Fahrbericht Ducati Streetfighter V4 S
Die bessere Panigale

Dass Ducati ein Power-Naked-Derivat der Panigale V4 lancieren würde, lag auf der Hand. Jetzt ist der 208-PS-Hooligan da – und wir konnten ihn auf der Strasse zum ersten ­Kurven-Swing ausführen. Mit teils über­raschenden Erkenntnissen.
Publiziert: 10.05.2020 um 17:15 Uhr
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Dass Ducati ein Power-Naked-Derivat der Panigale V4 lancieren würde, lag auf der Hand.
Foto: Michele Limina
Daniele Carrozza (Test), Michele Limina (Fotos)

Wegen der Corona-Krise wurde die offizielle Vorstellung der Ducati Streetfigher (eine der wichtigsten Modellneuheiten 2020) auf der Rennstrecke abgesagt. Weil aber erste Demo-Bikes schon bei den Händlern standen, können wir die V4 S dennoch ­einem ersten Check unterziehen – halt auf unseren Schweizer Strassen. Deshalb fahren wir die feurige Italienerin primär in der Konfiguration Street (155 PS) und nur gelegentlich auf Sport (die vollen 208 PS) – und gar nicht im Race-Mode. Da warten wir besser auf den Trackday.

Wir fahren die exklusivere Version (ab 23'995 Fr.), die sich vom 3000 Franken günstigeren Basismodell durch Schmiederäder von Marchesini und adaptivem Öhlins-Fahrwerk mit elektromechanisch angesteuertem Lenkungsdämpfer unterscheidet. Mit ­einem Gewicht von fahrfertig 199 Kilo resultiert durch die S-Komponenten eine Gewichtsreduktion gegenüber der Basis um drei Kilo. Mit 208 PS (bei 12’750/min) liegen gegenüber der Panigale zwar sechs PS weniger an, die Streetfighter drückt in den ersten drei Gängen aber energischer ab, wobei ab 4000/min schon über 70 Prozent des maximalen Dreh­moments von 123 Nm anliegen.

Soll auf der Strasse performen

Bekanntlich baut die Streetfighter V4 technisch auf ihrer supersportlichen Panigale-Schwester auf. Modifikationen gibts neben den fehlenden Seitenschalen und dem hohen Lenker dennoch diverse, denn die neue Streetfighter soll ja in erster Linie auf der Strasse performen. Zunächst mussten die Ingenieure das Handling aufpeppen. Und zwar ohne dass das Hyper-Naked-Bike zur ausschlagenden Furie wird.

Normalerweise werden dafür Radstand und Lenkkopfwinkel vergrössert, was jedoch zum Beispiel in Haarnadelkurven Nachteile mit sich bringen kann. Also wählte Ducati einen Mittelweg, streckte den Radstand zwar um 15 Millimeter, beliess den Lenkkopfwinkel (65,5 Grad) und Nachlauf (100 mm) aber bei den Panigale-Werten.

Für flottere Richtungswechsel und optimierte Kontrolle sorgt der breite Lenker; final austariert wird der Mix aus Handling und Stabilität über die Winglets. Letztere sind für weniger Breite im Citybetrieb als «Doppel­decker» ausgelegt, optimieren die Stabilität in Kurven sowie beim ­Anbremsen aus hohen Tempi und reduzieren die Wheelie-Neigung.

Zylinderabschaltung im Leerlauf

So viel zur Theorie, jetzt aber los! Ich nehme Platz und stelle fest: Die Streetfighter V4 ist kein kleines Bike. Auch der respekteinflössende V4-Donner ist nicht von der zurückhaltenden Sorte – aber auch nicht aufdringlich. Am Lichtsignal die erste Überraschung: Der V4 klingt plötzlich gedämpft und viel leiser. Grund: Um einer Überhitzung des Vierzylinders vorzubeugen, schaltet sich im Leerlauf die hintere Zylinderbank ab.

Wenig später – ich schwimme im Stadtverkehr mit – macht sich beim Sound die Auspuffklappe bemerkbar. Konkret wandelt sich der Sound beispielsweise im vierten Gang bei exakt 3100/min schlagartig von einem sehr dezenten Brummen in ein sonores Röhren. In der City kann das Spielen am Gasgriff um diese Drehzahlmarke ein spassiger Zeitvertreib sein. Nur: Das Umfeld findet solche Spielereien vermutlich nicht ganz so lustig.

Erstaunliche Alltagsqualitäten

Apropos City: Erstaunlich, wie einfach, ungestresst und unverkrampft sich die Streetfighter hier bewegen lässt. Man kann problemlos und ohne Gestotter des kultivierten und ab 2500/min mit lobenswertem Rundlauf werkelnden V4 durch 30er­-Zonen gondeln. Im Sport-Modus hängt er schon eine Spur direkter am Gas; ein Problem ergibt sich dadurch allerdings nicht.

Die 155 PS des Street-Modus reichen im Alltag auf der öffentlichen Strasse übrigens
bei ­weitem. Auch weil gegenüber dem Sport-Modus in der unteren Hälfte des Drehzahlspektrums praktisch keine Unterschiede auszumachen sind. Sprich, die Streetfighter V4 bietet in jeder Lebenslage Druck, und zwar im Überfluss. Die Leistungsabgabe bleibt dabei aber immer linear und berechenbar.

Viel Fahrspass in Wechselkurven

Was auf der Streetfighter V4 S aber am meisten Spass macht, sind flüssige Wechselkurven. Man pfeffert aus der Kehre, trifft ohne jegliches Unter- oder Übersteuern die anvisierte Linie, legt sich präzis die nächste Kurve zurecht, schaltet dazwischen zweimal via den sauber funktionierenden, bidirektionalen Quickshifter hoch – und die Streetfighter stürmt ohne jeglichen Kraftfluss-Unterbruch vorwärts. Dann mit leichtem Impuls die nächste Kurve einleiten, zack!

In die Eisen und rein ins Vergnügen! Dieses flüssige Aneinanderreihen von Kurven, Beschleunigungsphasen, Schalt- und Bremsmanövern, wobei jeder ­Zustand flüssig in den nächsten übergeht – das ist Flow-Erlebnis in Reinkultur!

Wer braucht noch eine Panigale?

Abschliessend noch eine Bemerkung zum Preis-­Leistungs-Verhältnis: Die Streetfighter V4 S kostet ­exakt 6495 Franken weniger als ihr Panigale-Pendant, bietet aber ein breiteres Einsatzspektrum, quasi dieselbe Technik und dürfte auch auf der Rennstrecke eine brillante Figur abgeben. Was schliessen wir daraus?

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