Selbstexperiment mit Folgen
10 Tage ohne Smartphone: Was macht das mit mir?

Digitalredaktor Tobias Bolzern reiste ohne Smartphone in die Ferien. Mit dem Entzug wollte er einen bewussteren Umgang mit all seinen Gadgets finden. Das Experiment ging tiefer, als er erwartet hatte.
Publiziert: 13.10.2024 um 11:27 Uhr
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Aktualisiert: 13.10.2024 um 11:36 Uhr
Digitalredaktor mal analog: Tobias Bolzern hat seine Ferien ohne Smartphone verbracht.
Foto: Tobias Bolzern
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Tobias BolzernRedaktor Digital

Plötzlich Stille. Keine ständigen Benachrichtigungen, kein Vibrieren in der Hosentasche. Die digitale Welt verstummt – und für alle, die mich über diese Sphäre zu erreichen versuchen, verstumme auch ich. Zehn Tage lang habe ich in den Ferien in Italien Handy, Tablet und Notebook weggesperrt. Digital Detox nennt sich das – ein Experiment, das tiefer ging, als ich erwartet hatte.

Vor der Abreise ein letzter Blick aufs Handy: 122 ungeöffnete Mails, 19 ungelesene Slack-Kanäle, zwei verpasste Anrufe und wie an einer Perlenkette fein säuberlich aufgereihte Push-Mitteilungen. So geht es den meisten von uns: Wir prüfen im Schnitt 58 Mal am Tag unser Handy, manche sogar über 100 Mal. Jeder Blick ein digitaler Tsunami. Mit Folgen: Das Gehirn kommt nie zur Ruhe, stets auf der Jagd nach dem nächsten Dopamin-Kick: Nachrichten, Reels, Likes. Stunden um Stunden vor einem leuchtenden Fenster hinter Glas – in ständiger Angst, etwas in der Timeline zu verpassen. Irgendwann ist es mir zur Sucht geworden.

Diese Sucht raubt den Moment. Stattdessen wächst die innere Unruhe. Etliche Studien, etwa eine im Fachmagazin «Frontiers in Psychiatry», zeigen, dass stundenlange Bildschirmzeit die Psyche belastet: Depressionen, Schlaflosigkeit, Angst. Dazu kommen körperliche Komplikationen: Nackenschmerzen, verkrampfte Finger, trockene Augen. Der Rat der Wissenschaft: weniger Bildschirmzeit. Aber wer schafft das schon? Oder besser: Wie schafft man das mit der Mässigung?

Reboot, ein Neustart

Zeit also, eine Faustregel anzuwenden, die mich seit der Informatiklehre begleitet: Wenn es nicht mehr läuft, wie es soll, hilft oft ein Neustart – Reboot im Fachjargon. Also weg mit dem digitalen Begleiter. Die Ferien, der perfekte Zeitpunkt dafür.

Neuauflage eines Klassikers: Der Autor hatte ein Nokia 3210 für Notfälle dabei.
Foto: Tobias Bolzern

So viel vorweg: Der kalte Entzug ist härter als gedacht. Immer wieder wandert meine Hand in die leere Hosentasche, sucht das vertraute Rechteck. Doch es ist nicht da. Stattdessen habe ich ein altes Nokia dabei, für den Notfall. Die Funktionen, so simpel wie die besten Pasta-Rezepte: Telefonieren, SMS und das kultige Handy-Game Snake. Kein App Store, keine Social Media und Internet so elendig langsam, dass man es gleich bleiben lässt.

Der digitale Schmarotzer

Ja, es gab Momente, in denen ich ohne Smartphone aufgeschmissen war. In einem fremden Land von A nach B zu kommen, ist ohne Navi fast unmöglich. Dank meiner Beifahrer kamen wir dennoch ans Ziel. Auch die Kamera fehlte, die mit dem Handy sonst immer griffbereit ist: Stattdessen knipste ich alles analog, durch eine Linse, die fast so alt ist wie ich.

Am meisten vermisste ich aber die Möglichkeit, schnell Informationen abzurufen: Öffnungszeiten, Telefonnummern, Wetterberichte. Ich wurde damit auch zum digitalen Schmarotzer und nutzte meine vernetzten Freunde als verlängerten Arm zu Google. Spätestens da wurde mir klar, wie sehr ich mich auf den Taschencomputer verlasse.

Die italienische Pampa wirkt ohne Smartphone noch idyllischer.
Foto: Tobias Bolzern

Ein verschobener Fokus

Und irgendwann gewöhnt man sich daran, dass die Welt nicht mehr in der Tasche steckt, sondern um einen herum passiert. Natürlich würde ich auch mit einem Smartphone mit meinen Freunden lachen, den Schildkröten im Garten zusehen oder mir Fantasiewesen in den Wolkenformationen ausdenken. Doch ohne digitale Ablenkung verweilt der Blick länger, die Gespräche werden tiefer, die Träumereien grösser.

