Ein neues Führungsduo und neue Strukturen sollen Europas grössten Autobauer Volkswagen aus der bislang schwersten Krise steuern. Eine Woche nachdem der frühere Porsche-Chef Matthias Müller (62) zum neuen Volkswagen-Konzernchef berufen wurde, wählte der 20-köpfige Aufsichtsrat den bisherigen VW-Finanzchef Hans Dieter Pötsch (64) zum Aufsichtsratsvorsitzenden und somit obersten Kontrolleur des deutschen Autoriesen. Der Österreicher löst den übergangsweise amtierenden Berthold Huber (65) ab, der wiederum den Posten im Frühling vom früheren VW-Patriarchen Ferdinand Piëch (78) nach dessen verlorenem Machtpoker übernommen hatte. «Es ist mir ein persönliches Anliegen, alles zu tun, damit die Vorgänge restlos aufgeklärt werden», sagte Pötsch nach seiner Berufung.
Mittlerweile wurde bekannt, dass der unter Druck zurückgetretene VW-Vorstandschef Martin Winterkorn (68) auch all seine weiteren Ämter im Konzern abgeben will. Gemäss der «Süddeutschen Zeitung» sei die Aufgabe der Aufsichtsratsmandate bei Audi, der VW-Nutzfahrzeug-Holding sowie dem Vorsitz der Porsche Holding SE «eher eine Frage von Tagen als von Wochen.» Einzig seinen Posten im Aufsichtsrat von Bayern München will Fussballfan Winterkorn behalten, Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge soll ihn darum gebeten haben.
Derweil ist Winterkorns Nachfolger Matthias Müller mit Aufräumen und Schadensbegrenzung beschäftigt. Das grosse Sesselrücken im Top-Management geht weiter und das Personalkarussell dreht sich in vollem Schwung. «Jeder justiert sich gerade neu», sagen Insider. Ein knappes Dutzend Top-Manager wurden beurlaubt – offiziell bestätigt hat der Konzern freilich nur die Absetzung der Entwicklungschefs Ulrich Hackenberg (Audi), Heinz-Jakob Neusser (VW) und Wolfgang Hatz (Porsche). Überraschend bleiben darf VW-Amerika-Chef Michael Horn (53), dem aber mit dem erfolgreichen Skoda-Chef Winfried Vahland (58) neu ein Aufpasser zur Seite gestellt werden sollte. Vahland – lange als möglicher Winterkorn-Nachfolger gehandelt, kam nach dessen Rücktritt aber nicht zum Zug – tritt seine neue Aufgabe in Nordamerika, Ursprungsregion der Abgaskrise, nun aber doch nicht an. Stattdessen verlässt der Top-Manager, auf dem grosse Hoffnungen für eine erfolgreiche Aufarbeitung der Krise ruhten, den Konzern überraschend. Ebenfalls freiwillig ihren Hut nahmen der Konzern-Vertriebschef Christian Klingler (47) – auch wenn sein Abschied nicht in Zusammenhang mit dem Dieselskandal stehen soll – sowie Kommunikationschef Stephan Grühsem (53), ein enger Vertrauter von Martin Winterkorn. Grühsem wurde bereits durch den früheren Porsche-Sprecher Hans-Gerd Bode (54), ein Gefolgsmann des neuen Konzernlenkers Müller, ersetzt.
Die vielen internen Personalrochaden (es kamen bislang keine neuen externen Kräfte) will der Volkswagen-Konzern auch für neue Strukturen nutzen und sich zudem mit der Beschleunigung des Effizienzprogramms, der Verschlankung von Prozessen und einer Investitionsreduktion von jährlich einer Milliarde Euro vor den zu erwartenden Klagen wappnen. Aber auch das Kerngeschäft soll nicht ausser Acht gelassen werden. So kündigte diese Woche der VW-Vorstandvorsitzende Herbert Diess (56) eine Neuausrichtung der Dieselstrategie an, aber auch die Entwicklung einer standardisierten Elektrifizierungs-Architektur für PWs und leichte Nutzfahrzeuge sowie ein neuer Ansatz für die nächste Generation des VW-Nobelmodells Phaeton. Das aktuelle Projekt wurde gestoppt und neu aufgesetzt. So wird der nächste Phaeton (statt 2016 frühestens 2019) über einen voll elektrischen Antrieb mit Langstreckentauglichkeit, Connectivity und Assistenzsysteme der nächsten Generation sowie über ein emotionaleres Design verfügen. Herbert Diess: «Volkswagen stellt sich für die Zukunft neu auf. Wir werden effizienter, richten die Produktpalette und Kerntechnologien neu aus und schaffen uns mit dem beschleunigten Effizienzprogramm den Spielraum für zukunftsweisende Technologien.»