Ein gefährliches Leben für 007
Dieser Berner war der Stuntman von James Bond

Für James Bond sprang er die waghalsigsten Stunts: Stefan Zürcher (78) aus Wengen BE verrät, welcher Bond sein Favorit war und wie er es aus einem Berner Bergdorf nach Hollywood schaffte.
Publiziert: 07.10.2023 um 19:48 Uhr
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Aktualisiert: 08.10.2023 um 09:11 Uhr
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Lea ErnstRedaktorin Gesellschaft

«Sie fahren sehr gut Ski, Mister Bond», lobt Sophie Marceau (56) Pierce Brosnan (70) im Klassiker «Die Welt ist nicht genug» (1999). Sekunden später kommt der Angriff: Gleitschirmjäger verdunkeln den Himmel, links und rechts schlagen die Granaten ein. Ein gewagtes Skimanöver hier, ein Klippensprung da – und James Bond entkommt mal wieder haarscharf.

Bloss: Marceaus Lob hätte viel eher ein Mann aus dem Berner Oberland verdient. Stefan Zürcher (heute 78), aufgewachsen im Bergdorf Wengen BE. Auf einem Schlitten zog er Pierce Brosnan hinter sich über den grössten Gletscher Frankreichs. Für die Nahaufnahmen ahmte Brosnan kniend die Fahrbewegung nach. 

Stefan Zürcher zieht den Schlitten, der Film-Bond Pierce Brosnan ahmt für die Nahaufnahmen die Fahrtbewegungen nach.

Erzählt Stefan Zürcher von seinem Leben, überrascht es, dass er 78 Jahre alt geworden ist. Als waghalsiger Ski-Stuntfahrer doubelte er die verrücktesten Sprünge und Tricks für Bond und andere Filmgrössen. Er flitzte bei Verfolgungsjagden durch Gletscherspalten, sprang von einer Skischanze auf das Dach eines fahrenden Autos und liess sich rückwärts von donnernden Schneetöffs fallen. 

In neun der insgesamt 25 Bondfilme arbeitete Zürcher mit. In über 50 Jahren Filmkarriere arbeitete er sich zum Ski-Kameramann, Location-Experten und Produktionsmanager hoch. Ob «Des Teufels Advokat» (1977), «Heidi» (1978), «Frankenstein» (1994), «Band of Brothers» (2001) bis hin zu «Der Goldene Kompass» (2007) – Stefan Zürcher war dabei. 

«Wir sprangen über Geltscherspalten»
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Ex-Stuntman Stefan Zürcher:«Wir sprangen über Geltscherspalten»

Soeben ist ein Buch über sein Lebenswerk erschienen: «Im Geheimdienst von James Bond: Meine Erlebnisse mit Stars und Stunts aus über 50 Jahren Filmgeschäft». In kurzen Kapiteln mit zahlreichen Anekdoten hält Autor Roland Schäfli (55) Zürchers riskantes Leben für den Film fest. 

Er fürchtete um seine Unterhose

«Sie suchen verrückte Skifahrer», hatte Zürchers Vater aufgeregt am Telefon gesagt. «Irgendetwas mit James Bond.» Das war 1968, der damals 23-jährige Stefan Zürcher war nach einer Elektromechanikerlehre nach Amerika ausgewandert.

Sofort setzte er sich ins nächste Flugzeug zurück nach Hause. «Ich wusste: Das war die Chance meines Lebens», sagt er, der schon auf den Ski stand, bevor er richtig laufen konnte. Die Schule hatte er geschwänzt, um die Lauberhornpiste zu fahren. Die Rennstrecke, die er später als Erster mit einer Kamera fürs Schweizer Fernsehen hinunterraste. 

Nach einem Hirnschlag vor drei Jahren schaute sich Stefan Zürcher alle seine 45 Filme noch einmal an.
Foto: Zamir Loshi

Dass jener Oktobertag, als er sich am Schilthorn als Stunt-Skifahrer vorstellte, der Beginn einer langen Zusammenarbeit mit den 007-Produzenten werden würde, hätte sich Zürcher nie träumen lassen. «Es ist schon lustig, dass ich erst auswandern musste, um meinen Traumjob ausgerechnet in meiner Heimat zu finden.»

Auch für die Schweiz hatte der Bond-Dreh für den Film «Im Dienst Ihrer Majestät» (1969) weitreichende Konsequenzen: Die fiktive Bergspitze «Piz Gloria» auf dem Schilthorn war Handlungsort vieler Schlüsselszenen. Der Name wurde weltweit bekannt und ist bis heute geblieben. Im legendären Drehrestaurant auf der Bergspitze gibt es bis heute den 007-Burger sowie ein Bond-Museum.

Stefan Zürcher (Mitte) beim Checkpoint im Libanon. Im Kriegsgebiet geriet das Filmteam von «The Little Drummer Girl» (1984) ins Kreuzfeuer, als richtig geschossen wurde.

So einige Male fürchtete Zürcher «um seine Unterhose», wie er sagt. Zum Beispiel, als er im Drama «Am Rande des Abgrunds» (1982) mit 100 km/h 20 Meter weit über eine Gletscherspalte sprang. Die Gefahr traf ihn wie ein Schlag: «Wenn hier etwas schiefgeht, klebe ich an dieser Eiswand.» 

