Das Aargauer Kunsthaus in Aarau im Februar: Noch herrscht Ruhe vor dem Sturm. Anfang März blüht das Haus auf, und die jährliche Sonderausstellung «Blumen für die Kunst» lockt Tausende ins Museum. Ein eigens aufgestelltes Empfangszelt vor dem Foyer ordnet dann den Publikumsstrom.
Blick: Katharina Ammann, mögen Sie Blumen?
Ammann: Ich mag Blumen. Ich mag keine Zimmerpflanzen, aber Blumen.
Und welche am liebsten?
Draussen im Wald zum Beispiel Schlüsselblümchen. Als Schnittblume habe ich Ranunkeln in all ihren Farben sehr gerne.
Schnittblumen, Gräser, Zweige werden in Ihrem Haus bald wieder eine zentrale Rolle spielen.
Ja, der Vorverkauf für die zehnte Ausgabe von «Blumen für die Kunst» läuft seit Januar. Wir freuen uns sehr auf dieses Jubiläum.
Katharina Ammann (50) studierte Kunstgeschichte und Englische Literatur an den Universitäten Genf und Oxford. Von 2001 bis 2004 arbeitete sie als wissenschaftliche Assistentin am Kunstmuseum Solothurn. Nach ihrer Promotion 2008 folgte die Wahl als Konservatorin ans Bündner Kunstmuseum in Chur. Von 2015 bis 2020 leitete Ammann die Abteilung Kunstgeschichte des Schweizerischen Instituts für Kunstwissenschaft (SIK-ISEA). Seit 2020 ist sie Direktorin des Aargauer Kunsthauses in Aarau.
Katharina Ammann (50) studierte Kunstgeschichte und Englische Literatur an den Universitäten Genf und Oxford. Von 2001 bis 2004 arbeitete sie als wissenschaftliche Assistentin am Kunstmuseum Solothurn. Nach ihrer Promotion 2008 folgte die Wahl als Konservatorin ans Bündner Kunstmuseum in Chur. Von 2015 bis 2020 leitete Ammann die Abteilung Kunstgeschichte des Schweizerischen Instituts für Kunstwissenschaft (SIK-ISEA). Seit 2020 ist sie Direktorin des Aargauer Kunsthauses in Aarau.
Vor zehn Jahren stellte das Aargauer Kunsthaus erstmals «Blumen für die Kunst» aus. Sie waren damals Konservatorin am Bündner Kunstmuseum in Chur. Was dachten Sie damals über die Aargauer?
Ich konnte nicht recht einschätzen, was es wirklich bedeutet. Das habe ich erst jetzt gesehen, als ich tatsächlich erlebt habe, wer alles in diese Ausstellung kommt und wie sich das Publikum in dieser Ausstellung bewegt.
Senkt die Ausstellung die Hemmschwellen, weil sie die Leute über Blumen an die Kunst heranführen?
Ja, das ist ein niederschwelliges Angebot. Die ganze Museumslandschaft verändert sich, und die Bedeutung der Vermittlung der Kunst hat enorm zugenommen. Und das Format dieser Blumenausstellung ist ein Erfolgsrezept.
War der Erfolg absehbar?
Nein. Und sehr viele Kolleginnen und Kollegen sowie Fachleute haben sich im ersten Moment eher skeptisch gezeigt. Sie sehen das heute anders.
Gab es bei Ihnen auch einen Wandel?
Ja, insofern, als ich heute Zugänglichkeit und Niederschwelligkeit wirklich viel mehr lebe und nicht nur einfach behaupte. Das ist wirklich ein Wechsel, den ich für absolut zentral halte, weil er auch Teil unserer Strategie im Kunsthaus ist.
Wer ist der Gewinner in diesem Austausch: die Blumen, weil das Publikum letztlich ihretwegen kommt, oder die Kunst, weil die Sammlungsstücke des Aargauer Kunsthauses deswegen mehr Beachtung erfahren?
