Zum Tag der seltenen Krankheiten
«Ich musste wieder lernen zu atmen, zu sprechen, zu laufen und zu schreiben»

Seltene Krankheiten kommen, wie es der Name schon sagt, nur selten vor. Trotzdem sind in der Schweiz sieben Prozent von einer solchen Diagnose betroffen. Zwei betroffene Frauen erzählen aus ihrem Leben.
Publiziert: 28.02.2025 um 20:18 Uhr
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Rund sieben Prozent der Schweizer Bevölkerung ist von einer seltenen Krankheit betroffen.
Foto: Keystone

Krankheiten gibt es viele, auch viele Bekannte. Aber was ist, wenn man eine Krankheit hat, die so selten ist, dass sogar Ärzte und Spezialisten vor einem grossen Fragezeichen stehen? Genau das wollte Blick wissen und zum Tag der seltenen Krankheiten Menschen ins Licht rücken, die tagtäglich mit ihrer seltenen Diagnose leben.

Denn obwohl laut dem Bundesamt für Gesundheit eine Krankheit erst dann als selten gilt, wenn sie höchstens 5 von 10'000 Personen betrifft, dürften in der Schweiz rund sieben Prozent der Bevölkerung von einer betroffen sein.

Dazu gehören auch zwei Frauen, die sich in diesem Artikel vorstellen. Melanie von Niederhäuser (33) lebt mit einer akuten Porphyrie, die sie bis zu einer totalen Lähmung gebracht hat. Und Sophie Wiesbauer (25) lebt mit der Diagnose MPS IVA, einer seltenen Krankheit, von der gerade mal ein Dutzend Menschen in der Schweiz betroffen sind.

Melanie von Niederhäusern (33): «Ich musste wieder lernen zu atmen, zu sprechen, zu laufen und zu schreiben»

Melanie von Niederhäuser (33) lebt mit der Krankheit Porphyrie. Sie kann mit der Krankheit gut umgehen, sagt sie. Vor allem ist sie aber froh, endlich eine Diagnose zu haben.
Foto: zVg

«Bei meiner Krankheit, akute Porphyrie, handelt es sich um eine genetische Stoffwechselerkrankung. Dabei kommt es zu einer Bildungsstörung des Blutfarbstoffs Häm. Ein häufiges Symptom sind sehr starke Bauchschmerzen. So bin auch ich zu meiner Diagnose gekommen. Ich hatte immer wieder Schübe mit starken Schmerzen, wusste nur nicht, was es genau war. Schlussendlich hatte ich so starke Bauchschmerzen und war total gelähmt, dass ich beatmet werden musste. Durch den schweren Schub konnte ich auch nicht mehr reden, atmen und mich nicht mehr bewegen. Die Ärzte waren ratlos, was mit mir los war. Immer wurde mir gesagt, es sei nur eine Kopfsache, ich konnte mich aber nicht mehr richtig bewegen und hatte schlimme Schmerzen am ganzen Körper. Wie soll das den bloss eine Kopfsache sein? Wenn der ganze Körper gelähmt ist, ist es eben schon ernst zu nehmen. Auch die Fragen, die mir in den Wochen davor durch den Kopf gingen, waren eigentlich das Schlimmste. Die Ängste, was auf mich zukommt, wie sind die Prognosen, ob ich je wieder gesund werde oder die Frage, ob ich daran sterben kann, waren fast unerträglich. Die Diagnose erhielt ich dann einen Monat später, im Januar 2023. Von da an ging es für mich wieder bergauf. Zwar musste ich im Paraplegikerzentrum Nottwil wieder lernen zu atmen, zu sprechen, zu laufen und zu schreiben, aber ich hatte endlich Klarheit. Meine Finger sind zwar noch immer gelähmt, ich kann sie nicht ganz strecken und auch mit den Füssen habe ich noch Probleme. An meinen Fingern bilden sich Blasen vom Licht, die sind eigentlich immer da, egal ob ich gerade einen Schub habe oder nicht.

