Was ist das Schönste an Ihrer Arbeit als Kinderärztin?
Bettina Balmer: Die Kinder! Auch wenn sie krank sind und die Umstände tragisch sind, behalten sie ihre Fröhlichkeit. Und was mir gefällt, ist, wie grundehrlich Kinder sind. Sie können einem direkt ins Gesicht sagen, was sie nicht mögen, aber wenn sie sagen, man sei eine tolle Ärztin, dann meinen sie es auch so.
Lachen Kinder tatsächlich so viel mehr?
Ja, laut Studien lachen Kinder etwa 400-mal am Tag, während es Erwachsene im Durchschnitt nur 15- bis 20-mal lachen. Das ist doch recht erstaunlich.
Ist das für Sie ansteckend?
Bestimmt. Ich bin von Natur aus ein fröhlicher und optimistischer Mensch, aber die Arbeit mit Kindern verstärkt das sicher.
Aber bei Schmerzen vergeht auch Kindern das Lachen?
Ja, natürlich. Wir haben den meisten Respekt vor den Kindern, die plötzlich ruhig werden. Solange sie noch schreien, weiss man, dass sie krank sind und dass es dringend notwendig ist, Schmerzmittel zu geben. Wenn sie jedoch nicht mehr viel hören lassen, dann wird es kritisch.
Sie sind Oberärztin auf der Notfallstation des neuen Kispi. Wie haben Sie sich nach dem Umzug eingelebt?
Sehr gut. Es war eine Meisterleistung, das Kinderspital unter laufendem Betrieb zu zügeln. Es hat mich beeindruckt, dass die Versorgung zu keinem Zeitpunkt grenzwertig oder gefährlich wurde. Alles hat super geklappt – dafür gebührt den Verantwortlichen grosses Lob.
Was hat sich für Sie persönlich verändert?
Mein Arbeitsweg ist deutlich länger geworden, was ich etwas schade finde. Positiv ist jedoch, dass die neuen Räumlichkeiten sehr hochwertig sind und der Aufenthalt darin sehr angenehm ist. Allerdings müssen wir innerhalb des grösseren Spitals auch deutlich längere Strecken zurücklegen.
Messen Sie das?
Ja, früher waren es je nach Tag 5000 bis 10'000 Schritte, jetzt sind es an Spitzentagen bis zu 15'000. Ich hoffe, das pendelt sich ein, wenn ich die Abkürzungen besser kenne. Besonders auf dem Notfall ist es enorm wichtig, schnell zu wissen, wo alles ist. Das haben wir auch eingeübt.
Nach dem Medizinstudium an der Universität Basel (1985–1991) machte Bettina Balmer ihren Facharzt in Kinderchirurgie und arbeitete dann bis 2010 als Oberärztin für Kinderchirurgie mit einem Schwerpunkt in Kinderneurochirurgie. Von 2010 bis 2019 arbeitete sie in einer kinderchirurgischen Praxis.
Seit 2020 ist sie in einem 50-Prozent-Pensum auf der Notfallstation des Universitäts-Kinderspitals Zürich tätig. Politisch engagiert sie sich seit 2008 in der FDP, war von 2015 bis 2023 Mitglied des Zürcher Kantonsrats und ist seit dem 4. Dezember 2023 Nationalrätin. Balmer ist Mutter von drei erwachsenen Kindern und mit dem Kinderkardiologen Christian Balmer verheiratet.
Nach dem Medizinstudium an der Universität Basel (1985–1991) machte Bettina Balmer ihren Facharzt in Kinderchirurgie und arbeitete dann bis 2010 als Oberärztin für Kinderchirurgie mit einem Schwerpunkt in Kinderneurochirurgie. Von 2010 bis 2019 arbeitete sie in einer kinderchirurgischen Praxis.
Seit 2020 ist sie in einem 50-Prozent-Pensum auf der Notfallstation des Universitäts-Kinderspitals Zürich tätig. Politisch engagiert sie sich seit 2008 in der FDP, war von 2015 bis 2023 Mitglied des Zürcher Kantonsrats und ist seit dem 4. Dezember 2023 Nationalrätin. Balmer ist Mutter von drei erwachsenen Kindern und mit dem Kinderkardiologen Christian Balmer verheiratet.
Wie muss man sich das vorstellen?
Ganz praktisch. Wenn wir gerufen werden, etwa zu einer Reanimation, müssen wir innerhalb von zwei bis drei Minuten am Einsatzort sein. Im Notfall zählt jede Sekunde. Dafür messen wir die Zeit und trainieren das gezielt.
Das neue Kispi wurde auch als zu teures «Luxusspital» kritisiert?
Ein neues und modernes Spital ist kein Luxus. Es brauchte dringend mehr Platz und das ist ja ein Ort, der über ganz viele Jahre bestehen und funktionieren soll. Gerade für Kinder, die krank oder sogar schwer krank sind, ist eine Umgebung, in der sie sich wohlfühlen, wichtig. Auch für die Eltern macht das einen Riesenunterschied.
Wie haben die reagiert?
Viele Eltern haben beinahe geweint, als sie gesehen haben, wie schön es hier ist. Insbesondere von jenen mit Kindern, die länger im Spital bleiben oder immer wieder kommen müssen, gibt es viele positive Rückmeldungen. Sie haben mehr Raum, auch um über Nacht zu bleiben, und Privatsphäre. Früher mussten wir wegen Platzmangel Notfälle auch auf dem Gang behandeln.
Gibt es zu wenig Kinderärzte?