Es ist eine Win-win-Situation, die wir hier haben. Zum einen sind es Floristinnen und Floristen, die uns sagen, dass sie ihre Kunst, ihr Handwerk auf eine Ebene bringen können, wie sie es im Alltag so nicht schaffen.
Zum andern?
Umgekehrt ist es auch für uns ein Gewinn, wenn wir sehen, wie viele Besucherinnen und Besucher während dieser Woche kommen und Werke aus unserer Sammlung betrachten. Die Besuchenden kommen nicht nur wegen der Blumen. Das wissen wir aufgrund der Führungen mit Kunsthistorikern und Floristinnen: Sie sind immer als Erste ausgebucht und zeigen beides, Kunst und Blumen.
Das Aargauer Kunsthaus zeigt zudem aktuell eine Wechselausstellung mit vielen Blumenmotiven.
Ganz genau. Die Hälfte aller Ölgemälde von Augusto Giacometti sind Blumenbilder. Darüber hinaus heisst die Ausstellung «Freiheit | Auftrag». Auch die Floristinnen und Floristen bewegen sich an dieser Schnittstelle.
Blumen auf Gemälden, sogenannte Blumen-Stillleben, sind in der Kunstwissenschaft weniger beliebt und gelten als niedrigere Gattung. Warum?
Traditionellerweise hat man das als ein einfaches Sujet wahrgenommen.
Zu Recht?
Wenn man an Blumen-Stillleben aus dem 17. Jahrhundert denkt, die zur absoluten Meisterschaft geführt worden sind, finde ich: Das Genre hat einen wichtigen Platz in der Kunstgeschichte. Und es ist nie verschwunden.
Ja, bis heute. Und Stillleben sind beim Publikum sehr beliebt. Weshalb?
Die Leute haben es gerne, weil es sehr oft Gegenstände sind, mit denen sie sich identifizieren können. Es hat mit ihrem Alltag etwas zu tun. Es ist kein Historienbild, das letztlich sehr weit entfernt sein kann von der eigenen Realität.
Und im Gegensatz zu den historischen Figuren lebt das natürliche Vorbild noch heute und erfreut sich grosser Beliebtheit – so besuchen Millionen Monets Garten in der Normandie, die Vorlage für seine Seerosengemälde.
Ja, man kann die Erfahrungen aus der eigenen Lebenswirklichkeit mit den Bildern vergleichen. Es geht dabei nicht so sehr um die naturalistische Abbildung, sondern um die Empfindung, die man in derselben Natur hat.
Die Ausstellung «Blumen für die Kunst» geht den umgekehrten Weg: nicht zurück zur Natur, zu den Wurzeln eines Kunstwerks, sondern vorwärts zur Natur durch die florale Interpretation eines bereits bestehenden Kunstwerks.
Das ist in der Tat ein aussergewöhnlicher Weg. Doch die Umsetzungen durch die Floristinnen und Floristen beziehen sich nicht nur auf das, was das Bild abbildet, sondern auf das, was das Bild aussagt. Und dort wird es sehr spannend.
Gibt es ein Werk in der Sammlung des Aargauer Kunsthauses, das jeweils viele Floristinnen und Floristen interpretieren möchten?
«Cercles et barres» von Sophie Taeuber-Arp ist schon mehrfach interpretiert worden. Doch wir haben über 20'000 Werke in der Sammlung und zeigen immer wieder andere in den Ausstellungsräumen, sodass sich die Floristinnen und Floristen Jahr für Jahr mit anderen Bildern auseinandersetzen können.
Nur Gemälde und Fotoarbeiten oder auch Skulpturen?
Eher selten, denn Skulpturen würden Blumen zu sehr konkurrenzieren. Die Interpretation ist schon dreidimensional. Die lässt sich einfacher einem zweidimensionalen Abbild an der Wand gegenüberstellen.
