Die Videospiel-Industrie folgt altbackenen Rezepten
Warum Frauen im Game immer noch leicht bekleidet sind

Während in Indie-Games eine diverse Welt gezeigt wird, herrschen in Blockbuster-Games nach wie vor Stereotypen und Rollenklischees vor. Die grossen Gamestudios tun sich mit Veränderungen schwer. Das hat auch mit dem Stammpublikum zu tun.
Publiziert: 05.12.2023 um 10:46 Uhr
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Aktualisiert: 05.12.2023 um 11:39 Uhr
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Frauenfeindliche Darstellungen im Blockbuster-Game «Grand Theft Auto V» (2013). Ein Beispiel: Spieler können Prostituierte erschiessen.
Foto: Rockstar Games
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Karen SchärerTeamlead Gesellschaft

Muskulöse Männerkörper sind bei Blockbuster-Games Standard, weibliche Figuren sind häufig kurvig und leicht bekleidet. Und in beliebten Games für Kinder wie der «Super Mario»-Reihe oder «Rayman Legends» müssen Prinzessinnen passiv darauf warten, gerettet zu werden.

Die Welt, wie viele Games sie darstellen, hinkt gesellschaftlichen Diskussionen und Sensibilitäten hinterher. Das finden auch die Spielerinnen und Spieler, wie die repräsentative «Gaming-Trends»-Umfrage 2020 in Deutschland zeigte: 66 Prozent der Befragten halten die Darstellung von Frauen in Games bisweilen für sexistisch, 60 Prozent erachten ihre Rolle als klischiert. Fast jede zweite Person möchte in einem Game neben männlichen auch weibliche und diverse Figuren auswählen können.

Der Druck auf Gamestudios ist gestiegen

«Viele Studios beharren auf ihren konservativen und altbackenen Konzepten. Sie versuchen, diese mit allen Mitteln zu verteidigen», sagt Tabea Iseli (33), Fachperson zum Thema Gender und Diversität in Games. Sie erinnert an «skurrile Diskussionen», wonach gewisse Studios keine weiblichen Spielfiguren implementieren wollten. Die Begründung: Dies sei wegen Animationen und Charaktermodellen zu teuer. 

Positiver schätzt Stefan Schmidlin (44) die Situation ein. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent im Studiengang Game Design an der ZHdK und sagt: «Als Massenmedium können sich Games heute gesellschaftlichen Diskussionen nicht mehr entziehen, und so stehen wir nicht mehr am gleichen Punkt wie noch vor 10 oder 20 Jahren.» Der Druck auf Studios sei heute grösser als früher. «Die Konsumenten verlangen, dass die Hersteller gegen Rassismus, Homophobie, Transphobie und andere diskriminierende Praktiken klar Stellung beziehen. Und sie erwarten eine viel höhere Qualität bei der Repräsentation von bislang unterrepräsentierten Gruppen.»

Gemäss Jahresreport der deutschen Games-Branche 2021 machen Frauen heute nahezu die Hälfte aller Spielenden aus. «Spielerinnen wollen Heldinnen spielen, die sie repräsentieren», sagt Schmidlin. «Denn anders als im Film verschmelzen wir im Game mit der Figur, die wir spielen. Das gelingt umso besser, je eher wir uns mit dem Avatar identifizieren können.» 

Game Design nicht nur Männersache

Diversere Games entstehen auch dadurch, dass Game Design nicht mehr komplett männerdominiert ist: Laut Statista lag der Anteil der weiblichen Game-Entwicklerinnen weltweit 2021 bei 30 Prozent, weitere 8 Prozent identifizieren sich als genderqueer oder transgender. 

Tabea Iseli hat mit Stardust in Zürich ein eigenes Gamestudio gegründet und programmiert und entwickelt Games mit Universen, die voller quirliger, einzigartiger Wesen sind, die die Vielfalt unserer Welt spiegeln. Iselis «Grimoire Groves» wurde im November an den Swiss Game Awards zum «Most Anticipated Swiss Game» gewählt.

Beispiele für fortschrittliche Games

Stefan Schmidlin vom Studiengang Game Design an der ZHdK nennt Games von grossen Studios, die gute Beispiele sind für inklusivere Geschichten und neue Rollenbilder.

