Exklusiv-Interview mit Amag-CEO Morten Hannesbo
«Vielleicht die härteste, aber nicht die schlimmste Krise»

2015 war für Amag-CEO Morten Hannesbo ein schwieriges Jahr. Erst die Aufhebung des Euromindestkurses, dann der VW-Dieselskandal. Mit SonntagsBlick sprach er über beide Themen, aber auch über Erfreulicheres wie die Rekordverkäufe der Amag-Marken Audi, Seat und Skoda.
Publiziert: 24.01.2016 um 00:27 Uhr
|
Aktualisiert: 28.09.2018 um 20:35 Uhr
Amag-CEO Morten Hannesbo schaut im Gespräch mit SonntagsBlick auf das turbulente letzte Jahr zurück.
Foto: Philippe Rossier
Interview: Raoul Schwinnen und Urs Bärtschi Fotos: Philippe Rossier

SonntagsBlick: Herr Hannesbo, was wäre Ihr persönliches Unwort für das abgelaufene Jahr?
Morten Hannesbo:
Überstunden! Und das gilt nicht nur für mich, sondern für unsere ganze Firma.

Sie tönen es damit an: 2015 startete mit einem Knall. Wurde die Amag am 15. Januar von der Aufhebung des Euromindestkurses überrascht
Ja, definitiv! Ich kann mich noch gut erinnern: Wir hatten am 16. Januar unsere Jahrespressekonferenz – und ich wusste bis am Morgen der Veranstaltung nicht, was ich zur Aufhebung des Euromindestkurses kommunizieren soll.

Amag-CEO Morten Hannesbo (mitte) trifft sich mit SonntagsBlick-Autochef Urs Bärtschi (links) und SonntagsBlick-Autoredaktor Raoul Schwinnen (rechts).
Foto: Philippe Rossier

Ihre Branche reagierte gut auf den Frankenschock. Aber kaum hatte sich der Markt wieder eingespielt, folgte im September der VW-Dieselskandal. Die grösste Herausforderung Ihrer bisherigen Managerkarriere?
Ja und nein. Ich muss dazu etwas differenzieren: Die erste Krise betraf die ganze Branche, ja die ganze Schweiz. Da mussten alle Unternehmen reagieren, sich neu aufstellen, teils restrukturieren oder Leute entlassen. Die zweite Krise ist dagegen eine VW-eigene Krise – zudem entstanden aus einem Problem, das sich der VW-Konzern selbst geschaffen hat und das wir als Partner und der VW-Konzern folglich auch selbst lösen müssen.

Der VW-Skandal ist vielleicht die härteste, aber nicht die schlimmste Krise. Als Manager finde ich es die grössere Herausforderung, wenn man restrukturieren und Leute entlassen muss. Das ist viel schlimmer, als die finanzielle Herausforderung einer Abgaskrise zu lösen. Obwohl dies auch hart und mit einigen schlaflosen Nächten verbunden war.

Da kommt es Ihnen entgegen, dass Sie dank jährlich 7000 Velo-Kilometern super in Form sind. Ist es heute eine Voraussetzung, dass Spitzenmanager auch Top-Sportsleute sein müssen?
Nein, das glaube ich nicht. Für mich funktioniert es aber. Der Sport ist mein Ausgleich. Zeit, in der ich auf dem Fahrrad entweder abschalte oder überlege, was ich besser machen kann – sowohl privat als auch geschäftlich. Ob als Marathonläufer, Velofahrer oder Bergsteiger ist dabei weniger wichtig. Wichtiger finde ich, dass man sich die dazu erforderlichen Freiräume schafft – auch, um das hektische Leben einmal mit etwas Abstand zu betrachten.

Sportsmann mussten Sie sein, um den Ärger zu verkraften, dass die Amag beim VW-Skandal unverschuldet in den Schlamassel geriet. Hat sich der zurückgetretene VW-Boss Martin Winterkorn bei Ihnen je entschuldigt?
Nein, das hat er nicht. Ich denke, das muss er auch nicht. Das gehört zum Geschäftsleben, dass uns solche Herausforderungen gestellt werden. Ich bin zudem der festen Überzeugung, dass Professor Winterkorn, den ich seit letzten September an der IAA und seinem Rücktritt nicht mehr gesehen habe, nicht absichtlich handelte.

