Seine Geste war der erhobene Zeigefinger. Den – Aufgepasst! – streckte Carlos Ghosn (64), Chef von Renault und Nissan, in die Luft, wenn er seine Weisheiten zur Autobranche kundtat. Gerne auch im Doppel mit Mercedes-Boss Dieter Zetsche. Fast schon Comedy, für die mancher Eintritt gezahlt hätte.
Die Vorwürfe
Doch jetzt muss Ghosn sehr ernsthaft Rede und Antwort stehen: Nach Durchsuchungen beim japanischen Autobauer Nissan wurde er gestern in Japan festgenommen. Der Vorwurf: Er habe seit fünf Jahren sein Gehalt um rund 40 Millionen Euro zu niedrig angesetzt, gegen Finanzregeln verstossen und Steuern hinterzogen. Auch von privater Nutzung von Firmenvermögen ist die Rede. Intern soll seit Monaten ermittelt worden sein. Auch Personalvorstand Greg Kelly ist im Visier.
Der Aufstieg
Damit scheint der einstige Napoleon der Autowelt am Ende. Ab 1996 restrukturierte Ghosn Renault und fädelte 1999 die Allianz – nicht Fusion! – zwischen dem französischen Autobauer und Nissan ein, wo er 2001 CEO wurde. Seit 2005 leitete er in Personalunion auch Renault; 2016 fügte er noch Mitsubishi hinzu. Aus drei einst kriselnden Autobauern schmiedete er die Nummer vier in der Autowelt, die 2017 dann 10,6 Millionen Fahrzeuge verkaufte und mit dem Daimler-Konzern zusammenarbeitet.
Der Geschäftsmann
Das Erfolgsrezept des als ungeduldig geltenden Kostenkillers: Kundenorientierung – und klare Linie. Innovationen wie autonomes Fahren und Elektromobilität sollten zuerst in günstigen Autos kommen, um grosse Stückzahlen zu erreichen. Ghosn schnitt die Allianz auf sich zu. Finanzcrash 2008, Massenentlassungen 2010 – Ghosn überstand jede Krise. Kritik und kulturelle Differenzen bei Renault und Nissan ignorierte er. Hauptsache, der Rubel rollt: «Cash is king.» Potenzielle Nachfolger? Wurden kurz gehalten wie sein einstiger zweiter Mann, der heutige PSA-CEO Carlos Tavares.
Die Gehaltsfrage
Immer wieder gabs Streit um seinen Sold: Mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, damals noch Wirtschaftsminister, geriet Ghosn 2016 aneinander, als der Staat als Renault-Minderheitsaktionär seinen Bonus beschnitt. Im letzten Jahr soll er versucht haben, über eine niederländische Stiftung an den Aktionären vorbei Boni einzustreichen. Zuletzt soll er rund 13 Millionen Euro pro Jahr verdient haben.
Der «Weltbürger»
Privat lebt der in Brasilien geborene Libanese und «Weltbürger» (Titel seines Buches), der sieben Sprachen sprechen soll, zurückgezogen. Er raucht nicht, trinkt nicht und isst wenig, um die ständige Fliegerei zwischen Paris, Tokio und seiner Wahlheimat New York zu überstehen. Mit den vier Kindern aus seiner geschiedenen ersten Ehe trifft er sich im Geheimen. Feierabendbiere mit Mitarbeitern waren ihm ein Graus. Lieber spielte er Bridge mit Bill Gates oder Warren Buffett. Trat vor zwei Jahren bei Olympia in Rio als Flammenträger auf. Hielt Hof am WEF in Davos. Und wurde schon als Präsidentschaftskandidat des Libanon gehandelt.
Die Folgen
Seit 2017 sitzt Ghosn im Nissan-Verwaltungsrat; seinen CEO-Job dort hatte er aufgegeben. Nachfolger Hiroto Saikawa drängt ihn nun zum Rücktritt. Auch Renaults Verwaltungsrat wird die Personalie beraten: Renaults Aktienkurs stürzte in Paris nach Bekanntwerden der Vorwürfe um 13 Prozent ab.