muss. Aber es gibt natürlich auch einen Wahrheitsbegriff. Die Sachen müssen stimmen, über die der Journalist schreibt.

Was ist besonders am Krimi-Schreiben?
Dialoge sind etwas ganz Schwieriges. Schauen Sie mal, wie im Schweizer Film Dialoge stattfinden. Da sieht man eine Frau in der Küche, die eine Scheibe Brot schneidet. Und ihrem Mann gleichzeitig sagt: «Ich schneide ein Stück Brot ab.» So etwas darf nicht passieren.

Gibt es weitere Fallstricke für Krimi-Verfasser?
Es gibt eigentlich nur Fallstricke. Manche Autoren wollen ganz genau und anschaulich erzählen. In den meisten Fällen wird das eine Katastrophe. Also, bitte sparsam sein mit Adjektiven! Dann natürlich die Handlung als solche. Die Geschichte muss einen gewissen Sinn ergeben. Dafür braucht es Erfahrung. Georges Simenon hat pro Woche einen Krimi geschrieben – unter allen Umständen. Selbst wenn er mit der Familie in den Ferien weilte. Dann lag er in der Badewanne und legte sich ein Brett über die Wanne. Auf diesem war seine Schreibmaschine, in die er reingehauen hat. Das muss auch akustisch interessant gewesen sein.

Sie sagen, dass Journalisten immer auch subjektiv sind. Sie waren selber schon Zielscheibe der Medien. Als es 2014 um die personelle Neubesetzung der «NZZ»-Chefredaktion ging, wurden Sie von gewissen Kollegen zum rechten Finsterling emporstilisiert, zum Lord Voldemort der Falkenstrasse.
Ich habe mich nie als Finsterling empfunden, sondern als Lichtgestalt (lacht). Aber man darf auch seine eigene Rolle nicht überschätzen. Das war damals in einer relativ kurzen Zeit eine schwierige Situation, die neu geordnet werden musste. Und die auch zur allgemeinen Zufriedenheit gelöst wurde. Dass irgendwelche Kollegen das Zwielichtige transponieren, interessierte mich nicht besonders. Aber man sieht natürlich, wie zwei, drei Worte schon etwas ausmachen können. Das bleibt unter gewissen Umständen eher in Erinnerung als das Positive.

Ist der Mensch auf Bad News fokussiert?
Der Mensch sucht das Drama. Das hat sicher mit der menschlichen Neugier zu tun, vielleicht auch mit einer gewissen Schadenfreude. Wir sind nicht einfach gute Menschen. Friedrich Nietzsche schrieb: «Der Mensch ist das nicht festgestellte Tier.» Es gibt Zivilisationsprozesse, die das Ganze zähmen sollen. Das funktioniert mal besser, mal schlechter, wie sich angesichts der Weltlage zeigt.

Da sind Krimiautoren gnädiger als Journalisten: Bei Ihnen ist das Schlechte nur erfunden.
Richtig. Und doch schreiben Schriftsteller wie Journalisten beide lieber über Verbrechen als über eine schöne Sommerwanderung (lacht).

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