Professor Vetterli erklärt
Was ist Kausalität?

Martin Vetterli ist Präsident der EPFL in Lausanne und führender Experte für Digitalisierung. Jede Woche erklärt er Begriffe aus der digitalen Welt.
Publiziert: 02.09.2018 um 15:52 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 21:49 Uhr
Martin Vetterli
Martin VetterliPräsident der EPFL Lausanne

Damals in der Highschool bin ich oft ­getrampt (diese Freeride-Sharing-Methode vor Uber, Sie wissen schon). Einmal nahm mich ein Verkäufer einer Tabakfirma mit, und wir stritten darüber, ob Rauchen Lungenkrebs verursacht. Sein Argument war einfach: In der Schweiz war die Zahl der Babys pro Familie und die Zahl der Störche seit dem Zweiten Weltkrieg zurückgegangen. Heisst das, dass Störche die ­Babys brachten?

Natürlich nicht, und in ähnlicher Weise sah er keine Verbindung zwischen dem Anstieg des Tabak­konsums und Lungenkrebs. Es war nur ein Zusammenhang, argumentierte er, aber es gab keine Ursache-Wirkung-Beziehung (Kausalität). So absurd es auch klingen mag, er brachte ein stichhaltiges Argument vor. Ein Zusammenhang zwischen zwei Phänomenen, wie der Anzahl der Babys und Störche, bedeutet nicht, dass es auch eine kausale Beziehung gibt.

Vor einigen Jahren veröffentlichte ein Arzt einen humorvollen ­Artikel mit einer ähnlichen ­Logik. Er zeigte einen klaren Zusammenhang zwischen dem Schokoladenkonsum eines ­Landes und der Anzahl der ­Nobelpreise! In seinen Daten zeigte er, dass Länder mit mehr Schokoladenkonsum mehr Nobel­preisträger hatten. Beispiels­weise liegt der Schokoladenkonsum in der Schweiz bei rund zwölf Kilogramm pro Jahr, und die Schweiz hatte zum ­Zeitpunkt der Analyse 33 Nobelpreisträger.

Auf der anderen Seite verbrauchten Länder wie Frankreich­ oder Italien, die jeweils nur fünf bis zehn Nobelpreisträger hatten, weniger als fünf Kilogramm Schokolade pro Jahr und Person.

Zweifellos war der Artikel des Arztes ironisch gemeint: Eine einfache Datenkorrelation ­zwischen zwei Phänomenen beweist keine Kausalität, da zwei Ereignisse einfach zusammen auftreten können, ohne eine klare Ursache-Wirkung-Beziehung zu haben (wie Störche und Babys). Man kann jedoch nicht völlig ausschliessen, dass Schokolade die Intelligenz beeinflusst, auch wenn es umgekehrt sein könnte (dass viele Nobelpreisträger in einem Land zu einem hohen Schokoladenkonsum führen). Kausalität kann also sehr wohl eine Erklärung für einen beobachteten Zusammenhang sein.

Aber es ist nicht die einzige. Im diskutierten Fall ist es viel wahrscheinlicher, dass beide Phänomene, Schokoladenkonsum und Nobelpreise, einfach von einem dritten Faktor beeinflusst werden, wie dem Reichtum ­eines Landes. Dies ­würde einen ­direkten Zusammenhang zwischen beiden ausschliessen.

Wie ist das nun bei Zigaretten und Lungenkrebs? Heute wissen wir, dass Rauch eine Fülle von Karzinogenen enthält. Das sind chemische Substanzen, die die Zellen in der Lunge schädigen und damit das Risiko für Lungenkrebs erhöhen. So wurde für ­Zigaretten und Lungenkrebs eine klare Kausalität gefunden. Doch bevor dies bekannt wurde, war es auch nur ein reiner Zusammenhang. Und tatsächlich argumentierte Ronald Fischer, einer der berühmtesten Statistiker des 20. Jahrhunderts, gegen einen Kausalzusammenhang (genau wie der Verkäufer im Auto) – und das alles, während er ruhig seine Pfeife rauchte.

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