Missbrauch-Skandal, Fake News und Verschwörungstheorien
Was aus Facebook geworden ist

Nach dem Skandal über den Missbrauch von Daten, nach Fake News und Verschwörungstheorien ist der Ruf von Facebook ramponiert. Das soziale Netzwerk steht vor einer grossen Bewährungsprobe.
Publiziert: 12.10.2018 um 16:37 Uhr
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Aktualisiert: 24.10.2018 um 09:27 Uhr
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Wie will Zuckerberg sein Facebook wieder reparieren?
Foto: DUKAS
Adrian Meyer

«Kennst du Facebook?», fragte sie zum Abschied. Wir hätten uns nie wieder gesehen nach diesem lustigen Abend in einer Bar in Barcelona. Sie war Backpackerin aus den USA, ich reiste per Zug durch Spanien. Da sagte sie diesen Satz. Ich hatte keine Ahnung, was ein Facebook war. Es war 2007, und über Social Media wussten damals nur eingeweihte Nerds Bescheid. Also schickte sie mir eine Einladung. Neugierig meldete ich mich an. Und verband mich mit Menschen, von denen ich zwar noch eine E-Mail-Adresse hatte und Erinnerungen an schöne Momente, sonst aber keinen Kontakt hielt. Plötzlich blickte ich durch ein digitales Fenster in ihren Alltag; sie schrieben über ihre Sorgen, ihre Sehnsüchte, ab und zu mit einem Bild, meist verwackelt, HD war da noch nicht.

Bald meldeten sich immer mehr Freunde an, wir schrieben uns gegenseitig Blödsinn und Neues in die Timeline, die damals noch Pinnwand hiess. In Statusmeldungen redeten wir noch in der dritten Person über uns selbst. «Adrian ist krank» oder «Adrian freut sich auf das Wochenende in London». Es waren meist banale Wortmeldungen ins digitale Tagebuch. Sie zeugen von der anfänglichen Naivität, dem unbekümmerten Umgang mit Facebook; dem man Privates anvertraute, ohne an Datenmissbrauch, Privatsphäre, Fake News oder Verschwörungstheorien zu denken.

Es scheint ewig her. Dabei ist Facebook noch nicht einmal 15 Jahre alt. Rasant stieg das einstige digitale Jahrbuch für Harvardstudenten zum grössten sozialen Netzwerk mit weltweit mehr als zwei Milliarden aktiven Nutzern auf. Eine unfassbare Zahl. Schnelles Wachstum war stets die Basis von Facebooks Geschäftsmodell – getreu dem ursprünglichen Firmen-Motto «Move fast and break things».

Facebook und die Börse

Seit dem Börsengang von Facebook im Jahr 2012 wuchs die Nutzerzahl von 1 Milliarde auf 2,2 Milliarden und der Umsatz von 5 auf 40 Milliarden Dollar. Konkurrenten wie das Fotonetzwerk Instagram, den Nachrichtendienst Whatsapp und die Virtual-Reality-Brillenhersteller Oculus VR kaufte Facebook auf. Der Aktienkurs stieg von 38 Dollar auf den Höchststand von 210 Dollar im Juli dieses Jahres. 630 Milliarden Dollar war Facebook zu der Zeit an der Börse wert. Lange ging die Wachstumsstrategie auf. Doch im Wettlauf um neue Nutzer verstolperte sich die Plattform. Aus dem Freundesnetzwerk wurde eine Schleuder für Falschmeldungen und Verschwörungstheorien, ein Hort für Hassreden und Gewaltdarstellungen. Selbst Holocaustleugnungen tolerierte CEO Mark Zuckerberg. Man dürfe Falsches behaupten, solange man es nicht absichtlich mache oder zu Gewalt aufrufe, sagte er jüngst in einem Interview.

Die vermeintliche politische Neutralität und die Berufung auf die freie Meinungsäusserung hat Kalkül: Auch mit Falschmeldungen und rechter Hetze lassen sich Werbegelder verdienen. Kritiker warfen Zuckerberg moralischen Opportunismus vor und Feigheit vor den Aktionären, die nur eines wollen: dass das Netzwerk weiter wächst. Die Daten der Nutzer waren das Öl, das die Maschine am Laufen hielt. Möglichst viele Informationen über möglichst viele Nutzer anzuhäufen, um gezielt Werbung für sie auszuspielen, das ist der Kern von Facebooks Geschäft. Die Daten zu schützen, war nebensächlich.

