Willkommen in Florenz! Nein, nicht der italienischen Wiege der Renaissance und der grössten Stadt der Toskana, sondern im amerikanischen Florence, Arizona. Unser kleiner Konvoi – zwei getarnte «Erlkönige» des E-Klasse Cabrios plus drei GL als Bodyguards – verliert sich auf dem grossen Parkplatz ebenso wie das gesichtslose Nest in der Leere. Pinkelpause im Nirgendwo. Die WCs der Town Hall sind grotesk überdimensioniert, die Ambitionen waren hier wohl grösser als das Kleinstadtbudget: Die Turmuhr am Courthouse wurde anno 1891 mangels Geld nur aufgemalt und zeigt seither 11:44 Uhr.
In Florence steht die Zeit still. Bei Peter Kolb (51), keineswegs. Kolb, fester Händedruck, straffer Zeitplan, martert als Mercedes-Versuchsleiter mit seinem Team seit zehn Tagen im 24-Stunden-Betrieb Prototypen. Halbe Sachen? Nicht mit den Schwaben: Dort ticken die Uhren seit 1886, und diese Abschlusstests sind quasi die Generalprobe für das neue E-Klasse-Cabrio.
Härtetest
Weltweit wird es gemartert, Arizona ist nur eine Station. Wozu? Damit, nur zum Beispiel, noch Vierthand-Occasionskäufer das Verdeck in 19 Sekunden (bis 50 km/h auch in Fahrt) öffnen können. «500 Testzyklen pro Dach, mitsamt Prüfstand 20'000», betont Kolb: «Das ist doppelt so viel wie bei Konkurrenten.» Jetzt müssen letzte Problemchen aufgespürt und behoben werden. Nur, wenn alles perfekt ist, gibts hier und heute grünes Licht.
Kurven, Schlaglöcher, Sandpisten. Ich darf «nur» beifahren – und doch ein Privileg. Selten durften wir so früh hinter die Autokulissen blicken: Erst im Sommer startet die Produktion. «Diese Autos gabs davor nur virtuell im Computer, verrät Kolb. Wieso testet er nicht daheim? «Ich kann nicht warten, bis daheim Sommer ist», scherzt er. Aber im Ernst: Hier kann Kolb den E auf Extreme testen: hohe Luftfeuchtigkeit, extreme Hitze und viel Staub.
Luxus schaffen
Wie in C und S Cabrio ist auch im E Schweben statt Sprinten angesagt. Klar kann das (optional luftgefederte) E Cabrio im Sport-Modus auch flott. Aber der Kern ist Wellness; Schlaglöcher versiegen im Unterbau der 4,83 Laufmeter Luxus. Das Dach ist perfekt gedämmt, lautlos ziehen 15 Meter hohe Saguaro-Kakteen (übrigens offiziell der «Kaktus des Jahres 2017» ...) vorbei. Fehlt nur die heute milde Sonne über dem Kopf: Das Dach bleibt zu, sonst verriete der E auf Paparazzi-Fotos zu viel. «Wir müssten an sich mit Dachtarnung fahren», sagt Kolb, «nur für die Fotos machen wirs ohne.»
Vor dieser Ausfahrt dürfen wir auf einem abgeschirmten Testareal zwischen Rüttelpiste und Salzwasserdurchfahrt aber die Mütze lupfen. Säuseln statt Zugluft. «Aircap», der Ausfahrspoiler über der Frontscheibe, führt die Luft über alle vier Insassen, so dass sie sich weder die Frisur ruinieren noch verstummen. Das will abgestimmt sein. Kolb: «Diese Akustik kann man nicht simulieren.»
Extrem reif
Bei der nächsten Pause huschen wir nach hinten. Der Fond ist, klar, nicht generös, aber doch bequem. Kofferraum: gute 360 Liter. Lieber geniesst man vorne, wo die Luxusmusik spielt. Feinste Hölzer, Lüftungsdüsen wie von einem schwäbischen Handwerker aus dem Vollen gefräst. Zwei XL-Monitore, Hightech bis zum teilautonomen Radartempomat. Nur: Wieso klappert nichts? Prototypen hatten früher den Charme von Laubsägearbeiten; heute ist der Reifegrad irre. Bei Derivaten – das Cabrio ist nach Limousine, T-Modell, All-Terrain und Coupé die fünfte E-Klasse-Variante – gibts nach drei Jahren digitaler Entwicklung erst ein Jahr vor Produktionsstart reale Autos.
Vorfreude
Kolb hakt auf dem iPad Prüfpunkte ab: nichts Dramatisches, Prüfung bestanden – jetzt kann die nächste, noch reifere Vorserien-Stufe folgen. Jetzt aber im Basisbenziner E 200 zurück nach Florence. Schnell? Ja. Rassig? Naja. Im Cabrio, das mit ein paar Optionen vermutlich (Preise noch offen) 70'000 Franken sprengt, wünscht man mehr. Aber es kommen ja drei Benziner und zwei Diesel (darunter je ein V6 mit 4x4) mit 184 bis 333 PS plus AMG. Und es ist noch Zeit: Anfang März wird das E Klasse Cabrio am Genfer Salon offiziell enthüllt, im Herbst verkauft. Und es ist immer noch 11:44 Uhr in Florence, Arizona.