Foto: François Wavre | lundi13

Longevity-Guru David Sinclair
«Ich bin eigentlich zehn Jahre jünger»

Wer über die medizinische Forschung gegen das Altern redet, kommt nicht am australischen Harvard-Biologen David Sinclair vorbei. Journalistin und Buchautorin Nina Ruge hat ihn zum Gespräch getroffen.
Publiziert: 15.12.2024 um 20:07 Uhr
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Aktualisiert: 15.12.2024 um 21:43 Uhr
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Wie können wir möglichst alt werden?
Foto: Getty Images

Auf einen Blick

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Nina Ruge

David Sinclair, Sie sind 55, das steht so in Ihrem Pass. Doch wie alt – oder jung – sind Sie wirklich? Wie alt oder jung sind Ihre Zellen?
David Sinclair:
Ich war gerade hier in Harvard, wo ich arbeite, auf einer Konferenz zur Messung des wahren Alters, des biologischen Alters. Wir haben heute mindestens 55 verschiedene Möglichkeiten, das Altern zu messen. Diese teste ich natürlich auch selbst – und die Ergebnisse variieren. Doch grob abgeleitet dürfte ich biologisch rund zehn Jahre jünger sein, also um die 45.

Wie machen Sie das?
Ich versuche, Vorbild zu sein. Ich versuche also, ein Leben zu führen, das zeigt, was möglich ist. Da liegt unendlich viel drin, und ich fange mit den einfachen Dingen an, die jede Person tun könnte – und das ist der Lebensstil. Der sollte immer mal wieder eher «ungemütlich» sein, auch in der Ernährung.

Was macht Ernährung ungemütlich?
Dazu gehört zum Beispiel das Fasten, das Zuckerweglassen, auch mit tierischem Eiweiss nicht zu übertreiben. Wenn wir Kalorien reduzieren, dann versetzen wir unseren Körper in den Überlebensmodus, dann schalten wir Langlebigkeits-Gene ein. Übergewicht beschleunigt definitiv den Alterungsprozess. Für mich ist diese Ernährungsweise eine Herausforderung, denn ich bin über 250 Tage im Jahr auf Reisen. Doch ich habe heute die Routine, nur zwei Mahlzeiten am Tag zu essen.

David A. Sinclair

Der australische Biologe und Professor für Genetik hat sich in seiner Karriere auf die Erforschung von Alterungsprozessen spezialisiert. Er promovierte an der Universität von New South Wales (Australien) in Biochemie und Molekulargenetik. Seit 2005 ist er Direktor zur Aufklärung der biologischen Mechanismen des Alterns und seit 1999 ordentlicher Professor im Fachbereich Genetik an der Harvard Medical School in Boston (USA). Der 55-Jährige gründete fünf Biotechnologie-Firmen zur Bekämpfung von Krankheiten, zur Fortpflanzungsmedizin und gegen Alterung. Die Forschung des Australiers wurde 2010 im Dokumentarfilm «To Age or Not to Age» thematisiert.

Der australische Biologe und Professor für Genetik hat sich in seiner Karriere auf die Erforschung von Alterungsprozessen spezialisiert. Er promovierte an der Universität von New South Wales (Australien) in Biochemie und Molekulargenetik. Seit 2005 ist er Direktor zur Aufklärung der biologischen Mechanismen des Alterns und seit 1999 ordentlicher Professor im Fachbereich Genetik an der Harvard Medical School in Boston (USA). Der 55-Jährige gründete fünf Biotechnologie-Firmen zur Bekämpfung von Krankheiten, zur Fortpflanzungsmedizin und gegen Alterung. Die Forschung des Australiers wurde 2010 im Dokumentarfilm «To Age or Not to Age» thematisiert.

Darf ich raten? Ihre zwei täglichen Mahlzeiten enthalten zu 80 Prozent Gemüse ...
Ich bezeichne mich als «struggling» Veganer, der auch mal entspannt ein Stück Huhn isst. Aber hauptsächlich Gemüse, und das möglichst eiweissreich – und möglichst frisch! Also baue ich in meiner Küche selber Gemüse an, in drei Kisten mit UV-Licht. Ich trinke keinen Alkohol. Schon ein oder zwei Gläser schrumpfen bekanntlich das Gehirn. Und ich habe nie geraucht.

