In der letzten «sichtbar»-Folge erzählte Michel S. (47), wie er seiner Drogensucht entkommen ist. Dazu haben sich viele Leserinnen und Leser gemeldet, die ebenfalls den Weg aus dem Teufelskreis gefunden haben. Ihnen wollen wir nun eine Stimme geben.
Hämpu S.*: «Dank der Unterstützung meiner Familie bin ich wieder schuldenfrei»
Denn Beginn macht Leser Hämpu S., der erzählt: «Ich war acht Jahre lang auf Koks. Ich habe über 140'000 Franken Schulden angehäuft und meine Familie und Freunde belogen.» Durch die Drogensucht wurde er psychisch krank, und ist von zu Hause abgehauen. «Damals (2011) war mein Sohn 21, die Tochter 15. Nach dem ich ein paar Wochen im Ausland, in einem Zelt gelebt habe, bin ich zurückgekommen und habe mich in den Entzug eingewiesen.»
Bis heute ist er «clean» geblieben. Inzwischen ist er zwar geschieden, zu seinen Kindern und seiner Ex pflegt er aber ein sehr gutes Verhältnis. Und: «Dank der Unterstützung meiner Familie bin ich wieder schuldenfrei.»
C. Panissidi*: «Ich trank, um zu vergessen»
Weiter erzählt Leserin C. Panissidi. «Am 1. April 2006 erlitt ich einen zertrümmerten Fersenbruch, und von da an trank ich jeden Tag sechs bis acht Flaschen Rosé und Rotwein –, um zu vergessen.» In vier Jahren hatte sie sieben Operationen, überlebte einen Selbstmordversuch und war zweimal in der Psychiatrie. Nach der Entzugsklinik hörte sie zwar mit dem Trinken auf, machte aber eine Suchtverlagerung zum Kiffen.
«Erst im November 2020 hörte ich schliesslich mit dem Kiffen auf und bin sehr stolz auf mich. Es gehört ein starker Wille und viel Ablenkung dazu», doppelt sie nach. Heute raucht sie nur noch Zigaretten.
Kevin A.*: «Jetzt helfe ich anderen Menschen»
«Ich habe gedealt und mein Leben in Saus und Braus gelebt. Ich konsumierte hauptsächlich Weed, Alkohol und Koks», erzählt Leser Kevin A. Heute ist er 25 und hat verstanden, was das Leben bedeutet. «Jetzt helfe ich anderen Menschen, die auch Suchtprobleme haben», sagt er. Zudem arbeitet er heute Tag und Nacht, um sich etwas Gutes aufzubauen.
Daria M.*: «Der Weg ist noch lang»
Leserin Daria M. lässt sich erst seit kurzem helfen, denn sie ist seit November 2021 im Entzug. Sie ist heute 31 Jahre alt und hat ihre Suchtprobleme erst seit zwei Jahren. «Vorher brauchte ich mindestens drei Liter Alkohol, um am Abend schlafen zu können», sagt sie.
Durch den Konsum hat sie alles verloren: Kind, Job, Freunde und Auto. Heute lebt sie vom Sozialamt und kämpft sich zurück ins Leben. «Die Langzeittherapie hilft mir aktuell sehr, aber der Weg ist noch lang», sagt sie.
Mirella: «Ich landete mit 1,8 Promille in der Notaufnahme»
Auch bei Leserin Mirella kam die Sucht erst vor kurzem. Sie ist durch die Pandemie in eine Alkoholsucht gerutscht. «Das Verlangen, abzuschalten und dem Stress zu entfliehen, schlug mit voller Wucht zu», erzählt sie.
Bei ihr fing es im Lockdown an. Es begann anfangs mit drei Gläsern, am Schluss waren es zwei Flaschen Prosecco pro Abend. «Manchmal konnte ich gar nicht mehr aufhören und holte mir noch eine weitere Flasche im Restaurant um die Ecke.»
Trotz des vielen Alkohols habe sie immer funktioniert, den Haushalt gemacht und sich um die Kinder gekümmert. Dann kam der Schock: «Nach 18 Monaten landete ich mit 1,8 Promille in der Notaufnahme. Das öffnete mir die Augen.» Danach hat sie ein 30-Tage-Entzugsprogramm gemacht, sowie sich intensiv mit Literatur befasst.«Nun bin ich seit drei Monaten nüchtern und unendlich froh», sagt sie.
Tom: «Ich verstehe selber auch nicht, wieso ich mit offenen Augen ins Verderben gehe»
Für Leser Tom ist es allerdings noch ein weiter Weg. Er lebt seit 1986 mit seiner Sucht. Von Heroin und Koks ist er zwar weggekommen, aber gegen den Alkohol kämpft er noch heute. Trotz Leberzirrhose und Verdacht auf Leberkrebs ist er erneut im Entzug.
«Ich verstehe selber auch nicht, wieso ich mit offenen Augen ins Verderben gehe», erklärt er. «Sucht eben.»
* Namen bekannt