Persönlich Morten Hannesbo (53) wurde in Dänemark geboren und ist gelernter Schifffahrts-Kaufmann. Er besitzt einen MBA-Studienabschluss und stieg schon früh ins Autogeschäft ein. Erst war er für Toyota und Nissan in Dänemark tätig, ab 2000 für Ford in Frankreich und England, ab 2006 als CEO in der Schweiz. Am 1. August 2007 wurde er Managing Director des Geschäftsbereichs Amag Import, und seit 1. Oktober 2009 ist er CEO der Amag-Gruppe. Hannesbo ist mit Lotte (48) verheiratet und hat drei erwachsene Söhne. Der «Car-Guy» und Fussballfan fährt in seiner Freizeit leidenschaftlich Rennrad, Mountainbike und Ski.
Foto: Philippe Rossier

In einem Interview sagten Sie kürzlich: «Ein Skandal, der vielleicht gar keiner ist». Wie meinten Sie das?
Was die Volkswagen AG gemacht hat, lässt sich nicht kleinreden. VW hat in Amerika im Prozess mit den Genehmigungen betrogen. Das war nicht gesetzeskonform, ein Fehlverhalten und ist folglich inakzeptabel. Warum man das gemacht hat, ist für mich bis heute unverständlich. Natürlich darf man nicht betrügen. Mit meiner Aussage zielte ich aber auf die Wirkung dieses Fehlers.

Erstens ist es kein Sicherheitsproblem, bei dem Menschen durch einen technischen Mangel verunglücken können. Alle Fahrzeuge sind technisch sicher und fahrbereit und können ohne jegliche Einschränkung genutzt werden.

Zweitens müssen wir vielleicht den europäischen und den amerikanischen Markt getrennt betrachten. Die Normen sind anders und die Fahrzeuge, die wir in Europa verkaufen, gehören im Vergleich zur Konkurrenz zu den Besten, was die NOx-Werte im realen Fahrverhalten angeht. Das haben auch unabhängige Tests bewiesen. Man hat aber eine Software eingebaut, welche die NOx-Werte im Prüfstandslauf optimiert – und das geht natürlich nicht. Aber im realen Fahrverhalten sind unsere Fahrzeuge genau gleich umweltfreundlich – oder gleich wenig umweltfreundlich – wie die Fahrzeuge anderer Hersteller auch.

Folglich schummeln die anderen Hersteller auch?
Das weiss ich nicht! Und ich glaube auch, dass VW nicht auf die Software hätte zurückgreifen müssen – in Europa! In Amerika sind die Gesetze deutlich strenger für Dieselfahrzeuge – 31 Milligramm NOx statt 180 Milligramm pro Kilometer für das Erreichen der Euro 5-Norm hier bei uns. Und das war wohl der Grund, weshalb VW diesen Weg wählte. Schade, denn dieser fatale Fehler hat die Volkswagen AG Milliarden gekostet…

...und wird den Konzern noch Milliarden kosten!
Ja! Und uns auch noch lange beschäftigen.

Hannesbo erklärt, dass in der Schweiz rund 130'000 Fahrzeuge in den nächsten zwölf Monaten zurückgerufen werden.
Foto: Philippe Rossier

Nach Bekanntwerden des Skandals versuchte die Amag Ruhe zu bewahren. Dennoch: Wie gross ist heute die Verunsicherung intern und bei den Kunden?
Natürlich stand die ganze Amag unter einem gewaltigen Druck, und wir leisteten während gut zwei Monaten Tausende von Überstunden. Auch wir mussten die Informationen und Fakten zusammensuchen. Aber nach dem grossen Einsatz und den vielen Sitzungen besteht intern keine Verunsicherung mehr. Wir wissen nun, was wir zum Start der Rückruf-Aktion zu tun haben.

Die technischen Massnahmen sind vom Bundesamt für Strassen Astra vollumfänglich bestätigt. Auch bei den Kunden ist die Verunsicherung mehrheitlich verschwunden. In den nächsten Tagen werden wir sie über die nächsten konkreten Schritte transparent informieren. Wir spüren aber eine gewisse Verärgerung. Viele Kunden sind irritiert und enttäuscht. Und genau das ist unsere grosse Aufgabe, die wir die nächsten 24 Monate lösen müssen – das Vertrauen unserer Kunden gemeinsam mit dem VW-Konzern wieder zurückzugewinnen.

Wie viele Konzernfahrzeuge sind konkret in der Schweiz vom Skandal betroffen?
Rund 130'000 Stück. Und die müssen alle in den nächsten zwölf Monaten je nach Lösung für eine halbe beziehungsweise weniger als eine Stunde in unsere autorisierten Werkstätten gebracht werden. Das ist eine zusätzliche Herkulesaufgabe für unsere Betriebe, die sonst ja schon sehr gut ausgelastet sind. Wir sind jedoch aufgrund der Vorbereitungsarbeiten gut in der Lage, die durch den Rückruf anfallende Arbeit neben dem Tagesgeschäft zu bewältigen. Die Kapazitäten sind grundsätzlich vorhanden.

Übernimmt Wolfsburg die Kosten?
Die Kosten für den Rückruf werden zu hundert Prozent vom Hersteller getragen. Bei nötigen Zusatzleistungen zeigen wir uns als Amag, obwohl selbst auch betroffen, kulant und werden auch unseren Teil beisteuern.

