Seit über drei Jahren streiten die Briten über den Austritt aus der EU, inzwischen vor allem untereinander. Während das Parlament einen geregelten Brexit und den derzeit für den 31. Oktober geplanten Austritt ein drittes Mal aufschieben will, drängt Premierminister Boris Johnson auf einen harten Brexit – auch ohne ein Abkommen mit der EU.
In diesem Fall würde Grossbritannien auch aus der Zollunion ausgeschlossen. Das wäre für die eng mit der EU verflochtene und überwiegend von ihr abhängige britische Wirtschaft ein Debakel. Für die britische Autoindustrie, die sich nach schweren Krisen in den letzten Jahrzehnten inzwischen erfolgreich neu aufgestellt hat, könnte der Brexit zum Todesstoss werden. Europäische Autohersteller erwarten bei einem No-Deal-Brexit ein wirtschaftliches Erdbeben und Zölle in Milliardenhöhe.
Autos könnten teurer werden
Das würde die Kunden in Grossbritannien und der EU treffen, so die Autokonzerne in einer gemeinsamen Stellungnahme. Schätzungen gehen von umgerechnet rund 3300 Franken pro Auto aus. So wären englische Autos weniger konkurrenzfähig als auf dem europäischen Festland produzierte Autos. Asiatische Autos hätten wegen der Freihandelsabkommen mit der EU einen Vorteil.
Betroffen wären Jaguar Land Rover, Toyota, Honda, Ford, BMW mit Mini und PSA mit der Opel-Schwester Vauxhall, die alle in Grossbritannien produzieren. Von den auf der Insel hergestellten Autos werden 80 Prozent exportiert – alleine 60 Prozent nach Europa. Damit macht die Autoindustrie 13 Prozent aller britischen Warenexporte aus. Gleichzeitig gehen auch zehn Prozent aller auf dem europäischen Festland produzierten Autos auf die Insel, was das Vereinigte Königreich zu einem bedeutenden Markt für die kontinentale europäische Autoindustrie macht.
Wartezeiten sind möglich
Ebenso gravierend sind die Auswirkungen aufseiten der Zulieferer. Die meisten Bauteile für die Autofabriken kommen aus Resteuropa. Dabei kann die Honda-Fertigung beispielsweise nur so viele Teile lagern, wie die Produktion pro Stunde benötigt. Deshalb liefern jeden Tag 350 Lastwagen neue Teile an. Wird das ausgefeilte «Just-in-time»-System wegen wieder eingeführter Zollkontrollen verzögert, kommt das Honda teuer zu stehen.
Sehr teuer sogar: 15 Minuten Verzögerung kosten umgerechnet bis zu einer Million Franken im Jahr. Neue Lagerhäuser? Deren Aufbau würde etwa 18 Monate dauern. Das macht für Honda keinen Sinn, weil die Japaner ihre Fabrik in England 2021 Brexit-unabhängig schliessen werden. Doch bei den anderen Herstellern ist die Situation nicht anders.
Da immer noch Unklarheit darüber besteht, ob und wie der Brexit kommt, bereiten sich die ortsansässigen Hersteller auf alle möglichen Szenarien vor. Das Investitionsvolumen zeigt, dass sie sich längst langsam zurückziehen. Seit der Brexit-Abstimmung 2016 haben die Hersteller und Zulieferer 80 Prozent weniger in ihre britischen Standorte investiert. Sprich: Kommt der ungeregelte Brexit, wird die Produktion reduziert und auf den Kontinent verlagert, um die höheren Kosten abzufangen. Nur Jaguar Land Rover setzt noch auf verstärkte Investitionen in der Markenheimat.
Und Schweizer Kunden?
Angesichts der Vorbereitungen für den Brexit-Fall erstaunt es nicht, dass die Schweizer Importeure mit keinen negativen Folgen für hiesige Kunden rechnen, also weder mit Lieferverzögerungen noch Preiserhöhungen. Immerhin kommen wichtige Modelle wie der Toyota Corolla (Fünftürer und Kombi) und der Honda Civic aus Grossbritannien. Sie machen bei beiden Herstellern zwischen 20 und 25 Prozent der Schweizer Verkäufe aus. Und Opel hat angekündigt, den bislang teils von Schwester Vauxhall gefertigten Opel Astra künftig wieder komplett in Rüsselsheim (D) zu bauen.
Auch Jaguar Land Rover Schweiz ist zuversichtlich, dass sich für die Schweizer Kunden im Falle eines ungeregelten Brexit nichts ändert. Der Grund: Die Schweiz und das Königreich haben im Hinblick auf den Brexit ein neues Handelsabkommen geschlossen. Aber ob Grossbritannien als grosser Auto-Produktionsstandort einen harten Brexit überlebt?