VW-Chef Matthias Müller (62) gibt sich vor der Pressekonferenz betont gut gelaunt. Doch bei aller zur Schau getragenen Lockerheit – dem drahtigen Boss ist die Anspannung, unter der er die letzten Wochen stand, anzusehen. Schliesslich hat der ehemalige Porsche-Chef eine Herkulesaufgabe zu stemmen, bei der es nicht nur um die Aufarbeitung des Dieselskandals geht, sondern auch um die komplette Neu-Ausrichtung des gesamten Konzerns. «Wir tun alles, um die aktuelle Situation zu bewältigen. Aber wir werden nicht zulassen, dass uns diese Krise lähmt. Im Gegenteil: Wir nutzen sie als Katalysator für den Wandel, den Volkswagen braucht», gibt sich Müller kämpferisch.
Die Leitlinie für diese grundlegende Neuausrichtung ist der von Müller unlängst umrissene Fünf-Punkte-Plan. Statt einer Kultur der Angst sollen künftig offene Türen für eine transparente Kommunikation sorgen und Entscheidungen in Zukunft schneller und effizienter getroffen werden.
«Ein Konzern dieser Grösse kann nicht mit Strukturen von gestern geführt werden», rechnet Müller mit seinen Vorgängern ab. «Ich werde nicht zulassen, dass Ingenieure weiterhin in Steuerungsgremien sitzen statt zu entwickeln», knurrt er fast grimmig ins Mikrofon. Zudem soll der VW-Konzern schlanker und effizienter werden.
Keine leeren Worte, wie Müller mit folgenden Beispielen unterstreicht: Statt wie bisher 30 Manager werden künftig nur noch 19 direkt an ihn berichten. Wichtige Entscheidungen sollen in den dafür vorgesehenen Ebenen fallen. Das geht einher mit der grösseren Eigenständigkeit der einzelnen Marken und Märkte, die laut Müller mehr gelebte unternehmerische Verantwortung praktizieren sollen.
Die Zukunftsfähigkeit von Europas grössten Autobauer steht weit oben auf Müllers Agenda. Genauer die E-Mobilität und die Digitalisierung. Letztere hat Müller zur Chefsache erklärt und mit Johann Jungwirth einen ehemaligen Mercedes-und-Apple-Mann nach Wolfsburg geholt. «Wir wollen bei der Digitalisierung voranschreiten und nicht hinterherlaufen», so Müller.
Deshalb verspricht der VW-Konzernchef bis 2020 nicht nur 20 neue Elektro- und Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge, sondern auch, «dass VW das autonome Fahren auf breiter Front früher bringt als andere Hersteller.» Seine Devise: «Wir brauchen etwas mehr Silicon Valley, gepaart mit Kompetenz von VW.»
Der komplette Umbau des VW-Konzerns soll bis Anfang 2017 abgeschlossen sein. VW will aber auch sein Image grundlegend ändern. So fängt die neue VW-Bescheidenheit bei weniger protzigen Messeauftritten an und hört bei reduzierten Auslandsreisen der Manager auf. So wird auch der konzerneigene Airbus, mit dem die Führungsriege um die Welt jettete, verkauft.
Parallel zur Neuausrichtung ist der VW-Konzern natürlich weiterhin mit der Aufklärung des Diesel-Skandals beschäftigt. Neben internen Revisoren durchforsten auch externe Experten zusammen mit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte die Unterlagen des Konzerns. Bisher haben rund 450 Prüfer über 100 Terrabyte Daten gesichtet – das entspricht etwa 50 Millionen (!) Büchern.
«Die Aufklärungsarbeit ist noch nicht abgeschlossen,» sagt der Vorsitzende des VW-Aufsichtsrates Hans Dieter Pötsch. Gemäss derzeitigem Stand war aber nur ein kleiner Personenkreis in die Manipulations-Affäre verwickelt. Und Pötsch versichert: «Die Verantwortlichen werden zur Rechenschaft gezogen!»
In Europa scheint VW das Gröbste überstanden zu haben. Das Kraftfahrzeug-Bundesamt KBA hat die von den Wolfsburger Technikern vorgeschlagenen, Nachrüstlösungen akzeptiert. Demnach reicht bei den 1,2- und 2,0-Liter Dieseln eine neue Software. Beim 1,6-Liter-Problem-Motor kommt ein Gitter dazu, das direkt vor dem Luftmassenmesser die Strömung der Ansaugluft beruhigt. Beim grossen V6-Diesel, der auch bei Audi und Porsche zum Einsatz kommt, wird es wohl auf einen neuen Katalysator hinauslaufen.
Die Umrüstaktionen werden übers ganze 2016 verteilt – beginnend beim Zweiliter-Diesel, dann folgt der 1.2 TDI und erst im dritten Quartal der 1,6-Liter. Das Umrüsten ist für die Kunden natürlich kostenlos, zudem verspricht VW auch für etwaige Steuerforderungen an die Besitzer der betroffenen Modelle einzustehen.
Technisch komplizierter wird es in den USA aufgrund der strengeren Normen. Aber selbst da sieht sich Müller auf einem guten Weg. Er traut sich sogar anfangs Januar zur Messe nach Detroit und will dort mit den Behörden konstruktiv verhandeln – selbstbewusst auftreten und keinesfalls auf die Knie fallen.
Doch bei allem zur Schau gestellten Optimismus: Den Dieselskandal hat VW erst überstanden, wenn die Sammelklagen aus den USA vorliegen. Und dann kann es nochmals richtig teuer werden. Das weiss auch Matthias Müller.