Mercedes E-Klasse Cabrio: Erlkönig-Erprobung
Die Generalprobe

Bei der Abschlusserprobung des neuen Mercedes E-Klasse Cabrios in Arizona (USA) darf SonntagsBlick rund ein halbes Jahr vor dem Serienstart weit hinter die Autokulissen schauen.
Publiziert: 26.01.2017 um 10:57 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 05:30 Uhr
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Mercedes E-Klasse Cabrio Erlkönig-Erprobung
Foto: Werk
Timothy Pfannkuchen

Willkommen in Florenz! Nein, nicht der italienischen Wiege der Renaissance und der grössten Stadt der Toskana, sondern im amerikanischen Florence, Arizona. Unser kleiner Konvoi – zwei getarnte «Erlkönige» des E-Klasse Cabrios plus drei GL als Bodyguards – verliert sich auf dem grossen Parkplatz ebenso wie das gesichtslose Nest in der Leere. Pinkelpause im Nirgendwo. Die WCs der Town Hall sind grotesk überdimensioniert, die Ambitionen waren hier wohl grösser als das Kleinstadtbudget: Die Turmuhr am Courthouse wurde anno 1891 mangels Geld nur aufgemalt und zeigt seither 11:44 Uhr.

BLICK-Autoredaktor Timothy Pfannkuchen kann auf dem Beifahrersitz eines Prototypen des Mercedes E-Klasse Cabrios Platz nehmen und hinter die Autokulissen schauen.
Foto: Werk

In Florence steht die Zeit still. Bei Peter Kolb (51), keineswegs. Kolb, fester Händedruck, straffer Zeitplan, martert als Mercedes-Versuchsleiter mit seinem Team seit zehn Tagen im 24-Stunden-Betrieb Prototypen. Halbe Sachen? Nicht mit den Schwaben: Dort ticken die Uhren seit 1886, und diese Abschlusstests sind quasi die Generalprobe für das neue E-Klasse-Cabrio.

Härtetest

Weltweit wird es gemartert, Arizona ist nur eine Station. Wozu? Damit, nur zum Beispiel, noch Vierthand-Occasionskäufer das Verdeck in 19 Sekunden (bis 50 km/h auch in Fahrt) öffnen können. «500 Testzyklen pro Dach, mitsamt Prüfstand 20'000», betont Kolb: «Das ist doppelt so viel wie bei Konkurrenten.» Jetzt müssen letzte Problemchen aufgespürt und behoben werden. Nur, wenn alles perfekt ist, gibts hier und heute grünes Licht.

Versuchsleiter Peter Kolb erklärt Redaktor Pfannkuchen den Ablauf der Erprobungsfahrten und was getestet wird. Beispielsweise das Verdeck.
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Kurven, Schlaglöcher, Sandpisten. Ich darf «nur» beifahren – und doch ein Privileg. Selten durften wir so früh hinter die Autokulissen blicken: Erst im Sommer startet die Produktion. «Diese Autos gabs davor nur virtuell im Computer, verrät Kolb. Wieso testet er nicht daheim? «Ich kann nicht warten, bis daheim Sommer ist», scherzt er. Aber im Ernst: Hier kann Kolb den E auf Extreme testen: hohe Luftfeuchtigkeit, extreme Hitze und viel Staub.

Luxus schaffen

Wie in C und S Cabrio ist auch im E Schweben statt Sprinten angesagt. Klar kann das (optional luftgefederte) E Cabrio im Sport-Modus auch flott. Aber der Kern ist Wellness; Schlaglöcher versiegen im Unterbau der 4,83 Laufmeter Luxus. Das Dach ist perfekt gedämmt, lautlos ziehen 15 Meter hohe Saguaro-Kakteen (übrigens offiziell der «Kaktus des Jahres 2017» ...) vorbei. Fehlt nur die heute milde Sonne über dem Kopf: Das Dach bleibt zu, sonst verriete der E auf Paparazzi-Fotos zu viel. «Wir müssten an sich mit Dachtarnung fahren», sagt Kolb, «nur für die Fotos machen wirs ohne.»

Das Cabrio wird die fünfte Variante der E-Klasse und kommt im Herbst auf den Markt.
Foto: Werk

Vor dieser Ausfahrt dürfen wir auf einem abgeschirmten Testareal zwischen Rüttelpiste und Salzwasserdurchfahrt aber die Mütze lupfen. Säuseln statt Zugluft. «Aircap», der Ausfahrspoiler über der Frontscheibe, führt die Luft über alle vier Insassen, so dass sie sich weder die Frisur ruinieren noch verstummen. Das will abgestimmt sein. Kolb: «Diese Akustik kann man nicht simulieren.»

Extrem reif

Bei der nächsten Pause huschen wir nach hinten. Der Fond ist, klar, nicht generös, aber doch bequem. Kofferraum: gute 360 Liter. Lieber geniesst man vorne, wo die Luxusmusik spielt. Feinste Hölzer, Lüftungsdüsen wie von einem schwäbischen Handwerker aus dem Vollen gefräst. Zwei XL-Monitore, Hightech bis zum teilautonomen Radartempomat. Nur: Wieso klappert nichts? Prototypen hatten früher den Charme von Laubsägearbeiten; heute ist der Reifegrad irre. Bei Derivaten – das Cabrio ist nach Limousine, T-Modell, All-Terrain und Coupé die fünfte E-Klasse-Variante – gibts nach drei Jahren digitaler Entwicklung erst ein Jahr vor Produktionsstart reale Autos.

Im Innenraum stimmen viele Details des Prototypen schon, wie beispielsweise die feinen Hölzer oder die Lüftungsdüsen.
Foto: Werk

Vorfreude

Kolb hakt auf dem iPad Prüfpunkte ab: nichts Dramatisches, Prüfung bestanden – jetzt kann die nächste, noch reifere Vorserien-Stufe folgen. Jetzt aber im Basisbenziner E 200 zurück nach Florence. Schnell? Ja. Rassig? Naja. Im Cabrio, das mit ein paar Optionen vermutlich (Preise noch offen) 70'000 Franken sprengt, wünscht man mehr. Aber es kommen ja drei Benziner und zwei Diesel (darunter je ein V6 mit 4x4) mit 184 bis 333 PS plus AMG. Und es ist noch Zeit: Anfang März wird das E Klasse Cabrio am Genfer Salon offiziell enthüllt, im Herbst verkauft. Und es ist immer noch 11:44 Uhr in Florence, Arizona.

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