«Im Zug wurde ich beleidigt und am Bahnhof bespuckt»
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Fehlende Frauen im Militär:«Im Zug wurde ich beleidigt und am Bahnhof bespuckt»

Frauen über ihre Erfahrungen im Militär
«Im Zug wurde ich beleidigt und am Bahnhof bespuckt»

Die Schweizer Armee soll weiblicher werden. Vier BLICK-Leserinnen erzählen von ihren Erfahrungen im Militär und zeigen auf, wie akzeptiert sie waren.
Publiziert: 13.03.2021 um 17:00 Uhr
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Aktualisiert: 13.03.2021 um 17:49 Uhr
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Larissa Battistutta ist eine von vier BLICK-Leserinnen, die hier von ihren Erfahrungen im Militär berichten.
Foto: zVg
Lea Blum, Neil Werndli

Um die Frauenquote im Militär zu steigern, will Verteidigungsministerin Viola Amherd (58, Mitte) verschiedene Massnahmen umsetzen. Der Grund: Nur 9 von 1000 Armeeangehörigen sind Frauen. Woran liegt das?

Wir haben BLICK-Leserinnen gesucht, die Dienst geleistet haben und uns von den positiven und negativen Seiten ihres männerdominierten Alltags erzählen. Welche Beweggründe haben sie dazu gebracht, freiwillig Militärdienst zu leisten, und fühlten sie sich akzeptiert?

Diese vier Berichte von Frauen in der Armee wollen wir mit euch teilen:

Larissa Battistutta

Larissa Battistutta war 1999 in der RS und den Rettungstruppen zugeteilt.
Foto: zVg

«Ich war 1999 in der RS. Die Aushebung war damals klar frauenfeindlich. Als beispielsweise der Arzt uns Frauen untersuchte, standen wir in Unterwäsche gebückt mitten im Korridor, natürlich zur Freude der männlichen Teilnehmenden. Frauen standen damals nicht alle Funktionen offen. Die Kampfausbildung sowie die gleiche Bewaffnung wie für die männlichen Kollegen war nicht möglich. Ich brauchte damals viel Durchsetzungsvermögen und Papier, aber ich bekam mein Sturmgewehr.

Ich wurde in die Rettungstruppen eingeteilt. Ich weiss noch genau, wie der Zugführer im Daher auf mich gezeigt und gesagt hat: ‹Das Ziel ist es, dass die da nach spätestens sechs Wochen hinschmeisst.› Die Männer fühlten sich von uns bedroht. Kommentare wie ‹Ich will nicht, dass ihr Weiber uns unsere letzte Bastion wegnehmt› gab es oft. Aber ich erkämpfte mir die Akzeptanz, indem ich darauf bestand, genau gleich wie meine Kameraden behandelt zu werden. Sportlich wurden Frauen zum Beispiel anders gemessen – dagegen habe ich mich gewehrt und wurde dann inoffiziell nach den gleichen Standards beurteilt.

In den letzten Jahren ist vieles besser geworden. Trotzdem: Wir denken in der Armee nicht zeitgemäss. Wir Frauen sind da! Wir wollen und wir können! Aber wir haben andere Bedürfnisse im Dienst, denkt man nur an die Hygiene. Es braucht auch mehr Flexibilität für Väter und Mütter, ihren Dienst mit der Elternschaft zu verbinden, sonst wird eine Frau, die in der Armee ist, aus wirtschaftlicher Sicht unattraktiver. Und hören wir doch endlich auf, Frauen in Uniform zu sexualisieren, indem man sie bei jeder Gelegenheit vor die Kamera stellt – am besten noch geschminkt und nett lächelnd. Daneben hängt dann ein Bild vom Kameraden im Kampftraining, der sich mit Helm und Waffe robbend durch den Matsch kämpft.»

