Der gewaltsame Tod des Afroamerikaners George Floyd (†46) löste in den USA und rund um die Welt Entsetzen aus. Menschen solidarisieren sich mit Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt.
Auch in der Schweiz werden Personen aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft diskriminiert. Wir haben BLICK-Leserinnen und Leser gebeten, von ihren Erlebnissen zu erzählen.
Sajan Fabian Binz (35)
«Ich stamme aus Bombay, Indien. Mit vier Jahren adoptierten mich meine Schweizer Eltern, seither lebe ich hier. Ich spreche Mundart, kann kein Hindi und kenne auch die indische Kultur nicht. Rassismus und Diskriminierung habe ich in der Kindheit viel erlebt und erlebe es auch heute noch ab und zu. Zum Teil diskret und unterschwellig, oft auch sehr direkt. Für mich fängt Diskriminierung an, wenn mich Leute anstarren, als ob sie noch nie einen dunkelhäutigen Menschen gesehen hätten. Beim Zugfahren kommt es öfter vor, dass sich Mitfahrende nicht zu mir ins sonst leere Viererabteil setzen, sondern ins vollere Abteil nebenan.
Wenn ich mit meiner hellhäutigen Frau unterwegs bin, zum Beispiel im Postauto, höre ich manchmal, dass über mich gesprochen wird. Ältere Mitreisende sagen etwa, ich sei nur verheiratet, damit ich in der Schweiz bleiben dürfe. Mit unseren drei Kindern wohnen wir auf dem Land und alle im Dorf kennen mich. Deshalb erlebe ich hier praktisch keinen Rassismus. Aber ich finde es sehr bedauerlich, dass wir im 21. Jahrhundert immer noch so grosse Probleme zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen haben.»
Nina Küenzi* (41)
«Mein Mann kommt aus Brasilien, er ist dunkelhäutig. Er lebt seit 20 Jahren in der Schweiz und ist mittlerweile auch eingebürgert. Bevor ich mit ihm zusammenkam, hätte ich nie gedacht, dass Rassismus noch so verbreitet ist. Es ist heftig. Er wird ständig diskriminiert im Alltag. Jedes Mal, wenn wir zusammen nach Konstanz oder in die Ferien über den Zoll fahren, werden wir kontrolliert. Wir wetten mittlerweile schon darauf. Wenn ich alleine fahre, werde ich nie rausgenommen. Einmal bei der Einreise am Flughafen war er der Einzige, den die Beamten angehalten und befragt haben. Auch am Bahnhof, wenn er wartet, kontrolliert ihn die Polizei immer wieder. Und im Tram setzen sich oft Leute nicht neben ihn, sondern lieber in ein schon volleres Abteil.
Heftig finde ich, dass all diese Erlebnisse sein Verhalten beeinflussen. Im Restaurant oder beim Einkaufen will immer er bezahlen, damit es nicht so aussieht, als ob ich für ihn aufkomme. Ein anderes Beispiel: Unsere Nachbarn stellen ab und zu Möbel an die Strasse und ich sagte, wir könnten unseren alten Tisch auch herunterbringen mit einem Zettel ‹Gratis zum Mitnehmen›. Er sagte mir, er stelle nichts hin, sonst heisse es wieder, die Ausländer würden den Müll nicht richtig entsorgen. Auch ich merke, wie ich manchmal angeschaut werde im Sinn von: Ah, die hat einen Schwarzen Mann. Ich könnte noch viele solche Beispiele nennen, Rassismus kommt in der Schweiz tagtäglich vor.»
Céline Bernard* (40)
«Ich wohne seit meiner Kindheit in der Schweiz. Ursprünglich komme ich aus den Philippinen. In der Schule wurde ich deswegen gemobbt, ich galt im Dorf als Exotin. Kinder können wirklich grausam sein. Sie haben mir immer und immer wieder gesagt, ich solle zurück in mein Land gehen. Ich wollte irgendwann nicht mehr in die Schule und blieb öfters zuhause. Der Lehrer hat dann mit den Mitschülern geredet, danach wurde es besser. Als Kind war ich dem Mobbing hilflos ausgeliefert.
Später als Zwanzigjährige haben mich Männer im Ausgang manchmal abgestempelt. Sie sagten zum Beispiel, ich sei doch bloss auf der Suche nach einem reichen Schweizer. Als ich vor einigen Jahren eine Beziehung einging, sagte die Ex-Frau zu meinem Partner, Asiatinnen würden den Schweizer Frauen die Männer wegnehmen. Im Alltag sprechen mich fremde Menschen oft auf Hochdeutsch an und wenn ich Schweizerdeutsch antworte, reagieren sie erstmal perplex. Aber das nehme ich mit Humor.»
Zoran Babic* (39)
«Meine Eltern kommen aus Ex-Jugoslawien. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, ich spreche akzentfrei Schweizerdeutsch. Trotzdem spüre ich meine Herkunft immer wieder. Mein Name macht mir das Leben schwer.