Die erste derartige Ausstellung «Art in Bloom» veranstaltete das Museum of Fine Arts in Boston bereits 1976. Warum dauerte es bis 2014, bis der Funke von den USA in die Schweiz übersprang?
Die Schweiz ist nicht per se eine Pionierin im Bereich der Kunstvermittlung. Dass man anfängt, Sachen zu wagen, ist eher ein neues Phänomen.
Und ein lokales: Was in der Schweiz nur in Aarau zu sehen ist, hat sich in den USA von Boston über Washington, New Orleans und Minneapolis bis nach San Francisco ausgebreitet.
Wir sind dafür innovativer unterwegs. Ich habe mir die Bilder von den kommenden Umsetzungen bei uns angeschaut, und da zeigt sich: Wir stellen nicht einfach eine Vase mit einem Blumenstrauss hin. In Amerika ist das immer noch so.
Die Amerikaner lieben es grundsätzlich, Kunstwerke in einen Kontext zu stellen: In vielen US-Museen sind Ausstellungsräume wie Wohnzimmer gestaltet, in denen echte Gemälde hängen.
Solche Formen von Dramaturgie finde ich dann gut, wenn sie mit der Kunst korrespondieren und das Erlebnis als Gesamtes stärker machen, ohne Kunst als Nebenschauplatz erscheinen zu lassen. In der Schweiz verhält es sich etwas anders.
Nämlich?
Man nimmt Bilder schon lange aus Umgebungen wie Ateliers, Wohnräumen oder Kirchen heraus und stellt sie in White Cubes hinein. Hier in der Schweiz hat man einen gewissen Purismus immer gepflegt und gerne gehabt.
Das klingt, als wollte man einen unverfälschten Blick auf die Kunst gewähren. Aber gibt es den überhaupt?
Grundsätzlich ist immer entscheidend, in welchen Bezug du dich selbst zu einem Kunstwerk stellst. Das ist bei installativen Werken noch entscheidender als bei einem Bild.
Welche Faktoren sind beim Kunstgenuss entscheidend?
Ob du weit weg bist oder nah dran, ob du von der Seite her darauf schaust, ob hundert Menschen drumherum stehen oder ob du allein im Saal bist. Und bei der Blumenausstellung gibt es ideale, fotogene Standpunkte.
Wie machen sich die bemerkbar?
Dort sammeln sich immer sehr viele Menschen. Da kann man davon ausgehen, dass der Ort fürs Fotografieren besonders geeignet ist, denn «Blumen für die Kunst» ist sehr «instagrammable».
Teilen die Besucherinnen und Besucher ihre Fotos nur auf Instagram?
Sehr stark auf Instagram, aber auch über Facebook.
Und Tiktok?
Weniger.
Sprechen Sie mit anderen Worten die Jungen weniger an?
Wir haben mit Jungen schon im Bereich Augmented Reality zusammengearbeitet, wo junge Menschen eigene Inhalte zu unseren Sammlungen gestalten konnten. Aber bei «Blumen für die Kunst» ist es tatsächlich so, dass vom Hauptpublikum her gesehen sehr viele Frauen im mittleren Alter kommen.
18'389
Besuchende im Rekordjahr 2019
36%
der Jahresbesucherzahl 2019 kam damit für die einwöchige Ausstellung «Blumen für die Kunst»
141
florale Interpretationen von Kunstwerken gab es in den vergangenen zehn Jahren
106
teilnehmende Floristinnen, Designerinnen und Blumengestalter
8
Floristinnen und Floristen der vergangenen zehn Jahre nehmen an der Jubiläumsausstellung 2024 teil
18'389
Besuchende im Rekordjahr 2019
36%
der Jahresbesucherzahl 2019 kam damit für die einwöchige Ausstellung «Blumen für die Kunst»
141
florale Interpretationen von Kunstwerken gab es in den vergangenen zehn Jahren
106
teilnehmende Floristinnen, Designerinnen und Blumengestalter
8
Floristinnen und Floristen der vergangenen zehn Jahre nehmen an der Jubiläumsausstellung 2024 teil
Mit ihren Männern im Schlepptau?