Im Paraplegikerzentrum Nottwil musste sie nach einem starken Schub wieder lernen zu atmen, laufen, zu sprechen und zu schreiben.
Foto: zVg

Heute kann ich mit meiner Krankheit aber gut leben, ich muss einfach auf mich schauen. Meine Diagnose ist nicht heilbar, aber therapierbar. Ich muss dafür sorgen, dass ich genug Kohlenhydrate zu mir nehme, dass ich Stress im Alltag minimiere und auch, dass ich keine Medikamente zu mir nehme, die einen Schub fördern könnten. So habe ich heute vielleicht all Halbjahr mal wieder einen Schub, sonst kann ich das eigentlich gut kontrollieren. Eigentlich gäbe es Medikamente, die ich nehmen könnte, um die Schübe zu verhindern. Diese werden aber nur von der Krankenkasse bezahlt, wenn man vier Schübe pro Jahr hat. Das stresst mich natürlich, aber mein Leben ist durch meine Krankheit nicht verkürzt. Und heute weiss ich auch, wie ich damit umgehen muss.»

Sophie Wiesbauer (25): «Ich leide nicht unter meiner Krankheit, ich lebe mit ihr»

Sophie Wiesbauer (25) lebt mit MPS IVA. Ihre Diagnose ist nicht heilbar, aber therapierbar.
Foto: zVg

«Meine Krankheit ist nicht selten, sondern ultra-selten! In der Schweiz gibt es gerade mal so ein Dutzend Menschen, die mit meiner Diagnose MPS IVA leben. Ausgeschrieben heisst meine Krankheit Mukopolysaccharidose. Ich habe davon Typ 4A, eine Unterkategorie. Was meine Diagnose ausmacht, ist, dass sie zwar nicht heilbar ist, aber ich habe Therapiemöglichkeiten. Ich kann meine Krankheit verlangsamen, indem ich wöchentlich eine Enzyminfusion bekomme. Diese kann ich zum Glück zu Hause machen, in meinen eigenen vier Wänden, was mir einen grossen Teil Freiheit gibt. Die Bedingung ist einfach, dass neben der Infusionskrankenschwester eine Person anwesend ist, die mich kennt und sich auch mit meinen Medikamenten auskennt. Aber während ich die Infusion erhalte, kann ich singen, zeichnen oder mit meinen beiden Katzen spielen. Das gesamte Prozedere dauert knapp fünf Stunden. Danach bin ich oft sehr müde oder sehr hungrig. Mühsame Nebenwirkungen wie Übelkeit habe ich zum Glück so selten, dass ich mich gar nicht mehr genau daran erinnern kann.

Die Enzymtherapie kann ich schon seit 2016 so machen. Davor war es ein steiniger Weg, um es ehrlich auszudrücken. Schon im frühen Alter hat man gemerkt, dass etwas nicht ganz stimmt. Mit eins habe ich aufgehört zu wachsen. Typisch für meine Diagnose sind auch die Skelettverformungen. Ich habe eine Trichterbrust und Gibus sowie X-Beine. Das macht auch, dass ich Probleme mit den Hüften habe beim Laufen. Meine Haare sind dicker und für uns MPS4er ist es typisch, dass wir einen Rotstich in den Haaren haben. Das kommt vom Enzymmangel.

Zu meinem Glück habe ich meine Diagnose sehr früh erhalten, im Jahr 2001. Durch einen Unfall zu Hause beim Spielen hatte ich schlimme Schmerzen im Rücken. So schlimm, dass ich von der Kinderärztin ins Kinderspital Zürich überwiesen wurde. Nach längeren Gesprächen mit den Ärzten und weiteren Untersuchungen wurde Genmaterial entnommen und nach Deutschland geschickt für eine Genuntersuchung, welche die Diagnose MPS IVA zutage brachte.

Aufgrund meiner Schmerzen musste ich dennoch an der Halswirbelsäule operiert werden. Durch die Operation wurde ich querschnittgelähmt. Warum? Das weiss ich bis heute nicht. Ich gehe davon aus, dass es bei der OP zu Komplikationen kam. Heute sitze ich in einem elektrischen Rollstuhl, trage eine Brille und ein Hörgerät und habe Probleme mit dem Herzen, den Augen, den Ohren und kann meine Beine nicht bewegen. Aber ich sage immer ‹Ich leide nicht unter meiner Krankheit, ich lebe mit ihr›. Ich lasse mir nicht sagen, was ich machen kann oder nicht, ich mache es einfach. Klar, muss ich manchmal einen Umweg machen, während andere die direkten Wege nehmen können, aber das Ziel bleibt das Ziel. Deswegen spiele ich auch Powerchair Hockey, also Unihockey im Elektro-Rollstuhl. Dass es hier ab und zu zu kleinen Unfällen kommt, finden meine Ärzte natürlich nicht so toll. Aber mir machts grossen Spass.»

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