Nach der Schule wollte ich das KV machen, kassierte aber nur Absagen. Mein Lehrer sagte, meine Noten seien gut, ob ich nicht den Nachnamen wechseln könnte. Das tut mir bis heute weh. Einmal rief ich an wegen einer Lehrstelle und sie sagten, sie hätten keinen Platz mehr. Später fragte ich nochmals nach unter dem Namen Müller, plötzlich hatten sie noch eine freie Stelle. Ich fand dann eine Lehre als Handwerker. Im Geschäft gab es einen Mitarbeiter, der jeden Tag einen Jugo-Witz machte. Dagegen konnte ich mich nicht wehren als Lehrling.
Auch bei der Wohnungssuche oder bei den Behörden wechselt das Gegenüber leicht die Tonlage, sobald ich meinen Namen sage. Mittlerweile bin ich eingebürgert. Aber dann heisst es, ich sei ein ‹Papierlischweizer›. Es ist immer so ein Beigeschmack dabei. Man hört ja, wie manche Schweizer sagen ‹Scheiss Jugo›, ‹Tschingg› oder ‹Türke›.
Ich kann nur sagen: Es tut jedem Ausländer weh, abgewiesen zu werden aufgrund seiner Herkunft oder Hautfarbe. Auch wenn sie sich noch so cool geben. Wir fühlen uns ausgegrenzt. Manche bauen als Reaktion eine innerliche Mauer auf. So entstehen Parallelgesellschaften. Ich höre wie Kollegen sagen: ‹Schweizer hassen uns eh alle, ich will mich nicht mehr mit ihnen abgeben›. Und es gibt auch Schweizer, die nie Kontakt zu Ausländern haben.
Ich weiss es wirklich zu schätzen, in der Schweiz zu leben. Ich verstehe einfach nicht, wieso man sich hassen kann aufgrund von Hautfarbe, Religion oder Herkunft.»
* Namen der Redaktion bekannt
Gina Vega leitet die Fachstelle Diskriminierung und Rassismus, sie ist Projektleiterin des Beratungsnetzes für Rassismusopfer bei humanrights.ch.
BLICK: Wie geht die Gesellschaft in der Schweiz mit Rassismus um?
Gina Vega: In der Schweiz herrscht die Meinung, dass Rassismus in anderen Ländern passiert, aber nicht hier bei uns. Rassismus wird kaum thematisiert, weder in den Medien noch in der Politik. Vorfälle werden als Einzelfälle dargestellt oder auf die rechtsextreme Schiene abgeschoben. Das Problem ist, dass sich die Gesellschaft nicht damit auseinandersetzt, was Rassismus eigentlich ist, wo er vorkommt oder wie er sich auswirkt.
Wie tritt Rassismus in der Schweiz in Erscheinung?
Rassismus tritt in ganz unterschiedlichen Formen auf. Manchmal sind rassistische Handlungen offensichtlich und direkt. In unserem Auswertungsbericht 2019 zu rassistischen Vorfällen in der Schweiz listen wir 352 Fälle auf. Zum Beispiel von Personen, die auf der Strasse aufgrund ihrer Herkunft oder religiösem Hintergrund beleidigt oder bei der Arbeit herabwürdigend behandelt wurden. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Häufig tritt Rassismus versteckt, unbeabsichtigt und tagtäglich auf.
Meinen Sie subtilere Formen, von denen auch BLICK-Leserinnen und Leser erzählen?
Genau. Man macht Witze über die Herkunft einer Person oder setzt sich im Zug nicht neben jemanden, das sind Formen von Alltagsrassismus. Manchmal steckt dahinter keine böse Absicht, es passiert unbewusst. Trotzdem sind solche subtilen Formen von Rassismus für Betroffene verletzend, sie fühlen sich ausgeschlossen von der Gesellschaft. Schlimm ist, dass diese Art oft heruntergespielt wird und Betroffene hören, sie sollen nicht so sensibel reagieren. Wichtig ist, rassistische Erfahrungen als solche anzuerkennen und nicht zu banalisieren. Wir alle tragen die Verantwortung.
Wieso gibt es Alltagsrassismus?
Es gibt verschiedene Gründe, meistens spielen Unkenntnis und Ignoranz eine grosse Rolle. Rassismus sitzt fest in den Strukturen der Gesellschaft. Wir alle sind rassistisch sozialisiert. Wir machen «andere» zu «Fremden». Wir sehen sie als nicht gleichwertig und wollen nichts mit ihnen zu tun haben. Alle können aber eine kritische Haltung gegenüber Rassismus lernen und entwickeln.
Wie können sich Aussenstehende verhalten, wenn sie rassistische Vorfälle miterleben?
