Hier schauts aus wie an einem Open Air: Klappstühle in vier Reihen am Strassenrand, Absperrband überall. Die 34,6 Kilometer lange Woodward Avenue zwischen Pontiac und Detroit im US-Bundesstaat Michigan wartet auf den grossen Ansturm: Am Samstag werden 40'000 klassische Automobile die Strasse entlang flanieren.
Doch die Stuhlung ist nicht offiziell. Eingefleischte «Petrol Heads» haben ihren Stuhl schon mal in die erste Reihe gepflanzt – so, wie Touristen am Ballermann ihre Liegen per Badetuch reservieren. Hauptsache Poleposition, wenn die Parade des Woodward Dream Cruise die Herzen der Oldie-Fans höher schlagen lässt.
Die Blechparty
Man kennt die Fotos von verlassenen Fabriken, wo die Akten auf den Schreibtischen liegen, als wäre der Bürogummi nur kurz zum Lunch verschwunden. Vom Nabel der Autowelt in den 1960ern zur XXL-Industriebrache, in deren Stadtzentrum man sich nicht einmal tagsüber auf die Strasse wagen konnte: Detroit hat einen beispiellosen Abstieg hinter sich. Ruinen, Abwanderung, soziale Unruhen, Kriminalität – der Lack war ab in der Stadt von Chrysler, Ford und General Motors. Immerhin, dank Investoren geht es langsam wieder aufwärts in der «Motor City».
Doch der Woodward Dream Cruise war immer da. Die «Petrol Head»-Parade reicht zurück bis in die 1950er-Jahre, als sich Besitzer von Vintage-Fahrzeugen auf dem Woodward Drive spontan zu einer Ausfahrt trafen. Der Glanz und die Massen kamen aber erst ab 1995, auf dem Höhepunkt von Detroits Krise. Feiern gegen die Depression.
Die Strasse platzt auch heute aus allen Nähten, wenn die auf Hochglanz polierten Oldtimer an – vorsichtig geschätzt – einer Million Besucher vorbei von Ampel zu Ampel rollen. Heruntergekommene Blechkisten? Fehlanzeige! Ein Lincoln Continental Baujahr 1965 rollt neben einem 1969er Dodge Challenger. Dahinter folgt eine Corvette C1 aus dem Jahr 1957 gemeinsam mit einem 1971er Ford Torino. Detroit feiert – nicht zuletzt sich selbst.
Von Toten und Fröschen
«Es ist einfach grossartig, ich komme seit 19 Jahren her», sagt Tim Wanke, der einen grünen 1968er Chevrolet Impala sein Eigen nennt. «In diesen Kofferraum passen fünf Tote», lacht sein Freund Bill Stenquist, der mit seinem Chevrolet Camaro (Baujahr 1967) schon seit 1996 herkommt.
Die Stimmung ist gelöst. Niemand nimmt sich zu ernst. So hat Dan Gauthier seinen 1970er Plymouth Satellite im originalen Giftgrün belassen und vor ein paar Jahren sogar nachlackiert. Das Auto ist übersät mit Froschpuppen. «Meine Vorfahren waren Franko-Kanadier, deswegen habe ich in der Highschool den Spitznamen Frog bekommen. Also habe ich mir vor 18 Jahren dieses Auto gekauft», erklärt der Chrysler-Mitarbeiter. Die Frösche verschenkt er an Kinder am Strassenrand.
Die Strasse sieht Pink
Jeannie und Kenny sind eigens aus Pennsylvania nach Detroit gekommen, um ihre Miss Pinky dem staunenden Publikum vorzuführen. Kenny, ein gelernter Mechaniker, begann 1991, den Chevy Jahrgang 1934 nach seinen Vorstellungen zu modifizieren – und ist heute noch dran.
Der verchromte Motorblock mit dem gigantischen Ansaugstutzen ragt wie ein Monument schierer Kraft aus dem Motorraum. Der «Big Block»-Motor generiert monströse 803 PS, die mega breiten Gummiwalzen sind dafür verantwortlich, dass die Kraft auch auf den Boden kommt. «Wenn ich voll aufs Gas trete, kann ich die ersten 400 Meter nur geradeaus fahren», lacht Kenny. Seine Frau will noch eine Nitro-Gas-Anlage, doch das wird schwierig: «Ich weiss nicht, wo ich das alles unterbringen soll», erklärt Kenny.
Auch so sorgen all die Motoren mit mindestens acht Töpfen für die richtige Musik entlang der Route. Und jeder Tusch aus den Auspuffrohren wird mit Gejohle und einem Zuprosten mit Budweiser-Flaschen gefeiert. Hier schlägt Detroits Seele noch immer im Takt der Kolben.