Professor Vetterli erklärt
Wie funktioniert Gesichtserkennung?

Martin Vetterli ist Präsident der EPFL in Lausanne und führender Experte für Digitalisierung. Jede Woche erklärt er Begriffe aus der digitalen Welt.
Publiziert: 19.11.2017 um 14:20 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 13:09 Uhr
Algorithmen erkennen Gesichter
Foto: Getty Images/iStockphoto
Martin Vetterli
Martin VetterliPräsident der EPFL Lausanne

Ich muss zugeben: Gesichter zu erkennen, war nie meine grosse Stärke. Dabei gehört der Mensch diesbezüglich zu den Besten im Tierreich. Napoleon soll alle ­Soldaten seiner Armee beim ­Namen gekannt haben. Für ­Leute wie mich hat ein Student der Universität Harvard nun die grösste Gesich­tersammlung der Welt angelegt. Facebook kann mittlerweile sogar ein Selfie ­erkennen, kaum dass Sie es hochgeladen haben, und fragt sofort: «Bist du das?»

Wie funktioniert das?

Wie ist es möglich, dass ein Computer Ihr Gesicht erkennt und es nicht mit dem Ihrer Schwester verwechselt? Der Mensch kann sogar in simpelsten Zeichnungen Gesichter sehen. Denken Sie sich ein Smiley mit zwei Punkten für die Augen und ­einem Strich für den Mund: Die Einzelheiten der Zeichnung sind unwichtig, denn der zugrunde liegende Mechanismus basiert darauf zu erkennen, ob die dunklen Flecken (Augen und Mund) geometrisch in passender Weise angeordnet sind.

Ein Algorithmus zur Gesichts­erkennung funktioniert ähnlich. Auch er lässt die feinen visuellen Informationen eines Gesichts ausser Acht und prüft, wie die hellen und dunklen Flecken angeordnet sind. Das ist ein effizientes Verfahren, weil viele unnötige Informationen rausgefiltert werden. Zugleich ist die Lösung stabil, weil Fotografien von Gesichtern in Form und Belichtung unterschiedlich daherkommen.

Gesichter lernen

Moderne Algorithmen sind in der Lage, viele weitere fein ab­gestimmte Gesichtsmerkmale zu ­erkennen und zu entscheiden, ob es sich bloss um ein gezeichnetes Smiley oder um ein echtes Gesicht handelt. Weil zudem kein menschliches Gesicht dem anderen gleicht, kann ein moderner Algorithmus auch viele feine Abweichungen in der Anordnung der Gesichtszüge verarbeiten.

Hierzu «trainiert» man den ­Detektor mit Tausenden von manuell beschrifteten Fotos aus dem realen Leben. Die Fotos zeigen die ganze Vielfalt unserer einzigartigen Gesichter. Wie Sie sich vorstellen können, ist eine grosse Gesichterdatenbank wie bei Facebook ideal geeignet, um ein solches Programm zu trainieren: ein Spielplatz, auf dem das Programm lernt, was für Gesichter es gibt und was das eine vom anderen unterscheidet. Und die Nutzer übernehmen unentgeltlich die Beschriftung! Übrigens ist auch das ein Grund, weshalb Facebook Gesichter so gut erkennt und sogar ­Namen vorschlägt, die Sie Ihren hochgeladenen Fotos hinzufügen können. Neuerdings lässt sich auch das neue iPhone einfach per Gesichtserkennung entsperren.

Napoleon und seine Soldaten

Würde Napoleon heute leben, bräuchte er nicht mehr jeden ­Soldaten namentlich zu kennen – sein Smartphone würde ihm den Namen innert Sekunden verraten. Zu seinen Lebzeiten aber ­war die Fähigkeit, Gesichter zu erkennen, entscheidend. Tatsächlich weiss man, dass damals eine militärische Kompanie im Durchschnitt aus 150 Personen bestand. Diese Zahl, die sogenannte ­Dunbar-Zahl, ist die Höchstzahl an Menschen, mit denen wir ­stabile soziale Beziehungen unterhalten und deren Gesichter wir schnell erkennen können. Man kann sich daher fragen: Vergrössert sich im Zeitalter des Internets und der Gesichtserkennungs-­Algorithmen die durchschnitt­liche Grösse ­sozialer Gruppen?

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