Statt mit einem glamourösen Event hat Huawei heute sein neustes Smartphone via Youtube-Livestream vorgestellt. Die Corona-Krise hat auch die Gadget-Hersteller voll im Griff. Den chinesischen Hersteller trifft das in einer besonders blöden Situation.
Nach wie vor steht Huawei unter US-Sanktionen. Amerikanische Firmen wie Google dürfen nicht mit Handybauer zusammenarbeiten. Eine Sondergenehmigung wurde beantragt, die Trump-Regierung lässt sich aber mit der Beantwortung Zeit.
Das bedeutet: Auch das neue P40 muss ohne Google-Services auskommen. Es ist das erste Massengerät ohne diese Dienste und wird in Europa der Gradmesser dafür sein, ob der Hersteller trotzdem die Leute davon überzeugen kann.
Das ist übrigens ein reines Europa-Problem. In den USA war Huawei nie offiziell vertreten, in der Heimat hat der Zwist mit den USA dem Hersteller sogar genützt. Huawei hat als Nummer 1 in China bereits einen Marktanteil von 40 Prozent, und auch weltweit kommt die Marke 2019 auf einen um fast drei Prozent höheren Marktanteil von nun 17,6 Prozent. Das bedeutet Platz 2 hinter Samsung (21,8 Prozent) und vor Apple (14,5 Prozent).
BLICK hatte die Chance, das neue P40 Pro vorab auszuprobieren. Das Kurzfazit: Die Hardware ist top, die Kamera vor allem für Videos vielversprechend – und auch bei der App-Problematik hat Huawei clevere Lösungen bereit.
Das Huawei P40 Pro ist schön kompakt und hat grossen Akku
Bei der Technik trumpft Huawei wiederum mit allem auf, was momentan möglich ist. So haben etwa alle neuen Modelle 5G. Das von uns getestete P40 Pro ist das mittlere Modell und wird wohl knapp 1000 Franken kosten. Marktstart ist Anfang April.
Huawei erfüllt alle Anforderungen, die man an ein Gerät dieser Preisklasse stellt: Wasserfestes Gehäuse, ein auffällig schneller Fingerabdruck-Scanner unter dem Screen, 256 GB Speicher (erweiterbar), den schnellen Kirin-990-Prozessor mit 8 GB Arbeitsspeicher und einen grossen 4200-mAh-Akku mit drahtloser Ladetechnik. In den ersten Tests zeigt sich dieser sehr ausdauernd. Auch mit vielen Videos und stundenlangem Ausprobieren zwingt man ihn nicht an einem Tag in die Knie.
Mit einem 6,58 Zoll grossen Screen wirkt das Huawei neben anderen Neuheiten wie dem Samsung Galaxy S20 Ultra oder dem Oppo Find X2 Pro fast klein. Es liegt dadurch aber auch richtig gut in der Hand. Optisch auffällig sind drei Dinge. Die beim Testgerät blau-graue Rückseite schimmert matt und ist leicht texturiert. Ein neuer, sehr edler Look.
Als Kontrast dazu gibts ein riesiges, recht kantiges Kamera-Gehäuse, das so weit heraussteht wie bei vielen anderen Smartphones momentan auch. Schön ist das nicht. Praktisch auch nicht, weil das P40 so auf dem Tisch wackelt. Immerhin: Wenn man eine Hülle nutzt, sind Kamera und Hülle schön auf einer Ebene.
Kamera macht gute Fotos und sehr gute Videos
Ein Genuss ist der helle und leuchtende Bildschirm mit einer Auflösung von 1200 mal 2640 Pixel. Huawei setzt auf eine Bildwiederholfrequenz von 90 Hertz, die sich aber flexibel anpasst. Das hilft Strom sparen und reicht im Alltag für Games und fliessende Menü-Übergänge problemlos. Die Konkurrenz allerdings setzt inzwischen schon auf 120 Hertz.
Das P40 Pro hat total sechs Kamerasensoren. Aussergewöhnlich ist die Doppel-Selfiecam mit 32 Megapixel und einem Tiefensensor. Eigenporträts werden damit überdurchschnittlich gut, sogar Nachtmodus ist möglich. Besonders clever, dass man dann mit hellem Bildschirm gleich noch das Gesicht anleuchten kann. Gibt auch im Dunkeln brauchbare Fotos.
Die Hauptkamera hat einen 50-Megapixel-Sensor, dazu einen 40-Megapixel-Zoom mit fünffacher optischer Vergrösserung und einen 12-Megapixel-Weitwinkel. In den ersten Tests mit noch nicht finaler Software liefert Huawei die bekannte Foto-Qualität. Etwas kühlere Farben als die Konkurrenz, sehr viele Einstellmöglichkeiten, ein toller Nachtmodus und gute Zoombilder auch bei zehnfacher Vergrösserung.
Aussergewöhnlich gut sind die Videoaufnahmen. Die Stabilisierung ist erstklassig, es sieht aus, als würde die Kamera auf Schienen stehen und sich so bewegen. Dadurch sind auch Videos mit Zoom brauchbar, was bei vielen anderen Phones in dieser Preisklasse nicht der Fall ist.
Schade ist, dass das Menü teilweise etwas kompliziert ist und die Zoom-Leiste am falschen Ort. Mit einer Hand kommt man dort nicht hin, zudem kann man nicht einfach mit Klicken schnell zwischen verschiedenen Stufen wechseln, sondern muss immer genau treffen.
Huawei löst einen Teil des App-Problems
Auch für einen Teil der App-Probleme hat der Hersteller inzwischen eine Lösung. Das P40 Pro läuft ja weiterhin auf einer stark angepassten Android 10 Version. Google Apps von Youtube bis Kalender und Mail kann man aber nicht installieren. Und auch nicht den Play Store.
Apps findet man in der Huawei-eigenen AppGallery, die laufend ausgebaut wird. Allerdings fehlen hier die grossen US-Anbieter und auch viele kleinere und lokale Apps. Inzwischen hat Huawei für vieles eine Lösung gefunden. Sucht man nach WhatsApp oder Facebook, gibts einen Link auf den Download direkt vom Anbieter. Bei der SBB-App wird etwa die Web App vorgeschlagen.
Das ist etwas mühsamer, auch mit den Updates, die man manuell machen muss. Aber es funktioniert. Ärgerlich ist dann halt, dass etwa bei Instagram der Link nicht kommt, dafür ein Dutzend dubioser Apps, um Inhalte herunterzuladen.
Es gibt für fast alles eine Lösung oder eine Alternative, es ist aber vieles deutlich aufwendiger als bei sonstigen Android-Geräten.
Das BLICK-Fazit nach dem ersten Test: Huawei hat wiederum ein tolles Topgerät vorgestellt. Das P40 Pro hält locker mit der Konkurrenz mit und ist eher etwas günstiger. Allerdings war der chinesische Hersteller vor einem Jahr etwa bei der Kameratechnik noch Wegbereiter, nun haben etwa Samsung und Oppo aufgeholt und bieten insgesamt ein sehr ähnliches Komplettpaket. Abheben kann sich Huawei bei gewissen Selfiefunktionen und bei der Videostabilisierung.
Weiter bleibt das Problem der Google-Services. Wer erwartet, dass beim P40 Pro alles so läuft wie bei seinem alten Android-Handy, der wird enttäuscht sein. Es braucht etwas Arbeit, um alles umzustellen und zusammenzusuchen. Und auch die Bereitschaft für Kompromisse, etwa Youtube über den Browser zu nutzen.