Das Double von James Bond beim Dreh vom Bond-Klassiker «Die Welt ist nicht genug» (1999).

Die sogenannte Bond-Familie war eine eingeschworene Truppe. Eine geschlossene Gesellschaft, in der jedes Mitglied eine besondere Funktion hatte. «Meine war die des Schneespezialisten», sagt Zürcher. Sobald Schnee und Eis im Drehbuch standen, wies die Produzentin Barbara Broccoli (63) ihr Team an: «Get the snowman!» 

Überleben im Schnee bei minus 20 Grad

Die Arbeit in den Bergen und das unberechenbare Wetter stellten höchste Ansprüche an die Crew: Bei sehr tiefen Temperaturen funktionieren die Kameras schlecht, die Menschen ermüden schneller. «Szenen im Schnee müssen beim ersten Versuch gelingen, ansonsten muss man viel Zeit aufwenden, die Spuren zu verwischen», weiss Zürcher. 

Zürcher mit Schlittenhunden in Grönland: Für die Aufnahmen von «Fräulein Smillas Gespür für Schnee» (1997) lebte die Crew wochenlang auf einem Schiff.

Doch auch der «Bergbub» gelangte in den Alpen an seine Grenzen. Zum Beispiel beim Dreh von «Der Spion, der mich liebte», dem zehnten Film aus der Bond-Reihe. Ein Helikopter flog die Crew auf die italienische Seite des Scerscen-Gletschers der Berninagruppe für eine mörderische Verfolgungsjagd auf Ski durch Eistunnel und Eislabyrinthe. 

Stefan Zürcher (zweiter von links) bei den Dreharbeiten zum zehnten Bond-Film: «Der Spion, der mich liebte» (1977).

Die Crew wurde von schlechtem Wetter überrascht. Der Helikopter konnte Zürcher und vier weitere Mitglieder nicht mehr vom 3500 Meter hohen Gletscher holen. Ihre einzige Wahl: sich in einem Iglu einzubuddeln, um die bitterkalte Nacht bei minus 20 Grad irgendwie zu überstehen.

Zürcher erinnert sich: «Wir gruben um unser Leben.» Mit einem Taschenmesser zersägte er drei Kamerastative aus Holz, um ein Feuer zu entfachen und in einer Filmbüchse Tee zu kochen. Die Truppe überlebte. Zürcher sagt: «Eine Rechnung für die Stative habe ich nie erhalten.» 

Der Bond, mit dem die Chemie am besten gestimmt hat, war Pierce Brosnan. «Er ist ein exzellenter Gesprächspartner», so Zürcher. «Wir sprachen nicht über Filme, wir sprachen über das Leben.»

Ein Schlaganfall brachte ihn zum Film zurück

Zürcher denkt oft an die Stunts seiner Jugend zurück. «Wenn man jung ist, glaubt man, man sei unsterblich.» Vor drei Jahren zwang ihn sein Körper in die Knie: ein Schlaganfall, dazu ein Tumor an der Schädeldecke. Von einer Sekunde auf die andere war das rechte Bein des immer so sportlichen Zürchers gelähmt, er musste in der Reha-Klinik wieder laufen lernen. 

Stefan Zürcher (links) und Robert Redford. Zürcher doubelte den Star im Film «Downhill Racer» (1969).

Um herauszufinden, ob seine «Festplatte» noch funktioniert, kaufte er sich DVDs der rund 45 Spielfilme, an denen er mitgearbeitet hat. «Ich wollte schauen, ob mir all die Geschichten wieder einfallen.» Das taten sie. Und der ehemalige Stuntprofi beschloss, sein Lebenswerk in einem Buch festzuhalten. Ab Montag ist es über den Weber Verlag oder in allen grossen Buchhandlungen verfügbar. 

Am Samstag ist das Buch über Zürchers Leben im Filmgeschäft erschienen: «Im Geheimdienst von James Bond: Meine Erlebnisse mit Stars und Stunts aus über 50 Jahren Filmgeschäft».
Foto: Zamir Loshi

Heute spielt Zürcher Golf, um sich zu bewegen. Noch immer ist er bei grossen Filmprojekten als Berater tätig. Sein Leben auf dem Filmset vermisst er nicht: «Die Szene hat sich von der menschlichen Seite her stark verändert, nicht zu ihrem Guten.» Für die unzähligen Bekanntschaften ist er jedoch dankbar. «Es sind so viele Erlebnisse, Menschen und Orte, die ich nie vergessen werde.» 

Für die Eröffnungsszene des Bond-Films «Golden Eye» (1995) sprang ein Stuntman am Tällistock oberhalb Gadmen mit einem Motorrad vom Berg.

In der US-amerikanischen TV-Show «Good Morning America» erzählte er 2011 vor rund 60 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern seine Lebensgeschichte. Der Moderator Matt Lauer fasste zusammen: «Stefan, du bist eine sehr berühmte Person. Es muss schrecklich sein, über den Broadway zu spazieren und niemand erkennt dich.» Zürcher antwortete: «Thank God!» – «Gott sei Dank!» 


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