Das Postauto schwingt sich die Kurven von Visp VS nach Saas-Fee VS hoch, und am Strassenrand ziehen Anja, Alba, Viola, Miranda, Alcazar und Paloma vorbei.
Lauter Häusernamen – sie werden zur kleinen Obsession während des Aufenthalts im Ferienort.
Büru-Hüs, Silberdistel, Primavera, Slalom, Bergkristall. Die Vielfalt ist gross. Nach einigen Tagen im Saastal ergeben sich Kategorien:
- Die Lokalpatrioten: Bärgsunna, Hittuliecht, Grossus Moos, Arvu-Stuba.
- Die eingedeutschten Klassiker: Heimatglück, Alpenrot, Sonnenheim.
- Berge gehen immer: Bergfreude, Bergheimat, Bergdohle.
- Die Pragmatischen: Zentrum, Dorf-Metzg.
- Die Elitären: Elite, Golf, Royal, Eldorado, Hollywood. Letzteres sieht gänzlich unglamourös aus von aussen.
- Ambitioniert: Everest, Adonis.
- Die Spirituellen: Amethyst, Orion. Feechatz – wie die wohl aussieht? Aiglon, ein Pokémon.
- Postmigrantische und internationale Statements: Samurai, Arizona, Europa, Kandahar, Vladimir.
- Der Unheimliche: Hannibal.
- Der Hybride: Granit – nur ein Stein oder ein albanischer Name?
Und während das Postauto am letzten Ferientag am Chalet «Auf Wiedersehn» vorbei zurück Richtung Visp fährt, kommen viele Fragen hoch: Warum überhaupt geben Leute ihren Häusern Namen? Gibt es dafür Regeln, Verbote? Gab es Widerstand, als «Vladimir» nach Saas-Fee kam?
Mails an die Gemeindeverwaltung Saas-Fee und andere potenzielle Auskunftgeber. Denn online findet man wenige Informationen über Häusernamen in der Schweiz, zumindest solche, die über einzelne Bauten, Städte und Diskussionen um rassistische Bezeichnungen hinausgehen.
Pragmatisch sein
Ein Bericht der Strassenbenennungskommission der Stadt Zürich rekonstruiert, wie in der Limmatstadt im 14. Jahrhundert Häusernamen aufkamen. Unter anderem, um deren Bewohnende verorten und besser Steuern eintreiben zu können. Später, im 18. Jahrhundert, wurden Feuerversicherungen aktuell, so kamen erste Nummerierungen ins Spiel, die die Namen als offizielle Identifikation nach und nach ablösten.
Die Gemeindeverwaltung Saas-Fee antwortet. Kurz und unkompliziert, so wie offenbar die Namensgebung von Häusern im Ort gehandhabt wird. «Nein, es gibt keine Regeln.» Mit speziellen Namen hätte man nie Probleme gehabt. Auch dürften im Ort mehrere Häuser denselben Namen tragen. Dies könne logischerweise zu Unklarheiten führen. Umtaufen? «Absolut kein Problem.» Werde aber in den seltensten Fällen gemacht.
Kurz darauf ruft der Leiter des Saaser Museums an, Damian Bumann. Er erklärt, wie die Namensgebung von Häusern in Saas-Fee mit dem Tourismusboom in den 1970er– und 1980er-Jahren zusammenhängt. «Es gibt viele Namen, die mit A beginnen – Amici, Alouette etwa. So tauchten sie in der Chaletliste früher auf, da diese alphabetisch geordnet war.» Damals, vor der Internetsuche, konsultierten Gäste diese Liste, um eine Unterkunft zu finden. Je weiter oben auf der Liste das Chalet auftauchte, desto höher die Chance, dass es gebucht wurde.
Was sagt Bumann zu «Hollywood»? «Einige der Eigentümer sind Engländer.» Das möge den einen oder anderen Namen erklären. Bei «Almenrausch» lacht er. «Dort berauschen sie sich vielleicht an mehr als der Natur.»
Drei Prinzipien, nach denen Häuser benannt wurden
Nächster Anruf: Freilichtmuseum Ballenberg. Dort arbeitet Riccarda Theiler, Bereichsleiterin Architektur und Hausforschung.
Theiler erklärt erst mal Grundlegendes zu Häusernamen. Geht es um deren Erforschung, kommen drei Disziplinen zusammen: die Epigrafik, die Wissenschaft der Inschriften. Die Onomastik, also Namensforschung. Und die Toponomastik, die Ortsnamenforschung. Häusernamen können sowohl als Inschriften am Haus angebracht als auch rein mündlich verwendet werden, als eine Art geteiltes Wissen im Dorf oder in der Region.
«Häuser wurden vor allem nach Personen, der handwerklichen Tätigkeit, die im Haus verrichtet wurde, oder ihrer topografischen Lage benannt.» Theiler illustriert diese Art der Namensgebung anhand zweier Exponate, die heute im Freilichtmuseum Ballenberg stehen. Ein altes Haus aus dem Lötschental hiess zunächst Troghuis, weil es in Blatten neben einem Brunnen stand. Später wurde im Haus ein kleiner Ausschank betrieben, und es erhielt den Namen Wirtjoosisch Huis.
Ein Handwerkshaus von 1779 aus Herzogenbuchsee wurde erst nach seinem Erbauer Johann Jakob Baur benannt: Buurshus oder Baurshaus. Im 20. Jahrhundert erhielt es den Namen der damaligen und letzten Besitzerin: Stierlihaus.
Diese Exponate zeigen auch Tücken der Namensgebung für Häuser auf: Der Name konnte wechseln. Das wiederum verkomplizierte die Identifikation. Anders eine Hausnummer.
Warum die Tradition bleibt
Dennoch: Die Namenstradition setzt sich bis heute fort. «Das Chalet in den Bergen steht auch für ein Refugium. Dort möchte man Ruhe finden. Mit einem schönen Namen kann man das untermauern», so Riccarda Theiler.
Und ein Name wie «Hollywood» zeige, dass die Leute bei der Namenswahl freier geworden seien, personalisierter vorgehen. Gerade weil man Namen nicht mehr zur offiziellen Identifikation benötige.
Also eine kreative Angelegenheit. Das würde wohl ein bestimmter Th. Bridler unterstützen. 1940 beklagte er im «Thurgauer Jahrbuch», wie in Bischofszell im 18. Jahrhundert Häusernamen Hausnummern weichen mussten. «Mit Wehmut denken wir an jene Zeiten zurück, wo der Bürger noch mehr Sinn für Ideale bekundete und sein Herz nicht willenlos dem Materialismus und der Vergnügungssucht auslieferte.»
Zum Glück also sind die Häuser in Saas-Fee mehr als blosse Nummern und bewahren dem Ort ein Stück Illusion vorkapitalistischer Ruhe, ein Stück Herz. Und liefern definitiv Gesprächsstoff über das Bergpanorama hinaus.
Jetzt ist es an Ihnen. Wie heisst Ihr (Ferien-)Haus und warum gerade so? Schreiben Sie es uns unten in die Kommentare.
Wer die ganze Vielfalt der Häusernamen von Saas-Fee durchschauen möchte – die Gemeinde führt eine Liste, die im Internet abrufbar ist.