Und plötzlich ist sie von allein da, die innere Ruhe, die ich so vermisst habe. Das ständige Rauschen weicht einer Klarheit, mein Fokus verschiebt sich. Anstatt auf alles und nichts zugleich zu achten, bin ich wieder ganz im Moment. Selbst der Geruch des Meeres oder das Rascheln der Blätter im Wind bekommen wieder Raum. Langeweile wird zum Genuss.

Nach dem Experiment ging es zurück in die digitale Welt.
Foto: Tobias Bolzern

Nach zehn Tagen kehre ich zurück in die digitale Welt, und das mit der Mässigung fällt mir leichter als zuvor. Die wichtigen Nachrichten finden mich, der Rest kann warten. Was ich gelernt habe? Komplett ohne mein Smartphone kann und möchte ich nicht auskommen, es gehört schliesslich zu meinem Job. Aber nach dieser kurzen Auszeit gehe ich nun wieder viel bewusster damit um. Ich habe mir für gewisse Apps tägliche Zeitlimiten gesetzt, bei einigen die Mitteilungen deaktiviert und andere gleich ganz gelöscht.

Mein Tipp: Probiere es aus. Lass das Smartphone mal zu Hause, wenn du essen gehst. Schalte es nachts aus. Oder gönn dir Ferien ganz ohne digitale Begleiter. Vielleicht wirst du wie ich überrascht sein, wie befreiend es ist.

So begrenzt du deine Bildschirmzeit

Es muss nicht immer gleich eine radikale Lösung sein. Wer seine Bildschirmzeit reduzieren möchte, ohne auf das Smartphone zu verzichten, hat verschiedene Möglichkeiten.

Android-Nutzerinnen und -Nutzer können die integrierten Funktionen rund ums sogenannte «Digital Wellbeing» nutzen. Diese sind seit Android 9 (2018) direkt in das Betriebssystem eingebaut. Definieren kann man diese unter Einstellungen > Digital Wellbeing. Dort kannst du Zeitlimiten für Apps oder etwa verschiedene Fokusmodi festlegen.

iPhone-Nutzerinnen und -Nutzer haben in den Systemeinstellungen ebenfalls die Möglichkeit, ihre Bildschirmzeit zu regulieren. Entsprechende Werkzeuge sind seit iOS 12 (2018) Teil des Systems. Um die Funktionen zu nutzen, gehst du einfach auf Einstellungen > Bildschirmzeit. Dort kannst du Limiten für Apps setzen oder definieren, welche Apps dich auch in bestimmten Fokusmodi stören dürfen.

Allgemeine Tipps, unabhängig vom System, um die Bildschirmzeit zu reduzieren:

  • Deaktiviere Push-Benachrichtigungen für unwichtige Apps
  • Entferne Apps, die du weniger nutzen willst, vom Homescreen
  • Definiere handyfreie Zeiten (z. B. beim Essen, vor dem Schlafengehen)
  • Schalte die Farben aus – damit werden App-Icons weniger attraktiv
  • Finde alternative Beschäftigungen wie Lesen oder Sport

Es muss nicht immer gleich eine radikale Lösung sein. Wer seine Bildschirmzeit reduzieren möchte, ohne auf das Smartphone zu verzichten, hat verschiedene Möglichkeiten.

Android-Nutzerinnen und -Nutzer können die integrierten Funktionen rund ums sogenannte «Digital Wellbeing» nutzen. Diese sind seit Android 9 (2018) direkt in das Betriebssystem eingebaut. Definieren kann man diese unter Einstellungen > Digital Wellbeing. Dort kannst du Zeitlimiten für Apps oder etwa verschiedene Fokusmodi festlegen.

iPhone-Nutzerinnen und -Nutzer haben in den Systemeinstellungen ebenfalls die Möglichkeit, ihre Bildschirmzeit zu regulieren. Entsprechende Werkzeuge sind seit iOS 12 (2018) Teil des Systems. Um die Funktionen zu nutzen, gehst du einfach auf Einstellungen > Bildschirmzeit. Dort kannst du Limiten für Apps setzen oder definieren, welche Apps dich auch in bestimmten Fokusmodi stören dürfen.

Allgemeine Tipps, unabhängig vom System, um die Bildschirmzeit zu reduzieren:

  • Deaktiviere Push-Benachrichtigungen für unwichtige Apps
  • Entferne Apps, die du weniger nutzen willst, vom Homescreen
  • Definiere handyfreie Zeiten (z. B. beim Essen, vor dem Schlafengehen)
  • Schalte die Farben aus – damit werden App-Icons weniger attraktiv
  • Finde alternative Beschäftigungen wie Lesen oder Sport
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