Was weiss der Social-Media-Gigant?

Um herauszufinden, was Facebook eigentlich über mich weiss, fordere ich vom Netzwerk meine Informationen an. Ich erhalte einen 340 Megabyte grossen Download-Ordner mit etwa 3000 Dateien. Darin gesammelt sind alle meine Likes, die ich in den vergangenen elf Jahren vergab, alle Kommentare, die ich schrieb, alle Bilder, die ich postete. Als ich durch die jahrealten Nachrichten und Statusmeldungen stöbere, überkommt mich ein seltsames Gefühl.

Mich gruselt weniger die Fülle an gesammelten Daten. So naiv war ich nicht, zu denken, dass Facebook meine Daten vergisst. Stets wusste ich: Ist etwas gratis, bist du das Produkt. Nein, unangenehm ist der Blick auf mein früheres Selbst: Peinlich berührt über meine damaligen Sorgen, die unkommentierten Wortmeldungen ins digitale Nirvana, den längst abgelegten Jugendslang. Sie lesen sich wie ein längst vergessenes Tagebuch aus der Teenagerzeit. War das wirklich einmal ich? Gespannt klicke ich auf den Ordner mit dem Titel «Über dich». Ich erwarte eine tiefgehende Analyse, wie Facebook mich einschätzt, welche Werbung zu mir passt, welche Persönlichkeit sie mir attestieren. Doch da steht bloss: «etabliertes Erwachsenenleben». Es ist mir klar: Facebook weiss mit Sicherheit mehr, als es mir vorgaukelt.

Tatsächlich brachte die gut geschmierte Datenmaschine ausgerechnet erstmals ein gewaltiger Datenmissbrauch ins Stottern: Im März wurde bekannt, dass die britische Datenanalysefirma Cambridge Analytica die persönlichen Informationen von etwa 87 Millionen Facebook-Profilen ohne die Zustimmung der Nutzer dazu verwendete, die öffentliche Meinung bei der US-Präsidentschaftswahl und bei der Brexit-Abstimmung mit unerlaubter Wahlwerbung zu beeinflussen.

Facebook wusste davon seit 2015, informierte die Nutzer aber nicht. Im Zuge der Enthüllungen verlor Facebook 50 Milliarden Dollar an der Börse. Nutzer riefen in der Bewegung #deletefacebook massenhaft zum Boykott auf. Zuckerberg persönlich musste vor dem US-Kongress aussagen; er zeigte sich reumütig, entschuldigte sich und versprach Besserung beim Datenschutz. Zunächst schien es, als könne der Skandal Facebooks Geschäft wenig anhaben: Die Aktie erholte sich rasch und stieg auf Rekordwerte. Die Maschine lief weiter.

Rekord-Knall

Der grosse Knall kam vier Monate später, im Juli: Facebook präsentierte seine Quartalszahlen – und verlor auf einen Schlag 150 Milliarden Dollar an Börsenwert. Die Aktie sackte um ein Viertel ihres Werts ab. Es war der grösste Kurssturz der Geschichte. Und dies, obwohl Facebook fünf Milliarden Dollar Gewinn machte.

Das Problem: Nicht nur der Umsatz, auch die Zahl der aktiven Nutzer stagnierte erstmals. In Europa gingen sie sogar zurück: Drei Millionen täglich aktive Nutzer verabschiedeten sich dort von Facebook.

Die Zahlen belegen ein immer grösseres Unbehagen gegenüber dem sozialen Netz-werk. Vor allem in Europa, wo Datenschutzbedenken grösser sind. Facebook nennt dann auch die neue EU-Datenschutz-Grundverord- nung, die seit Mai gilt, als Grund für den Nutzerschwund. Dabei war der Facebook-Überdruss längst sichtbar. Kaum jemand schrieb noch Persönliches, nur die ewigen Selbstdarsteller erschienen auf der Timeline; dazu fast nur noch Videos von gelikten Newsseiten, von Prominenten oder Konzernen. Die meisten Freunde blieben stumm oder unsichtbar. Das Netzwerk tötelte. Dass Facebook sich nur um Konzerne und Werbetreibende kümmert und weniger um die Nutzer, war offensichtlich geworden. Beim Börsengang vor sechs Jahren schrieb Mark Zuckerberg in einem offenen Brief, er wolle mit Facebook «die Welt offener und vernetzter machen». Der optimistische Glaube an die Verbesserung der Welt machte ihn aber blind dafür, dass aus dem Netzwerk ein kaum beherrschbares Monster wurde.

