Um die Kritik gleich vorwegzunehmen: Nein, natürlich braucht niemand einen Bentley – eigentlich. Chanel oder Rolex braucht ja auch niemand – eigentlich. Aber der Kunde ist bekanntlich König (bei Bentley sogar manchmal im Wortsinne) und griff seit 2003 fast 70'000 Mal begeistert zum ersten Bentley der Neuzeit, sprich unter VW-Ägide: Der Continental GT rettete die Briten, öffnete sie nach unten und entstaubte sie gründlich. Aber das Luxuscoupé schlechthin blieb sich so treu, dass die zweite Auflage nur geliftet schien, selbst einstaubte und die Konkurrenz – etwa das Mercedes S-Klasse Coupé – aufholte.
Faktisch fetter, optisch schlanker
Lord GT der Dritte stellt nun wieder klar, wer bei den grossen Granturismos Kaiser unter Königen ist. Wow, sieht der cool aus! Und rank und schlank, was eine optische Täuschung ist. Der very britische Kniff: Perfekte Proportionen verwandeln die Wuchtbrumme zum Dressman, obwohl der Viersitzer so hoch wie zuvor ist, ja gar breiter und etwas länger (4,85 m). Es hat sich aussen ausgeprotzt – und innen herausgeputzt: Jedweder Muff und Anflüge unstandesgemässer Materialien sind dahin, jedes Detail verwöhnt im Herrenclub auf Pneus Augen wie Hände und ist aus dem Vollen gefräst.
Ein Drehdisplay als Hingucker
Beim ganzen Touchscreen-Rundumkamera-Konnektivitäts-Klimbim freilich stand Bentley vor dem Dilemma: Die Luxuskunden wollen ja keine Flimmerkiste, sondern relaxen. Aber smartphonen und navigieren. Was tun? Die Wahl lassen: Die Instrumente sind digital, sehen aber analog aus. Und dazu staunt der Nachbar im Villenviertel, wie sich der Mittel-Touchscreen wie James Bonds Nummernschilder drehen kann (siehe Video) und nach Wunsch Edelholz pur (nur im Stand), Holz und wunderschöne Rundinstrumente oder Touchscreen zeigt. Sinnlos? Logisch, aber eben stilvoll.
Meckern an veralteter Technik entfällt jetzt ohnehin, weils endlich selbst im GT Assistenz gibt: Radartempomat, Nachtsichtgerät, Matrix-LED, Headup-Display und mehr. Weder für Geld noch gute Worte gibts hinten viel Platz: Vorne verwöhnt uns blanke Opulenz, hinten verstört uns aber das Gefühl, mit der Frisur am Dachhimmel und Knien am Vordersitz zu schaben. Aber die geräumigere Limousine folgt – und ein GT ist eben was für zwei.
Her mit Spass und Sport
Diese zwei erleben einen Schwerathleten in Partylaune: Kaum zu glauben, wie leicht und zum Vorgänger um Welten behänder dieser 2,3-Tönner (minus knapp 100 Kilo) wirkt, ohne je ins bürgerlich Nervöse abzugleiten. Selbst in Kehren kein Angstschweiss, weil (ausser nach hinten) die Übersicht stimmt. «Effortless» nennts Bentley, «mühelos». Das stimmt in der Tat. Kurven rasant, aber ganz ungerührt – Schluss mit Schwanken und Schieben, her mit Spass und Sport. Dabei schwebt er zwar nicht so abgehoben wie etwa ein S-Klasse Coupé, ist aber selbst in «Sport» äusserst geschmeidig.
Von flüsterleise bis diabolisch
Auch akustisch: Viel leiser werden Autos nicht, aber das diabolische Grummeln in «Sport» trifft genau den Grat zwischen langweilig und lästig. Aber der neue Sechsliter-W12 mit 635 PS tönt nicht nur famos: 900 Newtonmeter (bei 1350 bis 4500/min!) schiessen uns aus jeder Lage ansatzlos gewalttätig zum Horizont: 3,7 Sekunden auf Tempo 100 und 333 km/h Spitze. Selbst der Doppelkupplungs-Automat machts perfekt, und die hecklastige 4x4-Rakete genehmigt sich trotz flotter Gangart auf Probetour knapp 13 Liter im Schnitt (laut Display; Normwert 12,2 l/100 km). V8 und Plug-in-Hybrid folgen. Ja, dieses Coupé ist ein famoser Gleiter, der aber fetzen kann und ins Parkhaus passt. Yes, we're impressed!
Für 2018 ist er schon vergeben
Fleissig wie die Ingenieure sollten Käufer arbeiten. Der Brite ist erst ab 218‘070 Franken zu haben, wohlgemerkt ohne die vielen schönen, ganz schön teuren Extras. Lust auf Luxus? Haben viele: Im Herbst anrollend, ist der Continental GT für 2018 ausverkauft.