Professor Vetterli erklärt
So funktioniert elektronische Demokratie

Martin Vetterli ist Präsident der EPFL in Lausanne und führender Experte für Digitalisierung. Jede Woche erklärt er Begriffe aus der digitalen Welt.
Publiziert: 27.05.2018 um 20:53 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 16:05 Uhr
Verzichten wir bald auf das herkömmliche Wählen?
Foto: Reuters
Martin Vetterli
Martin VetterliPräsident der EPFL Lausanne

Ein Mal im Jahr versammeln sich die Bewohner bestimmter Kantone der Schweiz, um über verschiedene politische Anliegen zu entscheiden. Und das tun sie, indem sie ihre Wahlkarten in die Höhe halten. Das ist ein fantastisches Beispiel für direkte Demokratie. Vor ein paar Wochen hatte ich die Gelegenheit, solch eine Landsgemeinde, wie diese Versammlungen genannt werden, im kleinen Kanton Glarus zu ­besuchen.

8000 Personen bei der Entscheidung zu beobachten, ob Fahrradwege (abgelehnt) oder neue Sportanlagen (stillschweigend akzeptiert) ­errichtet werden, ist eine besondere ­Erfahrung, und es rief mir in ­Erinnerung, dass Wählen ein recht kniffliger Vorgang ist.

Es gibt kein optimales Wahlverfahren

wir einen Blick auf das Wahlverfahren selbst. Stellen Sie sich vor, dass sich zwei Kandidaten um ein Amt bewerben. Es ist offensichtlich, dass eine Mehrheitsentscheidung den Gewinner genau den Präferenzen der Wähler entsprechend bestimmen würde. Aber sobald nur drei Kandidaten antreten, wird die Angelegenheit kompliziert.

Wenn zum Beispiel 60 Prozent der Wähler den ersten Kandidaten nicht mögen, aber sich ihre Sympathie ansonsten gleichmässig auf den zweiten und den dritten Kandidaten verteilt, gewinnt der erste Kandidat die Wahl mit 40 Prozent der Stimmen, obwohl die Mehrheit der Wähler ihn hassen würde. Genau diese Tatsache musste Al Gore bei den Präsidentschaftswahlen 2000 schmerzhaft erfahren, als ­George W. Bush gewann und sich die Mehrheit der Stimmen auf Gore und einen Minderheitskandidaten aufteilte.

Tatsächlich existiert kein ­optimales Wahlverfahren, das die vollständige Erfüllung der Wünsche der Mehrheit ­garantiert (aus diesem Grund existieren weltweit viele Wahlverfahren). Aber können wir ­wenigstens die Auszählung ­verbessern? Möglicherweise mit elektronischen Wahlsystemen? In der Theorie ja.

Wie bei vielen anderen Internetangeboten könnte man sich bei einem öffent­lichen Server einloggen und dort seine Stimme abgeben (es bestünde also keine Notwendigkeit, ein Wahlwochenende abzuhalten und in die Wahl­lokale zu pilgern). Das würde zu einer perfekten Auszählung ­führen.

Aber anderseits würde eine solche elektronische ­Variante einige Sicherheitschecks erfordern – wie Passwörter oder im Idealfall sogar eine doppelte Authentifizierung. Selbst dann könnte so ein ­System gehackt werden.

Es gibt gute Nachrichten 

Es gibt allerdings gute Nachrichten: Mittlerweile existiert auch eine dezentralisierte und sicherere Variante des elektronischen Wählens. Diese basiert auf der berühmten Blockchain-Methode, die gegenwärtig bei Kryptowährungen so beliebt ist (darüber schrieb ich schon in vorangegangenen Kolumnen).

Eine mögliche Anwendung ­dieser neuen Technologie könnte tatsächlich in der elektronischen Umsetzung einer demokratischen Wahl liegen. Mit dieser Methode wäre ein Wahlver­fahren, das nur sehr schwer zu hacken und zu manipulieren und perfekt auszählbar ist, vorstellbar. Was damit aber immer noch nicht optimiert werden könnte, wären die rhetorischen Fähig­keiten. Genau wie in der Landsgemeinde im kleinen Kanton Glarus.

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