Wofür hast du dich als Jugendlicher eingesetzt?
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Chronik der Jugendbewegungen:Wofür hast du dich als Jugendlicher eingesetzt?

BLICK-Leser nahmen während ihrer Jugend an Protesten und Besetzungen teil
«Wir wollten die Welt verändern»

Die Klimajugend ist nicht die erste Generation, die lautstark auf ein politisches Anliegen aufmerksam macht. Drei BLICK-Leser erzählen von ihrem Engagement in der Zeit der 80er-Unruhen, des Waldsterbens und der Besetzung des AKWs Kaiseraugst.
Publiziert: 24.09.2020 um 16:20 Uhr
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Aktualisiert: 29.09.2020 um 20:25 Uhr
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Die Globus-Krawalle in Zürich führten in den 60er-Jahren zu Ausschreitungen zwischen Jugend und Polizei.
Foto: Blick
Corinne Bischof

Jugendliche besetzten vergangene Woche den Bundesplatz, um auf den Stopp des Klimawandels aufmerksam zu machen – kein neues Phänomen, wenn man in der Geschichte der Schweiz zurückschaut. Immer wieder haben Jugendbewegungen lautstark und mit ungewöhnlichen Massnahmen auf sich und ihre Anliegen aufmerksam gemacht.

Wir wollten von der BLICK-Community wissen, wie sie sich damals in ihrer Jugend engagiert hat. Drei BLICK-Leser erzählen von ihren Erfahrungen in Zeiten der 80er-Unruhen, des Waldsterbens und der Besetzung des AKWs Kaiseraugst.

Daniel Horowitz (63): «Das AJZ war mein zweites Zuhause»

Er war erst elf Jahre alt, als er an der Hand seines Vaters die Proteste der 68er-Bewegung miterlebte: Leser Daniel Horowitz (63) aus Zürich. «Ich war zur Zeit der Globus-Proteste mit meinem Vater in der Stadt. Als ehemaliger jüdischer Flüchtling hatte er sich immer schon politisch engagiert», erzählt er. «An die Proteste vor dem Provisorium kann ich mich kaum erinnern. Ich weiss, dass die Polizei da war, und als die Auseinandersetzungen begannen, hat mich Vater mein weggezogen.»

Ein Erlebnis, welches vielleicht wegweisend für Daniel Horowitz' Zukunft war: Später, in seinen Zwanzigern, kämpfte er an vorderster Front mit der 80er-Bewegung für mehr Platz für Kunst und Kultur. Er denke gerne an diese Zeit zurück, meint Horowitz zu BLICK. «Ich erinnere mich an viele Demonstrationen, an denen ich teilgenommen habe. Und ich erinnere mich noch ganz genau an den Aufbau des autonomen Jugendzentrums in Zürich», erzählt er. «Das AJZ war praktisch mein zweites Zuhause. Der Zusammenhalt unter den Jugendlichen war grossartig», erinnert sich Daniel Horowitz. «Wir wollten die Welt verändern und glaubten daran, dass wir es schaffen können.»

Auch nach dem Höhepunkt der 80er-Bewegung hat Daniel Horowitz sich weiterhin politisch engagiert. «Über unsere Forderungen in den 90er-Jahren haben damals alle gelacht. Wir wollten ein Nachtbetrieb der ZVV und dass Jugendliche schon mit 16 Jahren abstimmen dürfen», erzählt er. Themen, welche heute zum ganz normalen politischen Alltag gehören. «Jede grosse gesellschaftliche Veränderung kommt von der Jugend», meint Daniel Horowitz. «Sie ist es, welche später einmal an den Schalthebeln der Schweizer Politik sitzt – und das ist auch gut so.»

Daniel Riedi (60): «Während der Besetzung hatten wir ein besseres Frühstück als im Luxushotel»

Daniel Riedli war 15 Jahre alt und besuchte die Schule in Rheinfelden AG, als er die Nachricht hörte: «Das Baugelände des AKW Kaiseraugst wurde besetzt.» Der Junge, der nur wenige Kilometer vom geplanten Bau des Atomkraftwerkes in Kaiseraugst AG lebte, informierte sich über das Geschehen. «Ich wusste schnell: Da muss ich hin», erzählt er. Zwei Wochen nach dem Start der Besetzung durch die GAK – die Gewaltfreie Aktion Kaiseraugst – packte Daniel Riedli seine Sachen und schloss sich den Aktivistinnen und Aktivisten an. Ihr Ziel: Den Bau eines Atomkraftwerkes zu verhindern.