Nicole Arnold (43) aus Grenchen SO

Nicole Arnold ist Major mit über 1300 Diensttagen.
Foto: zVg

«Ich habe mich für den Militärdienst entschieden, weil ich mich für die Schweiz engagieren wollte. Die RS absolvierte ich als Militärhundeführerin, und als das neue Projekt bei den Füsilieren für Frauen aufkam, habe ich mich dafür entschieden und liess mich umschulen. Ich war eine der ersten Frauen bei den Füsilieren, einer Männerdomäne. Das war happig. Am Anfang wurde ich belächelt. Als man gemerkt hat, dass meine Leistung gut war und auch ich die Zielscheibe traf, stieg die Akzeptanz. Ich wollte aber nie eine Extrawurst haben, nur weil ich eine Frau bin.

Einmal, als meine Kompanie unterwegs zum Biwakieren war, wollte mich der Kompaniekommandant zurück in die Kaserne schicken zum Schlafen. Ich wollte aber bei meiner Gruppe draussen schlafen. Damit ich das durfte, musste ich sogar einen Rapport ausfüllen und die Verantwortung übernehmen, falls «etwas» passiert. Gemeint war unerlaubter Beischlaf. Aber hätte ich mit jemandem in die Kiste gewollt, wäre das sowieso passiert. Darum ging es überhaupt nicht. Ich wollte einfach, dass meine Jungs wissen, dass ich auch da bin und nicht komfortabler schlafe als sie. Schliesslich war ich ihr Gruppenführer und für sie verantwortlich.

Extrazüge fahren, das geht nicht. Männer hatten damit ein grösseres Problem als Frauen. Damals waren Frauen im Militär Neuland. Beim Märschen mussten Frauen weniger weit gehen, mussten weniger Gepäck tragen. Ich wollte das nicht. Und war dann auch «huere stolz», dass ich das gleich gut geschafft habe wie die Männer. Weil ein 100-km-Marsch in der Offiziersschule erst einer ist, wenn man 100 km gelaufen ist! Mit dem Supergefühl, es geschafft zu haben! Unersetzbar!

Ich habe kaum Diskriminierung gespürt im Militär. Natürlich gibt es manchmal Sprüche, aber die gibts im zivilen Leben auch. Die erlebte Kameradschaft und gemeinsam ein Ziel zu erreichen war sehr lehrreich! Das ist halt keine Vergnügungsindustrie, sondern ein Element unsere Sicherheitspolitik! Man hat am Morgen keine Stunde Zeit zum Schminken. Und man muss sich auch durchsetzen können. Ich wünsche mir, dass jede Frau mindestens die Rekrutenschule macht, damit sie eine Ahnung hat und auch ihren Teil für die Schweiz beiträgt. Das gehört für mich zur Gleichberechtigung.»

Sylvia Brun (65) aus Worb BE

Sylvia Brun ist 65 Jahre alt und war 30 Jahre lang im Militär.
Foto: zvg

«Ich war 30 Jahre lang im Militär und war die erste Frau an der Zentralen Instruktorenschule in Herisau AR. Ich hatte von Anfang an den gleichen Rang und den gleichen Lohn wie die Männer und fühlte mich nie benachteiligt. Was man in der zivilen Jobwelt nicht behaupten kann. Beim Bund ist das anders. Akzeptanz zu schaffen war natürlich schwierig.

In der Beiz sind wir Frauen in Uniform jeweils gar nicht bedient worden. Am schlimmsten war jeweils die Heimreise mit dem Zug am Wochenende. Bei meiner Ankunft am Zürcher Hauptbahnhof bin ich schon bespuckt worden. Danach bin ich nur noch mit dem Auto zur RS gefahren. Innerhalb des Militärs ist man aber anerkannt. Das wissen die meisten Frauen. Was fehlt, ist mehr positive Mundpropaganda.

Ich war in der Fliegerabwehr Chef Verkehr und Transport. Eine weibliche Bezeichnung hat es nicht gegeben und gibt es bis heute nicht. Und das ist auch gut so. Stellen Sie sich vor: Der Feldweibel wird zum Feldweib, diese Bezeichnung wäre lächerlich. Ein Major ist ein Major und keine Hauptfrau. Würde man die weibliche Form einführen, würde der Grad ‹verhunzt›.

