Neel Jani hat hörbar Spass. «Ich nehme die Curbs voll, aber nur, weil das nicht mein Auto ist», lacht der Schweizer Profi-Rennfahrer und räubert ohne Rücksicht auf Verluste über die Streckenbegrenzungen. Das Auto, das der ehemalige F1-Testfahrer und Le-Mans-Sieger so gnadenlos über die New Yorker Formel-E-Strecke prügelt, ist kein gewöhnlicher Sportwagen. Es ist der Prototyp von Porsches Elektro-Limousine Taycan – im Wert von einigen Millionen Franken.
Freude herrscht!
Doch das ist dem Profipiloten egal. Für ihn zählt nur das pure Vergnügen am Lenkrad und die Gewissheit, dass er das Fahrzeug voll im Griff hat. Der Sportwagen flitzt nur Zentimeter an den Leitplanken vorbei! Die Beschleunigung des deutlich mehr als zwei Tonnen schweren Boliden ist atemberaubend. Innerhalb weniger Sekunden blitzen 160 km/h unter dem abgedeckten Cockpit hervor. «Wir dürfen hier nur 130 km/h fahren», gluckst der Rennfahrer fröhlich. Das ausgelassene Lachen hat seinen Grund: Der Porsche-Stromer prügelt mit rund 440 kW (600 PS) auf die Reifen ein, die sich mit allem was sie haben in den heissen New Yorker Asphalt krallen. «Die Reifen sind echt gut», frohlockt Neel Jani weiter, während wir in den Schalensitz gedrückt werden. Nach rund 3,5 Sekunden ist die 100 km/h-Marke erreicht, bis 200 km/h sollen es zwölf Sekunden sein. So wie der Elektroporsche durch den Hafen von Brooklyn schiesst, glauben wir diese Werte nur zu gerne.
Technik vom Siegerauto
Jetzt kommt eine Gerade. Zeit Luft zu holen und sich mit der Technik des ersten echten «Tesla Model S»-Jägers auseinanderzusetzen. Die Ingenieure platzierten jeweils einen permanenterregten Synchronmotor an Vorder- und Hinterachse des Taycan. Damit werden die Regeleingriffe extrem schnell übertragen, was der Agilität hilft. Mit einem ähnlichen Konzept hat der Porsche 919 Hybrid die Konkurrenz beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans in Grund und Boden gefahren. Klingt verheissungsvoll. Doch als Neel Jani den Taycan in die nächste Kurve schmeisst, erzählt das charakteristische Rubbeln der Vorderreifen beim Einlenken eine eigene Geschichte. «Der untersteuert beim Kurveneingang, beschleunigt dann aber brutal raus», sagt der Rennfahrer. Uns drückt es einmal mehr die Luft aus den Lungen.
Es gibt noch Abstimmungsarbeit
Das Untersteuern dürften die Ingenieure der sportlichen Elektro-Limousine noch austreiben, zumal der Schwerpunkt des Fahrzeugs aufgrund der grossen 95 Kilowattstunden Batterie extrem tief liegt. Dazu kommen mit Allradlenkung, Differenzialsperre an der Hinterachse und weiteren, technischen Helfern mit denen sich das Untersteuern neutralisieren oder auf Wunsch (den Fahrmodi-Schalter am Lenkrad haben wir schon gesehen) wahrscheinlich sogar in ein Übersteuern umwandeln lässt. Auch wenn der Vorderwagen (noch) nicht mit einem Freudenjauchzer in jede Ecke hechtet, zeigt der Taycan auf dem Formel-E-Kurs in New York, worauf sich die E-Konkurrenz einstellen kann. Lastwechselreaktionen, enge oder schnelle Kurven bringen den Taycan nicht aus der Ruhe. Nachlenken ist nicht nötig, der Porsche zieht stoisch seine Bahn. Auch das Verzögern klappt einwandfrei. Zumal die Bremsen laut Jani «ziemlich gut» sind.
Ein Blick hinter den Vorhang
Ein weiterer positiver Effekt von Neel Janis Querbeschleunigungslust ist, dass die Vorhänge, die das Cockpit verdecken sollen, nicht immer an ihrem Platz bleiben. So können wir den einen oder anderen Blick auf das streng gehütete Geheimnis erhaschen: Die Instrumente werden wohl digital sein, denn die Grafiken, die das eine oder andere Mal hervorblitzen, sind gestochen scharf. Fast die gesamte Bedienung läuft über Touchscreen. Die Vorfreude auf den ersten Elektro-Porsche wächst, denn schon auf dem Beifahrersitz beeindruckt er uns.