Chat Roulette
Der Internet-Hype mit den Perversen

In den USA sind bereits Hundertausende angefressen: Nun erobert das Videochatten mit zufällig ausgewählten Fremden auch Europa. Und zieht leider auch Perverse an.
Publiziert: 15.03.2010 um 14:20 Uhr
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Aktualisiert: 06.09.2018 um 20:28 Uhr
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Ganz einfach: Unten im Fenster von Chat Roulette sieht man sich selber, oben ein zufällig zugeloster Fremder, mit dem man Video- oder Textchatten kann.
Von Lorenz Keller

Erfunden hats ein 17-jähriger Student aus Moskau im letzten November. Inzwischen ist es ein riesiger Internet-Hype. Die Idee hinter www.chatroulette.com ist bestechend einfach: Auf einer minimalistisch gehaltenden Webseite wird der Benutzer auf Knopfdruck per Videochat mit einem komplett Fremden verbunden. Zufällig und innerhalb von Sekunden. Mit der neuen Bekanntschaft kann man über Mikrofon und Lautsprecher Kontakt aufnehmen oder ein paar Zeilen im Chat schreiben.

Und möchte man nichts sagen, drückt man einfach auf den „Next“-Button und bekommt eine neue Zufallsbekanntschaft zugelost. Im Gegensatz zu herkömmlichen Chats sieht der Surfer dabei das Gegenüber, was wohl einen grossen Teil des Reizes von Chat Roulette ausmacht. Die Webseite hat grosses Suchtpotential, was viele Berichte in Foren und Blogs bestätigen. Denn im besten Fall führt man spannende Gespräche mit Menschen, die man sonst nie im Leben getroffen hätte.

Im schlechtesten Fall bleibt immerhin die Spannung, zu wem man sich als nächstes ins Büro oder ins Wohnzimmer klickt. Den „Big-Brother-Voyeurismus“ erlebt der Chatter nicht weit weg im Fernsehen, sondern direkt auf dem eigenen Computer. Und das ist durchaus spannend und unterhaltend.

Leider ist das Programm auch ein bisschen russisches Roulette: Denn neben vielen Männern und deutlich weniger Frauen tummeln sich im Videochat auch (meist männliche) Perverse, die ihre Webcam nicht auf ihr Gesicht, sondern auf andere Körperteile gerichtet haben.

Verhindern lässt sich das bisher nicht, obwohl die Benutzer „Nudity“ (sprich nackte Chatter) melden können. Die meisten aber drücken bloss den „Next“-Button und hoffen auf mehr Glück.

Ein weiterer Nachteil des Hypes: Es tummeln sich zu jeder Tages- und Nachtzeit Zehntausende auf der Seite, so dass sie teilweise überlastet ist. Und nichts ist ärgerlicher, als mitten in der spannendesten Unterhaltung (oder einem heissen Flirt) aus dem Chat zu fliegen. Denn wenn man nicht Adressen getauscht hat, ist ein Wiederfinden auf Chat Roulette unmöglich. Clevere Zürcher haben dieses Manko erkannt und darum www.lostyouonchatroulette.com aufgeschaltet. Hier kann man per Gratis-Kleininserat nach verlorenen Zufallsbekanntschaften suchen.

Der New Yorker Filmemacher Casey Neistat hat übrigens schon einen Kurzfilm über Chat Roulette gedreht, in dem er das Phänomen mit ironischem Unterton analysiert (Video siehe unten).

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