Sie sollten Zivilcourage zeigen. Sie können Betroffenen zur Seite stehen, sie stärken und ihnen zeigen: Du bist nicht allein, ich bin bei dir. Bei offenen und direkten rassistischen Fällen ist es wichtig, sich als Zeugin oder Zeuge anzubieten. Sie können Vorfälle auch selber melden bei den Beratungsstellen, die es in der ganzen Schweiz gibt. Unter network-racism.ch gibt es eine Karte mit allen Adressen.
Was raten Sie Betroffenen?
Sie sollten wissen, dass ihre Realität wichtig ist und dass ihre Erlebnisse keine Einzelfälle sind. Sie sind nicht Schuld an dem, was passiert. Ich empfehle ihnen, geschützte Räume zu finden, wo sie mit Vertrauenspersonen oder anderen Betroffenen über ihre Erfahrung sprechen können. Räume, wo ihre Erfahrungen nicht banalisiert werden. Betroffene müssen das Ganze nicht alleine schaffen. Sie können sich auch bei Beratungsstellen Hilfe holen. Ganz wichtig ist, dass sie Fälle melden, damit sie in Statistiken erscheinen und das Thema sichtbar wird.
Gina Vega leitet die Fachstelle Diskriminierung und Rassismus, sie ist Projektleiterin des Beratungsnetzes für Rassismusopfer bei humanrights.ch.
BLICK: Wie geht die Gesellschaft in der Schweiz mit Rassismus um?
Gina Vega: In der Schweiz herrscht die Meinung, dass Rassismus in anderen Ländern passiert, aber nicht hier bei uns. Rassismus wird kaum thematisiert, weder in den Medien noch in der Politik. Vorfälle werden als Einzelfälle dargestellt oder auf die rechtsextreme Schiene abgeschoben. Das Problem ist, dass sich die Gesellschaft nicht damit auseinandersetzt, was Rassismus eigentlich ist, wo er vorkommt oder wie er sich auswirkt.
Wie tritt Rassismus in der Schweiz in Erscheinung?
Rassismus tritt in ganz unterschiedlichen Formen auf. Manchmal sind rassistische Handlungen offensichtlich und direkt. In unserem Auswertungsbericht 2019 zu rassistischen Vorfällen in der Schweiz listen wir 352 Fälle auf. Zum Beispiel von Personen, die auf der Strasse aufgrund ihrer Herkunft oder religiösem Hintergrund beleidigt oder bei der Arbeit herabwürdigend behandelt wurden. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Häufig tritt Rassismus versteckt, unbeabsichtigt und tagtäglich auf.
Meinen Sie subtilere Formen, von denen auch BLICK-Leserinnen und Leser erzählen?
Genau. Man macht Witze über die Herkunft einer Person oder setzt sich im Zug nicht neben jemanden, das sind Formen von Alltagsrassismus. Manchmal steckt dahinter keine böse Absicht, es passiert unbewusst. Trotzdem sind solche subtilen Formen von Rassismus für Betroffene verletzend, sie fühlen sich ausgeschlossen von der Gesellschaft. Schlimm ist, dass diese Art oft heruntergespielt wird und Betroffene hören, sie sollen nicht so sensibel reagieren. Wichtig ist, rassistische Erfahrungen als solche anzuerkennen und nicht zu banalisieren. Wir alle tragen die Verantwortung.
Wieso gibt es Alltagsrassismus?
Es gibt verschiedene Gründe, meistens spielen Unkenntnis und Ignoranz eine grosse Rolle. Rassismus sitzt fest in den Strukturen der Gesellschaft. Wir alle sind rassistisch sozialisiert. Wir machen «andere» zu «Fremden». Wir sehen sie als nicht gleichwertig und wollen nichts mit ihnen zu tun haben. Alle können aber eine kritische Haltung gegenüber Rassismus lernen und entwickeln.
Wie können sich Aussenstehende verhalten, wenn sie rassistische Vorfälle miterleben?
Sie sollten Zivilcourage zeigen. Sie können Betroffenen zur Seite stehen, sie stärken und ihnen zeigen: Du bist nicht allein, ich bin bei dir. Bei offenen und direkten rassistischen Fällen ist es wichtig, sich als Zeugin oder Zeuge anzubieten. Sie können Vorfälle auch selber melden bei den Beratungsstellen, die es in der ganzen Schweiz gibt. Unter network-racism.ch gibt es eine Karte mit allen Adressen.
Was raten Sie Betroffenen?
Sie sollten wissen, dass ihre Realität wichtig ist und dass ihre Erlebnisse keine Einzelfälle sind. Sie sind nicht Schuld an dem, was passiert. Ich empfehle ihnen, geschützte Räume zu finden, wo sie mit Vertrauenspersonen oder anderen Betroffenen über ihre Erfahrung sprechen können. Räume, wo ihre Erfahrungen nicht banalisiert werden. Betroffene müssen das Ganze nicht alleine schaffen. Sie können sich auch bei Beratungsstellen Hilfe holen. Ganz wichtig ist, dass sie Fälle melden, damit sie in Statistiken erscheinen und das Thema sichtbar wird.