Dampf- und Diesel-Fest 2015 in Wilchingen
Wo die Damen vor Freude kochen

Letztes Wochenende präsentierten sich über 350 historische Land- und Baumaschinen von ihrer schönsten Seite und machten das kleine Schaffhauser Dorf Wilchingen zum Mekka für Fans des dampfenden Kulturguts.
Publiziert: 24.08.2015 um 14:47 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 03:01 Uhr
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Von Rafael Künzle

Das 1700-Seelendorf Wilchingen ist normalerweise ein beschauliches Örtchen im schaffhausischen Klettgau. Aber dort, wo sich sonst alles um Weinbau dreht, herrscht heute Ausnahmezustand. Denn dieses Wochenende findet das grosse Dampf- und Dieselfestival statt. Das Sägewerk wird zum Festzelt, Scheunen zu rustikalen Imbissständen. Jung und Alt, Bauer und Akademiker sind gleichermassen aus dem Häuschen. Denn heute ist der grosse Tag von Susi, Eva, Marlise – oder wie sie alle heissen mögen.

Bereits auf meinem Anreiseweg begegne ich den ersten, mächtigen Schönheiten. Die über 350 nostalgischen Traktoren und Dampfwalzen rollen nämlich grössten Teils aus eigenem Antrieb zum grossen Dampf- und Diesel-Fest nach Wilchingen. Kein Wunder – ein Transport der mehrere Tonnen wiegenden Kolosse wäre auch gar nicht so einfach. Lucky Susi liess sich letztlich aber doch chauffieren, schliesslich ist Hans Peter Landenbergers 16,5 Tonnen schwere Dampfwalze mit Jahrgang 1912 ziemlich betagt und hat vor ihrem Ruhestand einiges geleistet. «Sie war unter anderem beim Bau der Simplonstrasse im Einsatz», erläutert Landenberger stolz. Der Walzenkönig muss es wissen, schliesslich kennt er seine Susi in- und auswendig. Während fünf Jahren hat er die über sechs Meter lange Dampfwalze, die ursprünglich aus Rochester (England) stammt, liebevoll zerlegt und wieder zusammengebaut. Den Namen Susi erhielt sie erst später. «Viele Besitzer alter Land- und Baumaschinen geben ihren Lieblingen Frauennamen. Meine erhielt denjenigen meiner Frau, die während der Bauzeit oft auf mich verzichten musste», so Landenberger. Und warum der Beiname Lucky? «Sie ist eine von 25 Dampfwalzen, die in der Schweiz noch fahrtauglich sind. Da darf sie sich doch glücklich schätzen.» Man könnte ein Buch über Landenberger und seine eiserne Susi schreiben.

Doch dies würde dem Dampf- und Diesel-Fest kaum gerecht, schliesslich hat jedes Gefährt hier eine aufregende Geschichte erlebt, wie mir Stephan Neukomm, einer von fast 4000 Mitgliedern der «Freunde alter Landmaschinen», versichert. Denn einst existierten in der Schweiz über 100 Traktorenhersteller. Neben Exemplaren von bekannten Herstellern wie Hürlimann oder Bührer sind auch Exoten wie Neukomms Autotraktor, ein zum Traktor umgebauter 1931er Fiat 515, in Wilchingen zu bestaunen. Doch die Vielfalt hatte auch ihre Schattenseiten. «Statt sich gegen die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufkommende ausländische Konkurrenz zusammenzuschliessen, bekämpften sich die grossen Schweizer Traktorenbauer bis zum Niedergang», fügt Neukomm mit Wehmut an.

Obwohl 1976 mit Bührer der letzte grosse Hersteller kapitulieren musste, sind die Schweizer Traktorenhersteller noch nicht ganz verschwunden. Seit 2004 hält Sepp Knüsel unter dem Namen Rigitrac die Zunft als Letzter aufrecht. Doch nicht nur Sepp, auch seine Frau Marlis und die vier Töchter arbeiten im Familienbetrieb in Küssnacht am Rigi mit und sind vom Traktorenvirus infiziert. Frauen und Traktoren – passt das zusammen? «Warum nicht», entgegnet Neukomm, der sich den ganzen Tag Zeit nimmt, um mich in die Welt der Land- und Dampfmaschinen einzuführen. «Bei uns gibts keine Konventionen.» Und so stehen neben unberührten Scheunenfunden hochglanzpolierte Exemplare, und selbst ein airgebrushter Lanz Bulldog ist zu bestaunen. Neukomm: «Jeder gestaltet sein Gefährt wie er will. Warum sollten da die Damen nicht mittun dürfen?» Wie zum Beweis trocknet Ruth Knüsel beim anschliessenden «Bulldoggenheizen» fast die gesamte Männerriege ab. Und dies, obwohl der Akt alles andere als ein Kinderspiel ist: Heizlampe unter den liegenden Zylinder stellen, Flamme justieren, 10,5 Liter Hubraum erwärmen, Lenkrad abziehen, seitlich ins Schwungrad stecken und dann kurbeln, kurbeln, kurbeln. Mit einem lauten «Flupp» setzt sich der bis zu 25 Kilo schwere Kolben in Bewegung, die erste eiserne Dame kocht vor Freude!

Doch nicht nur die dumpfen Töne der teils über 100'000 Franken teuren Landmaschinen bewegen die 14'000 Gäste an diesem Wochenende. Auch Lokalmatadorin Lisa Stoll sorgt auf ihrem Alphorn für Gänsehaut. Gänsehaut hätten wohl auch die Landmaschinen bei der abschliessenden Parade, angesichts der tosenden Menge, die dem fahrenden Kulturgut im strömenden Regen ihren Tribut zollt. Doch wie die Ära der historischen Dampfmaschinen, fand auch das diesjährige Dampf- und Diesel-Fest irgendwann ein Ende. Und so machten sich die eisernen Ladys wieder auf den Heimweg – zumindest bis zum nächsten Jahr, wenn im August das beschauliche Fehraltorf ZH zum Mekka der Landmaschinen wird.

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