Hat sich der VW-Skandal negativ auf den Absatz in der Schweiz ausgewirkt?
Ja, es hat unser Geschäft negativ beeinflusst. Zum Glück weniger als befürchtet. Statt dem beabsichtigten kleinen Wachstum für 2015 ging der Marktanteil von VW in der Schweiz trotz einem Verkaufsplus von gut fünf Prozent um 0,3 Prozent zurück. Der Verlust hält sich also klar in Grenzen. Bei unseren anderen Marken Audi, Seat und Skoda sehen wir dagegen keine offensichtliche Wirkung. Im Gegenteil, da erreichten alle Marken neue Stückzahlenrekorde.

Stückzahlenrekorde tönt schön. Aber obwohl Sie bei Audi zulegten, war Premium-Konkurrent BMW wieder stärker. Und auch Mercedes zog an Audi vorbei. Schmerzt das?
Ja, das gefällt mir nicht. Und das gebe ich gerne zu. Aber wir haben bei Audi momentan zwei sehr starke Wettbewerber mit tollen Produkten, die zudem fast alle ihre Modelle in den letzten zwei Jahren erneuert haben. Audi wird dies in den nächsten zwei Jahren tun. Und die Chance, dass Audi spätestens 2017 wieder an erster Stelle im Premiumsegment sein wird, ist recht gross. Dennoch dürfen Sie nicht vergessen, in der Schweiz wurden noch nie so viele Audi verkauft wie im abgelaufenen Jahr. Und daher hält sich meine Enttäuschung in Grenzen – auch wenn ich natürlich nicht gerne verliere. Weder im Sport noch im Arbeitsleben.

Der aufgefrischte Familienvan Alhambra half mit, dass Seat in diesem Jahr erstmals über 10'000 Autos in der Schweiz verkaufte.
Foto: Martin A. Bartholdi

Freude bereitete Ihnen dagegen Seat…
Genau!

Mit einer Steigerung um 11,4 Prozent verkaufte die Amag erstmals über 10'000 Seat in einem Jahr in der Schweiz. Geht das weiter so?
Das geht definitiv weiter so. Weil Seat ab Herbst erstmals einen SUV auf den Markt bringt, der hübsch ausschaut und perfekt auf unseren Markt zugeschnitten ist. Kommt dazu, dass unser Seat-Team trotz seinen beschränkten Mitteln ausgezeichnet arbeitet. So konnte Seat während den letzten drei Jahren in der Verkaufshitparade einige renommierte Marken überholen.

Weiterhin erfolgreich ist auch Skoda. Da konnten Sie 2015 in der Schweiz erstmals über 20'000 Fahrzeuge absetzen.
Skoda ist eine andere Geschichte. Diese Marke definierte vor sechs Jahren eine neue Strategie, bei der man sich marketingmässig hundertprozentig auf den Schweizer Markt einrichtete – «Made for Switzerland». Und entsprechend passen die Produkte zu unserem Markt und sind absolut perfekt positioniert. Und mit dem neuen Superb hat Skoda auch beim Design nochmals zugelegt. Das ist wirklich eine tolle Geschichte für Skoda und die Amag.

Zum Rekordergebnis von schweizweit über 20'000 verkauften Skodas verhalf den Tschechen der komplett neue Superb mit 1190 Verkäufen.
Foto: Martin A. Bartholdi

Wie lauten Ihre Absatzziele für dieses Jahr?
Ursprünglich definierten wir mal 33 Prozent Marktanteil bis 2017. Das korrigierten wir mittlerweile auf 30 Prozent nach unten. Unser Ziel, ein Drittel Marktanteil in der Schweiz, besteht aber weiterhin. Wir werden aber nicht alles dafür unternehmen. Vielmehr streben wir eine stabile Entwicklung an. Ich bin realistisch genug, dass ich dieses Jahr nicht unbedingt mit einem weiteren Wachstum rechne. Und so hoffe ich für 2016 auf ein ähnliches Ergebnis wie 2015.

Herbert Diess, der neue VW-Chef in Wolfsburg, glaubt an die Zukunft der Elektromobilität. Und Sie?
Ich auch. Ich finde es toll, mit einem Elektro- oder Plug-in-Hybrid-Auto zu fahren. Leider ist aber die Welt noch nicht bereit für eine dominierende Rolle der E-Fahrzeuge, weil die Infrastruktur noch nicht steht. Ein Beispiel: Bei Neubauten gibts noch kein Gesetz, das etwa in Tiefgaragen eine Steckdose pro Parkplatz vorschreibt. Und bis es Lösungen gibt, bei denen man Elektro-Fahrzeuge etwa über Induktion in der Strasse auch während dem Fahren laden kann, bis dahin wird die Elektromobilität eine Nebenrolle spielen. Ich glaube, erst 2030 könnte es so weit sein. Und bis dahin dürfte auch die Industrie mit entsprechend verbesserter Akku-Technik bereit sein.

Fehler gefunden? Jetzt melden