Kann man Alzheimer therapieren?
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Expertin beantwortet fragen:Kann man Alzheimer therapieren?

Expertin Stefanie Becker beantwortet Leserfragen zu Demenz
«Sterbehilfe bei Alzheimer ist ein Dilemma»

Am 21. September ist der Welt-Alzheimertag. BLICK hat von seiner Community Leserfrage zum Thema Demenz gesucht. Die Antworten dazu hat Geschäftsführerin von Alzheimer Schweiz, Stefanie Becker.
Publiziert: 21.09.2020 um 07:30 Uhr
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Aktualisiert: 10.01.2021 um 20:10 Uhr
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Das Gedächtnis lässt nach, sprechen, sich orientierten und sich konzentrieren fällt schwerer: Das sind Anzeichen für eine Alzheimer-Krankheit.
Foto: imago images/Ikon Images
Community-Team

Demenz: Eine Krankheit, die nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für ihre Angehörigen schwer zu begreifen ist. Als Oberbegriff für mehr als 100 verschiedene Krankheiten, welche die Funktion des Gehirnes verändern, beeinflusst Demenz vor allem das Denken, das Gedächtnis, die Orientierung und die Sprache des Menschen. Aktuell sind etwa 128'000 Menschen in der Schweiz an Demenz erkrankt, knapp drei Viertel davon sind Frauen. Der grösste Risikofaktor ist zwar das Alter, doch auch jüngere können betroffen sein: Rund sechs Prozent der Menschen mit Demenz erkranken bereits vor dem 65. Lebensjahr.

Am Montag, 21. September ist Welt-Alzheimertag. Alzheimer ist die häufigste Form von Demenz. Weltweit finden Veranstaltungen statt, um auf die Situation von Menschen mit Alzheimer sowie ihren Angehörigen aufmerksam zu machen. BLICK-Leserinnen und Leser konnten im Vorfeld Fragen stellen, welche die Expertin Stefanie Becker nun beantwortet hat. Sie ist die Geschäftsleiterin von Alzheimer Schweiz und hat Psychologie und Gerontologie (Alterswissenschaften) studiert.

Welches sind frühe Symptome, die auf eine Demenz oder Alzheimer hinweisen? Wie unterscheiden sie sich von der «normalen» Vergesslichkeit im Alter?

Stefanie Becker: Im Unterschied zu einer normalen Vergesslichkeit ist Alzheimerdemenz eine chronisch-fortschreitende Erkrankung. Sie beginnt sehr schleichend mit wenigen und kleinen Symptomen. Im Kontext einer Demenzerkrankung treten Beeinträchtigungen verschiedener Art auf, insbesondere Erinnerungsbeeinträchtigungen, Beeinträchtigungen des Handelns, Planens und der Alltagsbewältigung. Am Anfang ist es sehr schwierig zu unterscheiden, ob wirklich ein krankhafter Prozess vorliegt, wenn Sachen im Alter vergessen gehen. Zu einem gewissen Grad ist das auch natürlich. Entscheidend ist aber, dass sich bei einer Alzheimerdemenz die Krankheitssymptome mit der Zeit verschlechtern – innerhalb von nur einem halben Jahr können immer mehr Symptome auftreten.

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Sind Demenz und Alzheimer vererbbar?

Es gibt eine geringe Anzahl von Alzheimererkrankungen, die tatsächlich vererbbar sind. Man geht in etwa drei Prozent der Fällen davon aus, dass sie erblich bedingt sind. Es gibt zwar die eine oder andere wissenschaftliche Hypothese, die besagt, dass bestimmte Anteile des Krankheitsprozesses vererbbar sind – die genaue Grundlage und das Wissen darüber, welche Gene davon betroffen sein könnten, sind nicht bekannt.

Ist Alzheimer erkennbar bei einem MRI?

Ja. Das MRI ist ein bildgebendes Verfahren, um die Struktur des Gehirns sichtbar zu machen. Krankhafte Veränderungen der Gehirnstruktur können so erkannt werden: Tumore, aber auch die Alzheimer-typischen Schrumpfungen im Gehirn.

Ist Alzheimer heilbar, zum Beispiel im Anfangsstadium?

Eine heilende Therapie für Alzheimer gibt es bisher leider nicht. Es gibt aber verschiedene Medikamente, mit denen man den Verlauf der Krankheit beeinflussen kann und es gibt nicht-medikamentöse Therapien. Mit diesen kann man positiv auf das Wohlbefinden und die Förderung der Selbständigkeit der Menschen mit Demenz einwirken. Generell kann man sagen: Alles was gut für das Herz ist, ist auch gut für das Gehirn. Bewegung, gesunde Ernährung, soziale Kontakte, geistige Anregung, Nichtrauchen und möglichst wenig Alkohol sind alles Faktoren, welche auch zur Gehirngesundheit beitragen.

Wie kann man Alzheimer vorbeugen?