Zu den «einfachen» Boostern für ein langes, gesundes Leben gehört natürlich die Bewegung. Sie reisen aber viel, andere Menschen sind den ganzen Tag im Büro. Was tun?
Wir müssen unsere Muskelmasse erhalten, vor allem ab dem mittleren Alter. Das ist sogar noch wichtiger, wenn man fastet oder Medikamente oder die Abnehmspritze zur Gewichtsreduktion nimmt. Wenn ich in Harvard bin, dann sitze ich nicht. Ich stehe am Stehpult, wie jetzt bei diesem Interview. So oft wie möglich renne ich so schnell, dass ich für fünf bis zehn Minuten richtig am Schnaufen bin. Gewichtheben und Yoga bringen auch sehr viel.

Sie bezeichnen chronischen Stress unter den Lebensstilfaktoren als «grössten Killer». Viele Menschen fühlen sich ständig gestresst. Sie auch?
Früher war das durchaus so, in meinen 30ern, 40ern. Ich hatte drei Kinder zu Hause, ungefähr zehn verschiedene Jobs, habe Unternehmen gegründet, leitete ein Labor in Harvard und reiste ohne Ende. Das war sehr, sehr schwierig. Ich bedaure, dass ich nicht mehr zu Hause und meinen Kindern kein besserer Vater war. Jetzt mache ich das wieder gut, so gut ich kann.

Wie gelingt es Ihnen, stressfreier zu leben?
Sehr wichtig für mich war, dass meine Partnerin Serena Poon nicht nur meine Ernährungsberaterin, sondern auch Wellness-Expertin ist. Sie hat gesehen, dass ich ausbrennen würde, und mich in die Meditation eingeführt, hat mir gezeigt, wie ich während des Tages innehalten und langsamer atmen kann. Ich lasse mich nicht mehr stressen. Das Leben ist kurz. Ich werde mein Bestes tun. Und ich gönne mir auch mehr Schlaf als früher, schlafe besser. Das liegt daran, dass ich mir nicht mehr die ganze Zeit Sorgen mache. Und siehe da: Das Stresshormon Cortisol in meinem Blut ist stark gesunken. Was meinen Alterungsprozess verlangsamen könnte.

Longevity

Longevity (zu Deutsch: Langlebigkeit) beschäftigt sich damit, wie es gelingt, die Lebensdauer zu verlängern. Es geht dabei aber nicht nur um ein möglichst langes Leben, sondern darum, wie man möglichst gesund alt werden kann. Im Englischen findet man «longevity» seit dem 17. Jahrhundert. Ab Beginn der 2000er-Jahre kam die Longevity Science auf: Der Begriff wird nun für interdisziplinäre Forschungen verwendet, die über die traditionelle Gerontologie hinausgehen. Bereiche wie Genetik, Epigenetik, Stammzellenforschung und die Entwicklung von Medikamenten wurden Teil der Longevity-Forschung. In den 2010er-Jahren adaptierten zunehmend auch Start-ups, Investoren und Technologieunternehmen den Begriff. Heute umfasst die Longevity-Forschung eine breite Palette von Disziplinen, darunter Molekularbiologie, Biotechnologie, Datenwissenschaft, Ernährung und auch Philosophie.

Longevity (zu Deutsch: Langlebigkeit) beschäftigt sich damit, wie es gelingt, die Lebensdauer zu verlängern. Es geht dabei aber nicht nur um ein möglichst langes Leben, sondern darum, wie man möglichst gesund alt werden kann. Im Englischen findet man «longevity» seit dem 17. Jahrhundert. Ab Beginn der 2000er-Jahre kam die Longevity Science auf: Der Begriff wird nun für interdisziplinäre Forschungen verwendet, die über die traditionelle Gerontologie hinausgehen. Bereiche wie Genetik, Epigenetik, Stammzellenforschung und die Entwicklung von Medikamenten wurden Teil der Longevity-Forschung. In den 2010er-Jahren adaptierten zunehmend auch Start-ups, Investoren und Technologieunternehmen den Begriff. Heute umfasst die Longevity-Forschung eine breite Palette von Disziplinen, darunter Molekularbiologie, Biotechnologie, Datenwissenschaft, Ernährung und auch Philosophie.

Epigenetische Uhren gibt es heute im Internet zu kaufen. Wie zuverlässig messen diese Selbsttests das Tempo des Alterungsprozesses?
Sie sind nützlich, um Fortschritte über längere Zeiträume von sechs Monaten bis zu einem Jahr zu sehen. Sie werden auch als Leitfaden für klinische Studien verwendet. Wir haben in meinem Labor einen Wangenabstrich-Test entwickelt, es gibt auch Bluttests. In den USA sind es oft andere als in Europa. Man kann die Ergebnisse untereinander nicht vergleichen. Deshalb sollte man bei einem Test bleiben und schauen, wie sich die Ergebnisse entwickeln. Ich mache solch einen Test schon seit 14 Jahren.