Ein Grossteil der Kritik ist zudem sehr plakativ. Im Alltag sind die Frauen in der Armee meist voll integriert und akzeptiert. Wenn junge Offiziere sagen, man hätte zu wenig für die Frauen gemacht, ist das unwissend und arrogant. Die Schritte vom Hilfsdienst zum militärischen Frauendienst und bis zu Frauen inklusive Bewaffnung in der Armee waren viel Arbeit mit viel Herzblut. Dass es zu wenig Frauen im Militär hat, ist ein Spiegel der Gesellschaft.

Eine Dienstpflicht für Frauen fände ich gut, denn das ist auch ein Recht auf Ausbildung. Wir sollten im Krisenfall auch wissen, was zu tun ist. Man sollte aber nicht alle in Uniformen zwingen. Da müsste es eine andere Form für die Dienstpflicht zur Auswahl geben. Vielleicht sogar einen Kita-Dienst.»

Jacqueline Gübeli (39) aus Wil SG

Jacqueline Gübeli war die einzige Frau, die im Sommer 2001 die RS im Militärspiel in Aarau absolviert hat.
Foto: zVg

«Ich habe im Sommer 2001 die RS im Militärspiel in Aarau absolviert. In meiner RS war ich die einzige Frau. Am 1. RS-Tag stand beim Einrücken ein Radioreporter von DRS 1 bereit und interviewte mich vor allen anderen Rekruten. Das hat mich sehr überrascht, und es war mir extrem unangenehm. Meinen Kameraden gegenüber musste ich mich mehr beweisen, als die männlichen Rekruten, welche natürlich nicht freiwillig eingerückt waren.

Beweisen konnte ich mich beim Musizieren, beim Sport und im Ausgang mit meinem Wesen und meinem Charakter. Nach ein paar Wochen waren wir eine zusammengeschweisste Einheit. Die Kameradschaft war einmalig. Es gab viele abwertende Kommentare von Mitgliedern der anderen Truppengattungen in der Kaserne und vor allem auch im Zug bei der An- oder Heimreise am Wochenende von der zivilen Bevölkerung. Da wurde ich oft angepöbelt.

Die Wiederholungskurse waren allesamt ebenfalls ganz tolle Erfahrungen. Für mich als Amateurmusikerin war es nur schon aus musikalischer Sicht eine einmalige Gelegenheit, so hochstehende Musik machen zu können. Mit dieser Musik an diversen öffentlichen Anlässen die Schweiz zu repräsentieren, das hat mich richtig stolz gemacht. Leider konnte ich nicht alle Diensttage absolvieren, da ich mit 26 Mutter geworden bin. Meine Entscheidung, freiwillig ins Militär zu gehen, habe ich nie bereut.

Ich glaube, bei der Militärmusik war man als Frau besser akzeptiert als in anderen Funktionen, da man zusammen ein gemeinsames Hobby ausüben kann. Am gewöhnungsbedürftigsten fand ich die fast bedingungslose Unterordnung in der militärischen Hierarchie und Kollektivstrafen, denen man ausgesetzt war. Einmal, als wir ein Konzert spielten, lief nicht alles wie geplant. Zur Strafe mussten wir bei grosser Hitze ohne Lüftung und Klimaanlage in Vollmontur nach Hause fahren und anschliessend das ganze Programm nochmals durchspielen. Sowas geht heute hoffentlich nicht mehr. Beklagt habe ich mich nie, da ich freiwillig dort war.

Am unangenehmsten erlebte ich jeweils die Heimreise im Zug. Ich musste mir oft Kommentare anhören wie: Schau mal, die ist doch männergeil, die geht nur deshalb ins Militär. Ein Mannsweib. Ich habe das nie persönlich genommen. Geholfen hat mir der Rückhalt in der Kompanie. Leider ist das Militär aber nicht gut mit Familie und Beruf vereinbar. Vielleicht fehlt es deshalb an Frauen. Wäre das Militär für alle freiwillig, gäbe es wohl auch einen Männermangel, da sich vermutlich die wenigsten freiwillig einer militärischen Hierarchie unterordnen wollen.

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