Es sind die sogenannten Lebensstilfaktoren, die auch von der Weltgesundheitsorganisation als präventiv oder risikominimierend propagiert werden: Regelmässige Bewegung – dafür ist man nie zu alt – gesunde und ausgewogene Ernährung, regelmässige Hobbies und Menschenkontakt. Nichts ist anregender für das Wohlbefinden, die Psyche und den Geist, als sich mit anderen Menschen auszutauschen und in Kontakt zu bleiben. Ich höre aber auch immer wieder von Menschen, welche ihr ganzes Leben lang gesund und aktiv gewesen waren und trotzdem an Alzheimer erkrankt sind. Eine hundertprozentige Prävention oder Vorbeugung von Alzheimer gibt es also nicht.

Kann man mit einer Reduktion von Kohlenhydraten den Verlauf von Alzheimer verlangsamen?

Es gibt Studien, die sagen, dass mit einer Reduktion von Kohlenhydraten der Verlauf von Alzheimer verlangsamt wird – es gibt aber auch welche, die genau das Gegenteil behaupten. Da widersprechen sich die Experten und deshalb gibt es für diese Frage kein klares Ja oder Nein.

Manchmal sagt meine Oma zwei Mal hintereinander den genau gleichen Satz oder sie fragt mich nach zwei Minuten nochmals das Gleiche. Soll ich ihr das sagen oder so tun, als ob sie es zum ersten Mal fragt?

Ich rate dir, deine Grossmutter auf jeden Fall ernst zu nehmen – auch wenn sie manche Dinge mehrmals fragt. Wenn sie eine Frage wiederholt oder nochmals stellt, ist es ihr sicher ein wichtiges Anliegen. Du kannst deine Grossmutter durchaus darauf hinweisen, dass ihr über ein Thema schon einmal gesprochen habt, aber lasse es nicht wie ein Vorwurf klingen. Beobachte deine Grossmutter weiterhin und wenn du feststellst, dass es häufiger vorkommt und deine Grossmutter noch andere, ungewöhnliche Verhaltensweisen zeigt, solltest du es vielleicht mit deinen Eltern besprechen. Diese können mit deiner Grossmutter schauen, ob vielleicht ein Arztbesuch infrage kommt.

Wie spricht man jemand richtig darauf an, wenn er oder sie erste Symptome von Alzheimer zeigt?

Wenn einem auffällt, dass jemand erste Symptome von Alzheimer zeigt, kann man es durchaus direkt ansprechen. Gerade am Anfang einer Demenz merken die Betroffenen sehr wohl, dass sich etwas verändert. Wir erleben es häufig, dass Menschen die Symptome aus Angst vor der Diagnose verschweigen oder mit anderen Verhaltensweisen zu vertuschen versuchen. Das Gespräch sollte auf keinen Fall kritisch oder vorwurfsvoll klingen, denn das bringt die Menschen in eine starke Abwehrhaltung. So sinkt auch die Bereitschaft einer ärztlichen Abklärung. Ich rate, sehr wohlwollend und verständnisvoll auf den Menschen zuzugehen.

Bei meinem Vater könnte es Anzeichen für Alzheimer geben. Er ist noch klar bei Sinnen, aber er weigert sich, es abklären zu lassen. Wie können wir uns als Familie verhalten, damit er eine Abklärung macht und damit für uns auch Klarheit herrscht?

Wenn jemand nicht möchte, dann möchte er das nicht. Zwingen kann man niemanden. Man sollte aber immer wieder das Gespräch suchen und kann sich beim Hausarzt, der deinen Vater schon lange kennt, Tipps geben lassen. Manchmal hat es eine ganz andere Bedeutung, wenn der Arzt selbst etwas anspricht und es nicht aus der engeren Familie kommt. Vielleicht gelingt es auch jemand anderem aus dem nahen Umfeld, wie zum Beispiel einem Bruder oder Enkelkind, das Thema anzusprechen.

Bis zu welchem Stadium der Krankheit gilt man als zurechnungsfähig und bis wann kann man die Sterbehilfe in Anspruch nehmen?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Menschen mit Demenz merken vor allem zu Beginn der Krankheit, dass etwas nicht stimmt. Wenn die Krankheit fortschreitet, fehlt zunehmend die Fähigkeit zur Selbstreflexion, sich selber zu sehen und Fehlhandlungen zu erkennen.

Um die Möglichkeit der Sterbehilfe in Anspruch nehmen zu können, muss man rechtlich urteilsfähig sein. Das beinhaltet unter anderem, dass man in der Lage ist, die Folge seiner Handlungen richtig einschätzen zu können. Bei einer Demenzerkrankung kommt man hier in ein Dilemma: Entweder muss man diesen Weg zu früh gehen, wenn man noch urteilsfähig ist aber eigentlich noch in der Lage ist, selbstbestimmt durchs Leben zu gehen. Oder man ist schon über die Schwelle der Urteilsfähigkeit hinaus und es ist rechtlich nicht mehr möglich, die Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen.

Das ganze Interview können Sie im Video ganz oben nachschauen. Wenn Sie noch mehr Fragen zum Thema Demenz und Alzheimer haben, besuchen Sie die Webseite von Alzheimer Schweiz oder rufen Sie die Hotline des nationalen Alzheimer-Telefons unter 058 058 80 00 an.

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