Einige Gesundheitsmarker lassen sich auch mit sogenannten Wearables messen, also mit smarten Uhren, Armbändern, Ringen. Wozu nutzen Sie diese?
Zu Hause nutze ich eine Waage, um nicht nur mein Gewicht, sondern auch mein Körperfett und besonders das belastende viszerale Fett zu überwachen. Ich behalte diese Daten auf meinem Handy im Auge, um sicherzustellen, dass ich meine Muskelmasse erhalte und mein viszerales Fett minimiere. Ich messe auch meine Pulswellengeschwindigkeit, achte darauf, sie niedrig zu halten, was die Durchblutung verbessert. Ich trage eine Uhr, um meine Herzfrequenzvariabilität, den Stressindikator, zu messen und mit weiteren Daten die Herzgesundheit zu verfolgen.

Messen Sie Ihre Schlafqualität?
Schlaf ist entscheidend. Also überwache ich ihn sowohl mit einer Uhr als auch mit einem Ring. Zehn Prozent Tiefschlaf pro Nacht ist mein Ziel, dazu natürlich ausreichend REM-Schlaf.

Welche Neuentwicklungen im Bereich der Wearables finden Sie vielversprechend?
Ich bin begeistert von Tracking-Pflastern, die wochenlang auf dem Körper bleiben und Körperdaten extrem genau messen können. Ein Freund von mir stellt sie bereits für Krankenhäuser her, um Patienten überwachen und damit früher nach Hause schicken zu können. Mit solchen Pflastern kann man sogar sich anbahnende Infektionen erkennen und sehen, ob es sich um Bakterien oder Viren handelt. Sie können neurologische Störungen detektieren, oder ob du depressiv wirst. Man kann also – besonders, wenn man älter ist – Erkrankungen erkennen, bevor sie ausbrechen!

Ermöglichen neue Technologien eine Revolution in der Langlebigkeitsmedizin?
Ich glaube fest daran, dass die Technologie es uns in ein paar Jahren ermöglichen wird, chronische Alterskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Demenz und Krebs zu verhindern. Der Schlüssel ist Prävention. Nicht warten, bis wir krank sind.

Sie waren als Berater an der Entwicklung eines neuen Wearable-Rings beteiligt. Was bietet er Neues?
Der Gesundheitsring misst wie andere Wearables biometrische Daten wie Schlafdauer, Herzfrequenz und deren Variabilität und leitet sie an eine App weiter. Geplant ist darüber hinaus, auch EKG-Messung möglich zu machen. Das Besondere ist jedoch, dass das Projektteam von Virtusan Biometrics zusätzlich praktisch umsetzbare Tools entwickelt hat, die dem Nutzer helfen, das Wohlbefinden zu verbessern.

Wie funktioniert das?
Ring und App teilen dem Nutzer nicht nur mit, wie viel und gut er schläft, sondern haben auch Anleitungen für Meditationen, um den Schlaf zu verbessern. Oder auch ein digitales Tool für Sonnenlicht, das hilft, die Chronobiologie und damit den Schlaf zu verbessern. Eines Tages könnte so ein Ring mit vielen Aspekten des täglichen Lebens verbunden werden. Die Gründerin Li Wu hat sich der Förderung der menschlichen Gesundheit verschrieben, und ihre Arbeit in diesem Bereich ist inspirierend.

Ein Beispiel?
Stellen Sie sich vor, Sie kommen in ein Hotelzimmer, und Luftqualität, Temperatur, Beleuchtung werden unmittelbar an Ihre Bedürfnisse angepasst. Mahlzeiten, Trainingstools werden Ihnen aufgrund Ihrer Echtzeit-Gesundheitsdaten empfohlen. Die Technologie wird zu einem persönlichen Gesundheitsberater oder «Schutzengel».

Sie arbeiten an einem zweiten Buch. Wo liegt der Fokus?
Die erste Fassung ist immerhin fertig, allerdings entwickelt sich das Longevity-Feld so schnell, dass ich permanent aktualisiere. Ich hoffe, dass es nächstes Jahr erscheint als «Lifespan, Teil 2». Mein erstes «Lifespan»-Buch war das Lehrbuch des Alterns. Das neue wird der Leitfaden sein – was ist der wissenschaftlich fundierte Weg, um länger zu leben? Immerhin: Meine Prognosen im ersten Buch sind eingetreten. Die Vorhersagen im zweiten Buch sind noch umfangreicher.

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