Frau Pusch, welches ist das ärgerlichste Wort der deutschen Sprache?
Das Wort «Herr». Mich störte immer, dass der Mann genau wie Gott der Herr angeredet wird: «Herr Schulze, Herr Gott». Gottgleich – so sehen sich die Herren gern.
Wann haben Sie erkannt, dass Sprache patriarchalisch ist?
Recht spät, Ende der 70er-Jahre. Da war ich bereits 35 Jahre alt. Ich hatte mich an der Universität Konstanz habilitiert und war dort in der Frauenbewegung aktiv. In meiner Forschung spielte der Feminismus dennoch keine Rolle. Ich glaubte, Sprache sei vom Patriarchat wenig betroffen. Pustekuchen! Aufgeklärt hat mich meine Kollegin Senta Trömel-Plötz mit ihrem wegweisenden Aufsatz «Linguistik und Frauensprache». Durch eigene Analysen ist mir klar geworden, dass die deutsche Sprache noch viel sexistischer ist, als wir Frauen dachten. Das hat mich wütend gemacht.
Als Pionierin der feministischen Linguistik kämpfen Sie seit 40 Jahren für eine geschlechtergerechte Sprache. Worum geht es Ihnen?
Um Gerechtigkeit. Die deutsche Sprache ist ungerecht. Der Mann ist die Norm, die Frau ist die Abweichung. Es heisst «der Lehrer, die Lehrerin». Weibliche Bezeichnungen werden aus den männlichen abgeleitet. Das macht Frauen zweitrangig und ist diskriminierend. Genau wie die Behauptung, männliche Bezeichnungen seien geschlechtsneutral und meinten die Frauen mit. Das nennt man den generischen Gebrauch des Maskulinums oder kurz das generische Maskulinum.
Wie wirkt das generische Maskulinum?
Es macht uns Frauen unsichtbar. Psycholinguistische Studien haben bewiesen, dass bei maskulinen Bezeichnungen die meisten Menschen an Männer denken. Ein Klassiker ist der Satz: «99 Sängerinnen und ein Sänger sind 100 Sänger.» Dass Frauen nicht zählen, kann man nicht deutlicher ausdrücken.
Ihr Buch «Das Deutsche als Männersprache» wurde 1984 zum Bestseller. Die deutsche Grammatik beschreiben Sie darin als System struktureller Gewalt gegen Frauen.
Die deutsche Sprache bildet die Machtverhältnisse im Patriarchat unheimlich exakt ab. Gleichzeitig sorgen die sprachlichen Ungerechtigkeiten dafür, dass sich diese Machtverhältnisse von selbst erneuern und verfestigen. Im Grundgesetz steht, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Das schliesst für mich die Sprache mit ein. Wenn Frauen aber sprachlich überfahren werden durch männliche Bilder, müssen wir das ändern.
Die Sprachwissenschaftlerin Prof. Dr. Luise F. Pusch (77) begründete Ende der 1970er-Jahre die feministische Linguistik in Deutschland mit. Sie ist Autorin und Herausgeberin zahlreicher Bücher und betreibt das Institut für Frauen-BiographieForschung FemBio. Pusch lebt in Hannover.
Die Sprachwissenschaftlerin Prof. Dr. Luise F. Pusch (77) begründete Ende der 1970er-Jahre die feministische Linguistik in Deutschland mit. Sie ist Autorin und Herausgeberin zahlreicher Bücher und betreibt das Institut für Frauen-BiographieForschung FemBio. Pusch lebt in Hannover.
Wie geht das am besten?
Das ist die grosse Frage. Die meisten möchten sofort die Sprache ändern. Ich weiss als Linguistin, wie kompliziert das ist. Es muss trotzdem angegangen werden. Eine geschlechtergerechte Sprache schafft das Patriarchat nicht ab, aber sie schafft Raum für Frauen und damit Bewusstsein. Das ist ihr grösster Einfluss.
Sie machten 1980 einen Vorschlag, der heute noch radikal erscheint. Ausgerechnet die Endungen «-in» und «-innen» sollten abgeschafft werden. Es hiesse also: der, die, das Arzt.