Es gibt grundsätzlich zu wenig Ärzte in der Schweiz. Man hat ausgerechnet, dass bis 2040 5500 Ärzte und 40'000 Pflegende fehlen. Bei Kinderärzten hat sich die Lage noch zugespitzt. Es ist traditionell ein weiblicher Beruf. 80 Prozent von uns sind Frauen. Eigentlich würde man also denken, dass es bei den Kinderärzten genug Nachwuchs gibt, weil heute schon über 60 Prozent der Studierenden weiblich sind.
Aber?
Der Beruf eines Kinderarztes gehört nicht zu den bestbezahlten Berufen unter den Ärzten, und Frauen arbeiten oft Teilzeit, sodass es am Ende doch nicht genügend gibt.
Nehmen Frauen also weniger Lohn eher in Kauf?
Das kann durchaus ein Faktor sein. Lohn spielt aber sehr wohl eine Rolle und ist auch eine Form der Anerkennung. Als Kinderärztin braucht man breite Schultern und ein grosses Herz. Man muss nicht nur mit Kindern, sondern auch mit deren Eltern umgehen können, das braucht Sozialkompetenz, Dinge, die Frauen vielleicht eher liegen.
Haben Sie ein Beispiel?
Wenn ein Kind nach einem harmlosen Sturz auf den Kopf auf den Notfall gebracht wird und keine verdächtigen Symptome zeigt, wie etwa eine anhaltende Bewusstlosigkeit, gibt es auch Eltern, die dennoch unbedingt eine Computertomografie verlangen. Da muss man in der Lage sein, klar zu sagen, dass das nicht notwendig ist. Es braucht Rückgrat, in solchen Situationen Nein zu sagen.
Was ist schwieriger, der Umgang mit Eltern oder mit den Kindern?
Eindeutig mit den Eltern. Sie wollen mehr mitreden. Gerade auf einer Kindernotfallstation ist es verständlich und auch richtig, dass die Eltern gut informiert sind und in Entscheide miteinbezogen werden. Aber man muss jeweils die richtige Ebene für ein Gespräch finden, um verständlich zu machen, welche Behandlungsmöglichkeiten infrage kommen. Es gibt tolle Eltern, die auch in einer Stresssituation wirklich gut mit ihren Kindern umgehen. Und dann gibt es auch schwierige Fälle.
Wie gehen Sie damit um?
Wenn man sieht, was einem Kind guttun würde, und zusehen muss, wie die Eltern das Gegenteil von dem machen, was sinnvoll wäre: Dann versuche ich, den Eltern vorsichtig zu sagen, dass ein anderes Verhalten besser für ihr krankes oder verletztes Kind wäre. Manchmal kommt das dann aber aus irgendwelchen Gründen nicht an. Das sind dann Situationen, in denen man sich als Notfallärztin schon drei- oder viermal überlegt, wie man es besser angehen könnte. Manchmal kann man die Eltern und das Kind mit einem längeren Gespräch, einer beruhigenden Atmosphäre oder auch mit Ablenkung doch noch aus dieser schwierigen Situation herausbringen.
Was belastet Sie am meisten?
Wenn es Komplikationen gibt und es den Kindern nicht gut geht. Wenn man nicht mehr helfen kann. Auch wenn das die Eltern vielleicht nicht realisieren, das geht uns sehr nahe. Man hinterfragt sich dann mehr als einmal, was man besser hätte machen können. Das ist gerade für junge Ärztinnen und Ärzte schwierig. Aber auch wenn man schon lange als Ärztin arbeitet, ist das wirklich belastend.
Sie sind selber Mutter und Oberärztin, wie haben Sie sich organisiert?
Inzwischen sind die Kinder gross. Und zum Glück waren sie immer gesund, das ist nicht selbstverständlich. Mein Mann ist ebenfalls Arzt, er ist Kinderherzspezialist, und wir haben viel Geld in eine gute Kinderbetreuung investiert, mein Lohn war praktisch ein Nullsummenspiel. Meine Freizeit habe ich mit den Kindern verbracht, unser Sozialleben als Erwachsene war über sehr viele Jahre relativ inexistent. Nach 25 Jahren im Spital habe ich in eine kinderchirurgische Praxis gewechselt und erhielt dann später die Chance, in einem Teilzeitpensum auf der Kindernotfallstation zu arbeiten.
Warum haben Sie sich entschieden, sowohl Ärztin als auch Politikerin zu sein?
Weil ich mich für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und für ein gutes Gesundheitssystem in der Schweiz engagieren möchte. Als unsere Kinder Teenager wurden, merkte ich, dass es mehr Präsenz von mir daheim brauchte, und ich habe beruflich das Pensum reduziert. Das gab mir auch mehr Zeit für mein politisches Engagement. In meinem Berufsalltag erlebe ich, wie das Gesundheitswesen funktioniert. Das macht mich glaubwürdig,
Konnten Sie in der Politik schon etwas bewirken?
Ja, zum Beispiel beim RSV-Infekt. Das ist ein Virus, das gerade in den Wintermonaten sehr verbreitet ist und besonders kleinen Kindern zu schaffen macht. In schweren Fällen müssen sie hospitalisiert und künstlich beatmet werden. Es gibt dafür monoklonale Antikörper, die Zulassung ging aber nur langsam voran. Ich konnte beim BAG darauf hinweisen, wie wichtig es ist, den Impfstoff noch vor diesem Winter zuzulassen. Das BAG hat dann intensiv die Zulassung dieses Impfstoffes vorangetrieben, und dadurch haben wir ihn ein Jahr früher. Ich hoffe, dass wir so viele Kinder vor schweren RSV-Komplikationen bewahren können. Über so etwas freue ich mich sehr, und das motiviert mich enorm.