Genau. Aber die meisten Frauen verabreden sich mit anderen Frauen und machen so einen richtigen Ausflug daraus. Das ist dann in der ganzen Stadt spürbar – alle machen mit beim Blumenfestival.
Nun feiern wir zehn Jahre «Blumen für die Kunst». Werden wir auch den 20. Geburtstag feiern?
Solange wir mit dieser Ausstellung so viele Menschen glücklich machen und selber auch happy sind, dass sie mit unserer Sammlung in Berührung kommen, ändern wir nichts.
Wann würden Sie die Ausstellung nicht mehr veranstalten?
Wir würden erst damit aufhören, wenn wir merkten, dass der Publikumszustrom massiv abnimmt und wir nicht mehr den Nerv der Zeit treffen. Sonst gibt es keinen Grund.
10 Jahre «Blumen für die Kunst» vom 5. bis 10. März im Aargauer Kunsthaus, Aarau
Zum Jubiläum erscheint der Bildband «Blumen für die Kunst» bei NZZ Libro
Katharina Ammann über «Blumen für die Kunst» 2023:
Katharina Ammann: «Die beiden haben sich sehr gut verstanden. Bergmann ist zu Gros ins Atelier nach Basel gefahren, und da ist etwas ganz Wunderbares entstanden. Mireille Gros thematisiert häufig den Ressourcenverbrauch und das Verschwinden von Biodiversität. Sie hat sich vom Floristen etwas zum Thema Nachhaltigkeit gewünscht – und Cyril Bergmann ist voll darauf eingestiegen: Er verwendete nur Sachen, die er in einem Bachbett seiner Umgebung gefunden hatte, ersetzte während der Ausstellungswoche nichts und thematisierte so den Verfallsprozess.»
Katharina Ammann: «Die beiden haben sich sehr gut verstanden. Bergmann ist zu Gros ins Atelier nach Basel gefahren, und da ist etwas ganz Wunderbares entstanden. Mireille Gros thematisiert häufig den Ressourcenverbrauch und das Verschwinden von Biodiversität. Sie hat sich vom Floristen etwas zum Thema Nachhaltigkeit gewünscht – und Cyril Bergmann ist voll darauf eingestiegen: Er verwendete nur Sachen, die er in einem Bachbett seiner Umgebung gefunden hatte, ersetzte während der Ausstellungswoche nichts und thematisierte so den Verfallsprozess.»
Katharina Ammann: «Wenn man nur das Foto sieht, versteht man das Werk im ersten Moment gar nicht. Im Hintergrund ist die grosse Cyanotypie der Schaffhauser Künstlerin Daniela Keiser – eine Landschaft, eine Art Steinbruch. Das sind einzelne Fragmente. Und die Floristin nimmt das Fragmentarische auf, indem sie mit verschiedenfarbigen Glasscheiben arbeitet. Das Ganze hängt vor dem Bild – nicht mehr die klassische Situation von einem Sockel, auf dem eine Vase steht und in der ein Blumenstrauss steckt. Die schwebenden Blumen verbinden sich geradezu mit dem Bild.»
Katharina Ammann: «Wenn man nur das Foto sieht, versteht man das Werk im ersten Moment gar nicht. Im Hintergrund ist die grosse Cyanotypie der Schaffhauser Künstlerin Daniela Keiser – eine Landschaft, eine Art Steinbruch. Das sind einzelne Fragmente. Und die Floristin nimmt das Fragmentarische auf, indem sie mit verschiedenfarbigen Glasscheiben arbeitet. Das Ganze hängt vor dem Bild – nicht mehr die klassische Situation von einem Sockel, auf dem eine Vase steht und in der ein Blumenstrauss steckt. Die schwebenden Blumen verbinden sich geradezu mit dem Bild.»