Damit würde die deutsche Sprache geschlechtsneutraler, ähnlich wie im Englischen. Weibliche Endungen sind eigentlich überflüssig. Es heisst «der oder die Angestellte», man könnte also gut «der Arzt, die Arzt» sagen. Und mit «das Arzt» bezeichnen wir Menschen egal welchen Geschlechts. Als ich das vorschlug, waren die Frauen wütend auf mich. Da kämpften sie jahrelang für weibliche Bezeichnungen und sollten nun alles plötzlich geschlechtsneutral sehen! Das fanden sie unerträglich. Ich habe das eingesehen und entwickelte das Zwei-Phasen-Modell.
Wie sieht das aus?
Bevor wir die weiblichen Endungen abschaffen, sollten wir eine Zeit lang das generische Femininum verwenden. Als Provokation nannte ich 1000 Jahre. Wir würden dann nur noch von «Lehrerinnen» sprechen. So könnten wir Frauen überhaupt mal in die Sprache hinein kommen. Und die Männer müssten raten, ob sie mitgemeint sind. Das wäre eine einfache Lösung. Danach können wir uns zu einer gerechteren Sprache vorarbeiten.
Warum lässt sich Sprache so schwer ändern?
Grammatikregeln sind wie Gesetze. Man braucht Mehrheiten, um sie zu ändern. Aber die Männer wehren sich natürlich, dass ihnen sprachliche Privilegien genommen werden sollen. Dass das generische Maskulinum so schnell an Bedeutung eingebüsst hat, ist daher ein riesiger Erfolg.
Derzeit ist das Gendern mit Sternchen beliebt, also: Lehrer*innen. Was halten Sie davon?
Die Queer-Community fordert diese Schriftzeichen als Platzhalter für nicht binäre und intersexuelle Personen. Setzt man sie mitten im Wort, hat das zur Folge, dass der Wortstamm für die Männer reserviert ist und nur die Endung für die Frauen. Das kann es doch nicht gewesen sein! Zudem hat man im Singular unglaubliche Gebilde, «jede*r Lehrer*in» zum Beispiel. Das irritiert und sorgt für Widerstand. Zu Recht, wie ich finde. Viele Schriftstellerinnen sind wegen ästhetischer Bedenken gegen das Gendern. Auch für mich sind Gedichte in einer solchen Sprache schwer vorstellbar.
In der Sprache sollen alle Geschlechter gleich behandelt werden, das ist das Ziel des Genderns. Denn bisher wurden männliche Bezeichnungen verallgemeinernd für alle Geschlechter verwendet. In den 1960ern forderte die Frauenbewegung, dass weibliche Bezeichnungen vermehrt Eingang in die Sprache finden. Ab Ende der 1970er kritisierten feministische Sprachwissenschaftlerinnen wie Luise F. Pusch die deutsche Sprache als «sexistische Männersprache».
In der Folge erschienen ab 1980 in Hochschulen und in Verwaltungen erste Richtlinien für eine geschlechtergerechte Sprache. So wurde in der Schweiz etwa das Berufsverzeichnis der Berufsverwaltung im Jahr 1988 geschlechtergerecht. 1993 beschloss der Bundesrat, die sprachliche Gleichbehandlung in der Verwaltung umzusetzen; 2007 wurde sie im Sprachengesetz rechtlich verankert.
Zu Beginn der 2000er-Jahre forderten Menschen aus der Queer-Community eine Sprache, die nicht nur Frauen und Männer, sondern auch nicht binäre Geschlechtsidentitäten wie Transgender-Menschen sichtbar macht. Und zwar mit Schriftzeichen wie dem Genderstern, dem Doppelpunkt oder dem Gender-Gap.
Geschlechtergerechte Sprache traf stets auf grossen Widerstand. Eine Mehrheit lehnt diese laut Umfragen im deutschsprachigen Raume weiter ab. Eine Norm für korrektes Gendern besteht ohnehin nicht, der Duden schreibt keine solche vor. Dass das Wörterbuch aber jüngst das generische Maskulinum abgeschafft hat, sehen einige als Wendepunkt: «Die Lehrer» meint nun wirklich nur Männer.