«Meine Eltern dachten, ich gehe zur Schule. Tagsüber war ich auf dem besetzten Gelände, abends kam ich nach Hause.» Rund eine Woche lief das gut, bis der Lehrer von Daniel Riedli anrief und fragte, ob alles in Ordnung sei. «Meine Eltern wussten von nichts», erzählt Daniel Riedli. Sie hätten aber schnell eingesehen, dass es ihrem Sohn ein grosses Anliegen war. Selbst als er von der Schule suspendiert wurde, standen seine Eltern hinter ihm. «Das war grossartig», meint er.

Das Leben auf dem besetzten Gelände wurde zu Riedlis neuem Alltag. «Das Baugelände verwandelte sich immer mehr in ein Hüttendorf», erzählt er. Zwischen hundert und dreihundert Aktivistinnen und Aktivisten lebten während elf Wochen auf dem Gelände, auf dem eigentlich ein Atomkraftwerk gebaut werden sollte. «Die Unterstützung der Bevölkerung in dieser Zeit war riesig. Jeden Morgen kamen Bäuerinnen und brachten uns ein besseres Frühstück als in einem Fünf-Sterne-Hotel», erzählt er. An den Wochenenden pilgerten laut Daniel Riedli bis zu 20'000 neugierige Besucher auf den Platz. «Es beteiligten sich alle: Arme, Reiche, Studenten und Arbeiter. Alle kämpften gemeinsam und friedlich gegen den Bau des Kraftwerks.»

Selbst auf Polizeieinsätze wären die Besetzer vorbereitet gewesen. «Die Polizei kam nur ein Mal. Wir haben dann aber sofort unsere Sirenen und Funkgeräte aktiviert und innert kürzester Zeit strömten 3000 Menschen herbei, um uns zu unterstützen», erzählt Daniel Riedli. Die Polizei sei daraufhin schnell wieder abgezogen. Nach elf Wochen Besetzung wurde der Bau des AKWs stillgelegt. «Unglaublich, was wir erreicht haben. Die Friedlichkeit und Solidarität, mit der alles stattgefunden hat, fand ich beeindruckend.»

Karl Schwarz (67): «Ich habe mit einem Nationalrat gefrühstückt und ungezwungen geplaudert»

«Wir mussten damals ein Zeichen setzen», sagt der heute 67-jährige Karl Schwarz aus Kleinandelfingen ZH. In den 80er-Jahren hat er sich mit einer speziellen Aktion gegen das Waldsterben eingesetzt: «Wir haben sämtlichen National-, Stände- und Regierungsräten im Kanton Zürich eine Fichte geschenkt», erzählt er BLICK. Das dreijährige Bäumchen sei ein symbolisches Geschenk gewesen, um auf die Gefahr der aussterbenden Wälder hinzuweisen. «Zu jeder Fichte gehörte ein kleiner Brief, in dem die Fichte selbst erklärte, dass es ihr schlecht ginge», so der langjährige Förster aus dem Zürcher Unterland. «So haben wir mit den Politikerinnen und Politikern das Gespräch gesucht», erzählt Schwarz.

In Zweierteams haben die Forstwarte dann sämtliche Politiker besucht. «Den speziellsten Moment erlebte ich mit dem damaligen Regierungsrat Walter Biel. Er lud uns zum gemütlichen Morgenessen zu sich nach Hause ein. Für zwei junge Förster war es aufregend, mit einem Nationalrat zusammenzusitzen und ungezwungen zu plaudern», erinnert sich Karl Schwarz. Für ihn und seine Freunde seien Politiker immer auf einer anderen Ebene zuhause gewesen. «Fast alle haben sehr positiv reagiert und hatten ein offenes Ohr für unser Anliegen. Diese Aktion machte die Politiker für mich nahbarer, sie haben ihre Distanz verloren..»

Hast auch du dich in deiner Jugend politisch engagiert? Erzähl es uns in den Kommentaren!

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