Exklusiv: Was 20 km/h mehr beim Crash ausmachen
Kleiner Unterschied mit grosser Wirkung

Initianten fordern eine Erhöhung des Tempolimits auf Schweizer Autobahnen. Welche Folgen die bei einem Unfall haben könnte, erlebte SonntagsBlick eindrucksvoll, live und exklusiv in Vauffelin BE.
Publiziert: 09.08.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 10.10.2018 um 10:14 Uhr
Was 20 km/h mehr beim Crash ausmachen
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:Was 20 km/h mehr beim Crash ausmachen
Von Andreas Engel

Überall zerfetztes Blech, auslaufendes Benzin, zahllose Glassplitter: Das Bild, das wir zu sehen bekommen, ist angsteinflössend. Der Fahrer des völlig demolierten Nissan 100 NX hatte nicht mehr reagieren können, als das Stauende blitzartig vor ihm auftauchte. Ungebremst donnerte er mit 120 Sachen ins Heck eines Renault Scenic, in dem sich eine Frau mit ihrem sechsjährigen Kind befand.

Ein typisches Szenario
Dieser schwere Crash ist glücklicherweise nur nachgestellt. Das Dynamic Test Center (DTC, siehe Box) in Vauffelin im Berner Jura führt Untersuchungen zum Thema Fahrzeugsicherheit und Unfallanalysen durch. Initiantin des heutigen Tests ist die Basler Versicherung, Aktionärin des DTC. Daniel Junker, Leiter Fahrzeugexperten bei der Baloise, erklärt. «Szenarien wie ein solcher Auffahrunfall passieren immer wieder, sei es bei einem plötzlich auftretenden Stau oder bei einem übersehenen Pannenfahrzeug.» Der Crash wurde mit der heute gültigen Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h durchgeführt. Trotz des heftigen Aufpralls stünden die Überlebenschancen der Insassen aber gar nicht schlecht, sagt Junker. «Bei beiden Fahrzeugen ist die Fahrgastzelle grösstenteils intakt; die Insassen sind nicht eingeklemmt. Ausserdem können bei beiden Autos noch die Türen geöffnet werden, was die Bergung der Unfallopfer deutlich erleichtert.»

Initiative fordert 140 km/h
Bei 120 km/h besteht für die Insassen noch eine Überlebenschance, erklärt Junker. «Bei höheren Geschwindigkeiten sinkt diese aber erheblich.» Genau dies, eine Erhöhung der Höchstgeschwindigkeit auf 140 km/h auf Autobahnen, fordert eine Initiative, die von verschiedenen Politikern wie SVP-Nationalrat Lukas Reimann und dem Automobilclub der Schweiz (ACS) unterstützt wird. Die Autobahnen seien schliesslich für solche Geschwindigkeiten konzipiert und heutige Fahrzeuge viel sicherer, so die Argumentation. Doch was passiert, wenn bei einem Auffahrunfall das Crashtempo um nur belanglos erscheinende 20 km/h erhöht wird, zeigt ein zweiter DTC-Test.

Unterschiede unübersehbar
Der Ablauf bleibt gleich. Wieder wird der Nissan per Seilwinde beschleunigt – diesmal auf Tempo 140. Der Aufprall ist heftig. Die Front des Verursacherfahrzeugs bohrt sich sichtlich tiefer ins Heck des stehenden Renault. Der wird ausserdem deutlich weiter weggeschleudert. Schon auf den ersten Blick sind die verheerenden Auswirkungen erkennbar. «Es haben viel stärkere Kräfte gewirkt als im ersten Versuch», analysiert Experte Daniel Junker: «Laut Theorie soll die freigesetzte Energie im Vergleich zu Tempo 120 um 36 Prozent höher sein. Dieser Unterschied ist nicht zu übersehen.»

Der Dummy im Nissan ist durch die Wucht des Aufpralls trotz Airbag mit Brust und Kopf heftig auf dem Lenkrad aufgeschlagen. Die physische Belastung war massiv. Dies hätte schwerste Verletzungen wie Quetschungen zur Folge; schlimmstenfalls gar den Riss der Halsschlagader. Noch schlimmer sieht es aber im stehenden Scenic aus. Der Crash war so heftig, dass die Puppe auf der Rückbank in zwei Teile zerrissen wurde! «Hier wären die Überlebenschancen gleich null», lautet das Fazit von Junker. «Die Rückbank ist quasi inexistent und die Fahrgastzelle völlig zerstört.»

Fazit: Auch wenn der Geschwindigkeitsunterschied der Tests lediglich 20 km/h betrug – die Schwere des Unfalls ist ungleich grösser. So verlockend eine Erhöhung der Höchstgeschwindigkeit für viele Autofahrer also auch sein mag: Über die Folgen eines eventuellen Crashs sollte man sich immer wieder bewusst werden.

Drei Fragen an Daniel Junker, Leiter Fahrzeugexperten bei der Basler Versicherung

Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse des Crashtests?
Daniel Junker:
Die theoretische Annahme, dass sich die freigesetzte Energie bei nur 20 km/h mehr um 36 Prozent erhöht, konnte bestätigt werden. Dies in der Praxis zu sehen, war sehr eindrücklich. Die Überlebenschancen beim Auffahrunfall mit 120 km/h sind deutlich höher als mit Tempo 140.

Ist die Basler Versicherung grundsätzlich gegen eine Erhöhung der Höchstgeschwindigkeit?
Nein, nicht kategorisch. Wir wollten der Bevölkerung mit diesem Test lediglich aufzeigen, was so eine Erhöhung um nur 20 km/h bei einem Unfall bedeutet, und welche Folgen dies für Fahrzeuge und Insassen hat. Der Test ist eine reine Präventivmassnahme.

Hätte eine Tempoerhöhung automatisch einen Anstieg der Versicherungsprämie zur Folge?
Nein, das sicherlich nicht. Wenn aber bei einer Erhöhung der maximalen Geschwindigkeit ein signifikanter Anstieg an Unfällen in unserer Schadenstatistik festzustellen wäre, müssten wir natürlich reagieren und prüfen, ob eine Anhebung der Prämien in Betracht gezogen werden muss.

Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse des Crashtests?
Daniel Junker:
Die theoretische Annahme, dass sich die freigesetzte Energie bei nur 20 km/h mehr um 36 Prozent erhöht, konnte bestätigt werden. Dies in der Praxis zu sehen, war sehr eindrücklich. Die Überlebenschancen beim Auffahrunfall mit 120 km/h sind deutlich höher als mit Tempo 140.

Ist die Basler Versicherung grundsätzlich gegen eine Erhöhung der Höchstgeschwindigkeit?
Nein, nicht kategorisch. Wir wollten der Bevölkerung mit diesem Test lediglich aufzeigen, was so eine Erhöhung um nur 20 km/h bei einem Unfall bedeutet, und welche Folgen dies für Fahrzeuge und Insassen hat. Der Test ist eine reine Präventivmassnahme.

Hätte eine Tempoerhöhung automatisch einen Anstieg der Versicherungsprämie zur Folge?
Nein, das sicherlich nicht. Wenn aber bei einer Erhöhung der maximalen Geschwindigkeit ein signifikanter Anstieg an Unfällen in unserer Schadenstatistik festzustellen wäre, müssten wir natürlich reagieren und prüfen, ob eine Anhebung der Prämien in Betracht gezogen werden muss.

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