In der Sprache sollen alle Geschlechter gleich behandelt werden, das ist das Ziel des Genderns. Denn bisher wurden männliche Bezeichnungen verallgemeinernd für alle Geschlechter verwendet. In den 1960ern forderte die Frauenbewegung, dass weibliche Bezeichnungen vermehrt Eingang in die Sprache finden. Ab Ende der 1970er kritisierten feministische Sprachwissenschaftlerinnen wie Luise F. Pusch die deutsche Sprache als «sexistische Männersprache».
In der Folge erschienen ab 1980 in Hochschulen und in Verwaltungen erste Richtlinien für eine geschlechtergerechte Sprache. So wurde in der Schweiz etwa das Berufsverzeichnis der Berufsverwaltung im Jahr 1988 geschlechtergerecht. 1993 beschloss der Bundesrat, die sprachliche Gleichbehandlung in der Verwaltung umzusetzen; 2007 wurde sie im Sprachengesetz rechtlich verankert.
Zu Beginn der 2000er-Jahre forderten Menschen aus der Queer-Community eine Sprache, die nicht nur Frauen und Männer, sondern auch nicht binäre Geschlechtsidentitäten wie Transgender-Menschen sichtbar macht. Und zwar mit Schriftzeichen wie dem Genderstern, dem Doppelpunkt oder dem Gender-Gap.
Geschlechtergerechte Sprache traf stets auf grossen Widerstand. Eine Mehrheit lehnt diese laut Umfragen im deutschsprachigen Raume weiter ab. Eine Norm für korrektes Gendern besteht ohnehin nicht, der Duden schreibt keine solche vor. Dass das Wörterbuch aber jüngst das generische Maskulinum abgeschafft hat, sehen einige als Wendepunkt: «Die Lehrer» meint nun wirklich nur Männer.
Freuen dürfte Sie, wie in der gesprochenen Sprache gegendert wird.
Ich finde es ganz toll, wie häufig ich mittlerweile den Knacklaut im Radio höre – also die gesprochene Pause zwischen Wortstamm und Endung: Lehrer – innen. Das habe ich ursprünglich in den 80er-Jahren vorgeschlagen, als es um die Frage ging, wie das Binnen-I – «LehrerInnen» – ausgesprochen werden soll. Es ist interessant, wie sich der Knacklaut beim schnellen Sprechen bereits wieder abschleift. Oft machen die Menschen keine Pause mehr, sondern sagen bloss «Lehrerinnen». Das generische Femininum scheint von alleine zu kommen!
Wie wurden Sie überhaupt zur Feministin?
Das verdanke ich meinem Schweizer Psychoanalytiker, den ich während meiner Zeit in Konstanz aufsuchte. Ich litt unter einer Angstneurose, weil ich lesbisch bin. Das waren fürchterliche Zeiten. Niemand durfte etwas davon wissen, nicht einmal meine Mutter. Ich dachte, der Analytiker könne mich umpolen. Er sagte, das sei nicht möglich, aber er könne mein Selbstbewusstsein stärken. Dann schickte er mich in die Zürcher Lesbengruppe und drückte mir feministische Literatur in die Hand. Ich verdanke ihm sehr viel.
Welches Coming-out war schwieriger, das als Feministin oder als lesbische Frau?
Folgenreicher war mein feministisches Outing. Es hat mich meine Karriere als Professorin gekostet. Davor war ich ein angesehenes Mitglied der sprachwissenschaftlichen Community. Aber als ich mich als feministische Forscherin geoutet hatte, fand ich in Europa keine Stelle mehr. Das war niederschmetternd. Meine Kollegen behandelten mich, als ob ich wahnsinnig geworden wäre.
Warum kämpften Sie weiter?
Ich bin eigentlich keine Aktivistin oder Kämpferin, sondern sehe mich eher als gründliche Analytikerin. Und ich habe schnell erkannt, wie unglaublich interessant das Gebiet ist. Und dass ich richtig lag. Von dieser Erkenntnis konnte mich nichts mehr abbringen.
Hat sich diese Beharrlichkeit gelohnt?
Absolut. Der Verlust meiner wissenschaftlichen Karriere hat mir letztlich einen anderen Weg eröffnet als Vortragsrednerin und freie Publizistin. Ich hatte viele Freiheiten, erreichte ein grosses Publikum und bekam viel Einfluss. Vor allem lernte ich so meine Lebensgefährtin kennen. Wirklich, ich hatte und habe ein aufregendes und gutes Leben.