Digitalisierungsexperte Professor Martin Vetterli erklärt
Wie funktioniert Tomografie?

Martin Vetterli ist Präsident der EPFL in Lausanne und führender Experte für Digitalisierung. Jede Woche erklärt er Begriffe aus der digitalen Welt.
Publiziert: 22.04.2018 um 14:05 Uhr
|
Aktualisiert: 14.09.2018 um 15:56 Uhr
Eine Ärztin erklärt ihrem Patienten ein Röntgenbild.
Foto: KEY
Martin Vetterli
Martin VetterliPräsident der EPFL Lausanne

Ich war noch klein, als ich zum ersten Mal ein chinesisches Schattentheaterstück sah. Schon damals habe ich mich gefragt, wie man mit den Händen die Umrisse ­eines Kaninchens formen kann. Was mich noch mehr faszinierte, war die Frage, ob es mir gelingen würde, aus einem Schatten zu schlussfolgern, wie die Hände gehalten werden.

Das ist ein gutes Beispiel für sogenannte inverse Probleme, mit denen sich die Wissenschaft beschäftigt. Kann ich schluss­folgern, wie ein Gegenstand ­aussieht, auch wenn ich den Gegenstand selbst (z. B. die Hände) nicht direkt sehen kann, sondern nur ein indirektes Bild von ihm (den Schatten)?

Das Ergebnis hängt davon ab, aus welcher Richtung bestrahltwird.

Allgemein betrachtet scheint das beinahe unmöglich, aber wenn ich etwas über den ursprünglichen Gegenstand weiss – beispielsweise, dass es eine Hand ist –, kann ich auf dessen Stellung im Raum schluss­folgern?

Das beschriebene Gedanken­experiment steht stellvertretend für Probleme, die heutzutage viel bedeutender sind, etwa die Tomografie in der Medizin. ­Dabei handelt es sich nicht nur um Schwarz-Weiss-Bilder, denn bei einer Röntgenaufnahme beim Menschen wird der Röntgen­strahl je nach dem abgebildeten Körperteil verschieden stark gedämpft. Wir erhalten ein Röntgenbild mit verschwommenen und blassen Stellen – in ­Abhängigkeit davon, welche Art von Gewebe und wie viel ­Substanz von der Strahlung durchdrungen wird.

Das Ergebnis hängt davon ab, aus welcher Richtung bestrahlt wird. Setzen wir das Gerät in  ­ einem anderen Winkel an, ­erhalten wir ein ­komplett anderes Bild. Setzt man etliche dieser Bilder aus ­vielen Richtungen ­zusammen, könnte man dann nicht die Dämpfung im Körper rekonstruieren, die das Skelett und die anderen Körperteile der Röntgenstrahlung entgegensetzen?

Tomografie ist eine preiswerte Technik

Ja, kann man! Wie, das hat der österreichische Mathematiker Johann Radon herausgefunden – lange bevor die Tomografie erfunden wurde. 1917 wies er nach, dass man die Dämpfung bestimmen kann, wenn man Projektionen aus allen Richtungen hat. Radon hat damals gar nicht erwartet, dass seine Entdeckung irgendwann einmal sehr nützlich sein würde. (Das ist bei vielen mathematischen Entdeckungen so.) Die zugehörige mathematische Formel heisst Radon-Transformation, ohne sie wäre die Erstellung von Tomografiebildern gar nicht möglich.

Dank des Mooreschen Gesetzes (das ich ­Anfang Jahr behandelt habe) sind Dinge, für die man früher ­einen riesigen Rechenapparat brauchte, heute alltäglich und können von einem normalen Computer erledigt werden. So ist die eine preiswerte Technik, die in den meisten Krankenhäusern überall auf der Welt zur ­Verfügung steht.

Die Tomografie ist nur ein Beispiel für inverse Probleme. Aus meiner Sicht gehören sie zu den interessantesten wissenschaftlichen Fragen in der Mathematik. Ihre Einsatzzwecke sind zahlreich. Man begegnet ihnen in der Technik, bei der Akustik, Funkmessung, Astronomie und bei vielen IT-Anwendungen. Ich lag als Kind gar nicht so falsch, als ich überzeugt war, dass die ­Sache mit dem chinesischen Schattentheater etwas sehr ­Magisches und Tiefschürfendes hatte.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?