Fake-News und Propaganda

Anstatt die Welt offener zu machen, entstanden Filterblasen, nutzen Diktaturen das Netzwerk für Propaganda, versuchen fremde Regierungen, darüber Wahlen zu beeinflussen. Statt dass Menschen sich vernetzen, verbreiten sie Hassreden, die etwa in Myanmar in reale Gewalt ausbrachen. Dort wird auf Facebook seit Jahren Stimmung gegen muslimische Minderheiten gemacht, ohne dass Facebook je eingriff. Auch in Deutschland sorgten Falschmeldungen auf Facebook für Attacken auf Flüchtlinge, zeigte eine Studie.

Bisher mogelte sich Zuckerberg mit der Haltung durch, bloss eine Plattform zu sein, die nicht verantwortlich sei für die Inhalte. So konnte er das gewaltige Wachstumstempo ohne Rücksicht weiterverfolgen. Daraus wurde vor dem US-Senat bei der Anhörung: «Wir sind verantwortlich für den Inhalt, aber wir produzieren den Inhalt nicht.» Der Druck auf Facebook, die Bedürfnisse seiner Nutzer endlich ernst zu nehmen, ist seit dem Datenskandal rasant gestiegen. Zuckerberg versprach, in den Datenschutz zu investieren und Manipulationen zu verhindern.

Hassreden und Falschmeldungen will er vermehrt bekämpfen. Zudem sollen die Nutzer wieder im Zentrum stehen: mehr persönliche Fotos von Freunden, weniger Nachrichten, mehr Katzenfotos, weniger Videos. Ein Stück zurück zu den Wurzeln also. Seit Juli wirbt Facebook in einer breit angelegten Imagekampagne für ein «fortschrittlicheres, besseres Facebook». In gewohnt salbungsvollen Tönen entschuldigt sich das Netzwerk, gesteht Fehler ein und verspricht Besserung im Umgang mit ihren Daten.

Facebook steht am Scheideweg

Als Schönfärberei und blosses Marketing bezeichnen das Kritiker. Facebook zu «reparieren» versprach Mark Zuckerberg bereits Anfang des Jahres – vor dem Datenskandal. Doch solch ein Umbau kostet viel Geld. Bis zu 60 Prozent mehr will Zuckerberg investieren für Datensicherheit, Marketing und Inhalte. Das aber verärgert Anleger. Facebook steht am Scheideweg: Räumt der Konzern auf, muss er sich von der Politik des rasanten Wachstums verabschieden. Macht er weiter wie bisher, dürften die Nutzer zunehmend davon- rennen. Denn Facebooks Image hat in den vergangenen Monaten arg gelitten. Vor allem für junge Nutzer ist das grösste soziale Netzwerk schlicht out. In der Schweiz etwa verlor Facebook innerhalb eines Jahres ein Viertel sei- ner U20-Nutzer. Die meisten sind weitergezogen zu anderen Plattformen. Persönliche Nachrichten schreibt man sich auf Whatsapp, Bilder veröffentlicht man auf Instagram. Dort hat man das Gefühl, unter sich zu sein. Noch.

Während die Wachstumsjahre für Facebook vorbei sind, konzentriert sich der Konzern vermehrt auf die oben genannten Tochterfirmen. Zudem wächst er weiterhin in Asien und im Pazifik. So schnell wird das Netz- werk nicht verschwinden. Dafür ist es schlicht zu gross, seine Werbemacht gewaltig. Auch ich habe Facebook noch nicht aufgegeben. Ich bin zwar stummer geworden. Aber ganz Adieu sagen will ich noch nicht. Vielleicht wird es ja irgendwann doch wieder nützlich?

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