  • «The Last of Us 2» (2020): Mit Ellie und Abby sind zwei Frauen im Lead
  • «Hellblade: Senua's Sacrifice» (2017): Die Protagonistin kämpft mit Psychosen
  • «Apex Legends» (2019): Spielfigur Octane hat Beinprothesen – und ist die schnellste Figur im Game
  • «Horizon Forbidden West» (2022): Figur Aloy gilt als gutes Beispiel für eine vielschichtige, selbstbestimmte und nicht-sexualisierte Frauenfigur
  • «Baldur’s Gate 3» (2023): Man kann sexuelle und romantische Beziehungen mit den Companions eingehen, unabhängig vom Geschlecht der Hauptfigur
  • «Tell Me Why» (2020): Mit Tyler Ronan ist ein erster trans Character Lead in einem AAA-Spiel
  • «God of War» (2018): Der Protagonist Kratos hat einen Sohn und zeigt auch mal eine verletzliche Seite
  • «Bugsnax» (2020): Dieses Game für Kinder geht das Thema Gender unverkrampft und kindgerecht an
Aloy in «Horizon Forbidden West» (2022) ist eine selbstbestimmte, nicht-sexualisierte Frauenfigur.
Sony

Stefan Schmidlin vom Studiengang Game Design an der ZHdK nennt Games von grossen Studios, die gute Beispiele sind für inklusivere Geschichten und neue Rollenbilder.

  • «The Last of Us 2» (2020): Mit Ellie und Abby sind zwei Frauen im Lead
  • «Hellblade: Senua's Sacrifice» (2017): Die Protagonistin kämpft mit Psychosen
  • «Apex Legends» (2019): Spielfigur Octane hat Beinprothesen – und ist die schnellste Figur im Game
  • «Horizon Forbidden West» (2022): Figur Aloy gilt als gutes Beispiel für eine vielschichtige, selbstbestimmte und nicht-sexualisierte Frauenfigur
  • «Baldur’s Gate 3» (2023): Man kann sexuelle und romantische Beziehungen mit den Companions eingehen, unabhängig vom Geschlecht der Hauptfigur
  • «Tell Me Why» (2020): Mit Tyler Ronan ist ein erster trans Character Lead in einem AAA-Spiel
  • «God of War» (2018): Der Protagonist Kratos hat einen Sohn und zeigt auch mal eine verletzliche Seite
  • «Bugsnax» (2020): Dieses Game für Kinder geht das Thema Gender unverkrampft und kindgerecht an

Indie-Games wie dieses erweitern und ergänzen die Palette von Videospielen, werden aber kaum von grossen Publishern veröffentlicht. Diese fürchten, dass die Produktion eines sehr innovativen Games zu riskant ist. Die Weiterentwicklung von AAA-Games, den Blockbustern, stockt wiederum, weil diese Produktionen sehr teuer sind; sie kosten bis zu mehrere Hundert Millionen US-Dollar. «Ähnlich wie in der Filmindustrie wird argumentiert, man könne keine Risiken eingehen. Daher sind Spiele wie ‹Call of Duty› oder ‹Assassin’s Creed› oft immer genau dasselbe, seit Jahrzehnten», sagt Iseli. 

Prostituierte erschiessen im Game

Die Hersteller versuchten, aus ihren bekannten Marken viel Geld zu schlagen, sagt Schmidlin. «Diese sind mit einer Tradition verbunden und entsprechend häufig konservativer.» Als Beispiel nennt er «GTA 5», in dem man Frauen und trans Personen in verdinglichenden, frauenfeindlichen oder transphoben Darstellungen sehe: So gibt es im Einzelspielermodus überhaupt keine weiblichen spielbaren Figuren, dafür auf jeder Werbung sexy Frauen. Und: «Darstellungen von cis- und trans-femininen Prostituierten machen diese lächerlich, und setzen sie der Willkür der Spielenden aus, die sie einfach grundlos erschiessen können. Diese Gruppen sind in Realität schon Gewalt ausgesetzt, deshalb ist das problematisch. Erst in einer erneuerten Version 2022 wurden die Darstellungen verbessert», sagt Schmidlin.

Zwar ist Gamen keine Männerbastion mehr, doch es sind immer noch vorwiegend Männer, die Blockbuster-Spiele konsumieren. Neuerungen in AAA-Games treffen oft auf Ablehnung und lösen teils heftige Gegenreaktionen aus: «2014 kam es zum sogenannten Gamer Gate, einer Belästigungskampagne von konservativen Gamern gegen weibliche und queere Game-Entwicklerinnen», sagt Schmidlin.

Für Tabea Iseli stehen Entscheidungsverantwortliche und Geldgebende in der Verantwortung: «Es liegt nicht an einer mangelnden Nachfrage, dass es so wenige diverse Games in den Mainstream schaffen.»

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