Er hat sich selbst zum Wahlsieger erklärt – ist er denn jetzt offiziell gewählt oder nicht?
Peter Winkler: Kurze Antwort: Ja. Längere Antwort: Nein, er hat noch nicht alle 270 Stimmen bekommen, die er braucht. Offiziell ist er sowieso erst Präsident, wenn die Elektoren der Mitgliedsstaaten am 17. Dezember zusammenkommen und ihn wählen.
Was hat Trump in seinen vier Jahren geschafft, ausser die ärmere Bevölkerung zu schädigen?
Peter Winkler: Seine Versprechen gegenüber seinen Wählern hat er ziemlich gut erfüllt. Bis zur Pandemie hat er die amerikanische Wirtschaft etwas zum Abheben gebracht. Mit seinen Steuererleichterungen kam ein Investitionsschub, der dazu geführt hat, dass die Bevölkerung besser verdient hat. Ausserdem schaffte er eine konservative Mehrheit am Supreme Court, was er schon immer versprochen hatte.
Es ist wirklich schlimm, dass die Amis uns vier weitere Jahre Trump zumuten. Sind wir jetzt alle verloren?
Christoph Frei: (lacht) Wir sind nicht alle verloren. Wir müssen uns aber an die neue politische Realität anpassen. Das muss man auch uns zumuten. Verloren sind wir aber bestimmt nicht. Auch bei allen schlechten News rund um den 47. Präsidenten geben wir ihm den ‹benefit of the doubt›. Soll heissen, wir müssen davon ausgehen, dass Trump für sein Land nichts Schlechtes, sondern Gutes will. Das Volk hat schliesslich nicht knapp, sondern klar entschieden.
Wie ist es möglich, dass ein Kandidat mit einer solchen Vorgeschichte noch Unterstützung bekommt?
Christoph Frei: Dafür gibt es zwei Antwortmöglichkeiten. Die erste lautet: Das ist Demokratie. Das Volk muss sich nicht an das Vorgeschwätz von gestern erinnern, das Volk kann sagen, «mir passt es so» – und dann ist es so. Die Zweite, etwas längere Antwort lautet: Die Vorgeschichte von Donald Trump ist gerade bei uns in Europa eine etwas andere als die in den USA. Das heisst: Was seine Vorgeschichte ist, ist selber Gegenstand von völlig unterschiedlichen Interpretationen. Die Leute, die gestern Trump gewählt haben, gehen davon aus, dass er fürs Land die beste Lösung ist. Sie retten mit ihrer Wahl das Land vor den progressiven linken Demokraten.
Sind die Wahlversprechen von Kamala Harris einlösbar?
Louis Perron: Es könnte ihr Vorteil sein, dass sie mit ihren Versprechen eher wage war. Sie hat betont, dass sie grundsätzlich kompromissbereit sei und ihren Gegnern einen Platz am Tisch bieten würde. Die Frage ist allerdings: Wie sehen die Mehrheiten im Parlament aus. Man darf ja nicht vergessen, dass nicht nur der Präsident gewählt wird, sondern auch ein Drittel des Senats. Je nachdem welche Partei dann die Macht hat, ist es schwieriger oder eben auch einfacher für die Kandidaten, ihre Politik durchzusetzen. Sollte Kamala Harris mit einer republikanischen Mehrheit im Parlament regieren müssen, wären ihr die Hände sehr schnell gebunden.
Bei allem, was sich Donald Trump erlaubt hat,würde eine Diktatur unter ihm nicht überraschen – oder?
Louis Perron: Völlig an den Haaren herbeigezogen ist die Aussage nicht. Den Sturm aufs Kapitol konnte man schon als Angriff auf die Demokratie verstehen. Auch seine Bewunderung für Diktatoren ist durchaus irritierend. Wenn man das beiseitenimmt, sehe ich es aber nicht so dramatisch – die US-Verfassung ist schon sehr stabil. Die Hürde, diese zu verändern, ist in den USA extrem hoch – das könnte er alleine gar nicht bewerkstelligen.
Finden die Amerikaner und Amerikanerinnen Donald Trump nicht einfach peinlich?
Louis Perron: Wir vergessen immer schnell, dass die ersten drei Amtsjahre von Trump grundsätzlich «gut» für die USA waren. Die Wirtschaft lief gut, international gab es keine grossen Kriege, die Preise waren tiefer… Im Wahlkampf wird ja häufig die Frage gestellt, ob es der Bevölkerung besser als vor vier Jahren geht. Und für viele Amerikaner und Amerikanerinnen ist klar: Das ist nicht so! Das ist Rückenwind für Trump. Bei uns sieht man häufig nur die provokativen Auftritte und Aussagen von Trump – die sieht man in den USA zwar auch, die Erinnerung an die guten ersten Jahre überwiegt aber.
Kann das Zweiparteiensystem noch toleriert werden?
Louis Perron: Viele Amerikaner und Amerikanerinnen sind mit der aktuellen Auswahl der Kandidaten nicht zufrieden – und trotzdem ist das System sehr etabliert. Aber auch in diesem Jahr waren Zweifel an dem aktuellen System sehr präsent. Grundsätzlich muss man aber sagen, dass das System der «Primarys» (Vorwahlen) ein demokratisches Element in das Gesamtkonstrukt bringt. Das heisst: Es gibt zwar nur die zwei Parteien, aber in diesen Parteien gibt es Vorwahlen, welche Chancen für neues Personal und neue Leute bringen. Das gibt einen Schuss Demokratie und Vielfalt in das Zweiparteiensystem.
Hast auch du eine Frage an unsere Experten zum Wahlkampf in den USA? Dann stell sie gleich hier in den Kommentaren!