Der Siegeszug des Turbos
Aller Anfang ist schwer

Der erste Sieg eines F1-Boliden mit Turbomotor ebnete 1979 der Lader-Technik den Weg – auch für Serienautos. Doch bis es so weit war, explodierten bei Renault unzählige Triebwerke und gingen in Rauch auf.
Publiziert: 28.07.2019 um 07:31 Uhr
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Der Renault F1 RS 10 gewann am 1. Juli 1979 in Dijon – als erster Formel-1-Bolide mit Turbomotor. Und schrieb damit Geschichte.
Foto: Werk
Raoul Schwinnen

Der Renault-F1-Werksfahrer Jean-Pierre Jabouille konnte einem leid tun. Der heute 76-Jährige gewann zwar vor 40 Jahren als erster Rennfahrer in einem Boliden mit Turbomotor ein Formel-1-Rennen und schrieb damit Technikgeschichte. Doch bis es so weit war, brauchte es neben viel Pioniergeist und Technik-Know-how auch Ausdauer und viel, viel Geduld. 

«Es war oft zum Verzweifeln», erinnert sich Jabouille an die Anfänge der Turbo-Ära. «Während der Entwicklung flogen uns täglich vier bis fünf Turbomotoren um die Ohren.» Als Renault 1977 trotzdem mit dem rennfahrenden Ingenieur und dem ersten Turboboliden RS 01 in die Formel 1 einstieg, wurden die Franzosen zur Lachnummer. Die Rennwagen waren zwar schnell, aber auch äusserst defektanfällig. Oft schon nach wenigen Runden explodierten die Turbo-Aggregate der gelb-schwarzen F1-Renner und gingen spektakulär in Rauch auf. «Das war frustrierend, und so galten wir bald als Verlierer-Truppe.» 

Nach drei Jahren endlich Erfolg

Zwei Saisons lang biss sich das französische Team durch, grillierte Turbomotoren, hielt aber beharrlich an der Technik fest. In der dritten Saison der lang ersehnte Erfolg: Ausgerechnet beim Heim-GP am 1. Juli 1979 in Dijon gewann der aus der Pole-Position gestartete Jabouille souverän im  RS 10 das Rennen und feierte den ersten Sieg eines Renners mit Turbomotor in der Geschichte der F1. Es wäre übrigens fast ein Turbo-Doppelsieg geworden: Jabouilles Teamkollege René Arnoux hatte in einem der packendsten Rad-an-Rad-Duelle der Formel 1 gegen Ferrari-Pilot Gilles Villeneuve nur ganz knapp das Nachsehen.

Zwei Kleine statt ein Grosser

Erstmals waren aber die kleinen 1,5-Liter-V6-Turbos den traditionellen Dreiliter-Saugern überlegen. Grund für den plötzlichen Erfolg war eine entscheidende Änderung. Jabouille: «Unser Triebwerk verfügte neu über zwei kleinere statt einen grossen Lader, wodurch sich das Ansprechverhalten verbesserte und die Leistung stieg.» Und den Motor standfester machte. Mit Anlasser, Kupplung und Turbos wog der damalige EF1-Motor rund 180 Kilo und entwickelte seine maximale Leistung von 520 PS bei 12'000 Umdrehungen.

Idee des Turbos ist uralt

Die Grundidee der Turboaufladung ist fast so alt wie das Auto selbst. Schon 1902 meldete Louis Renault eine Konstruktion zum Patent an, bei der ein mechanisch angetriebener «Ventilator» oder ein kompakter Kompressor das Gemisch aus dem Vergaser mit erhöhtem Druck in die Zylinder beförderte. Resultat: mehr Leistung und Effizienz. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Turbolader vor allem bei Dieselmotoren in Lokomotiven und LKW verbreitet, bei Renaults Rennsportabteilung erinnerte man sich Anfang der 1970er-Jahre wieder dieser Technik. Mit einer aufgeladenen Alpine A110 Gruppe 5 gewann Jean-Luc Thérier 1972 die Rallye Critérium des Cévennes. Ab 1975 setzten die Franzosen die Turbotechnik bei Langstrecken-Rennen ein – mit der Krönung 1978, als Jean-Pierre Jaussaud und Didier Pironi die 24 Stunden von Le Mans mit der A442 gewannen. 

Unsägliches Turboloch

Auch der heute 73-jährige Jean Ragnotti, der im Rennsport ausser Formel 1 wohl alles für Renault bewegte und in den 1980er-Jahren die Rallyefans mit spektakulären Drifts im Renault 5 Turbo Maxi verzückte, erinnert sich gut an seine ersten Turbo-Renner. «In erster Linie bleibt die Erinnerung ans unsäglich grosse Turboloch», lacht «Jeannot» heute. Damals war die Durchzugs-Schwäche bei niedrigen Drehzahlen nicht zum Lachen, sondern ein Problem für die Rallyepiloten – vor allem in engen Kehren. Ragnotti: «Ich musste meinen Fahrstil komplett umstellen.» Dennoch wurde das Loch durch den zusätzlichen Boost mehr als kompensiert.

Sprung in die Grossserie

Und so schaffte die Turbotechnik nach Renaults Erfolgen in der Rallye-WM in Le Mans (1978) und dem ersten Sieg in der F1 (1979) den Sprung in die Grossserie. Als erstes Renault-Serienmodell mit Turbo und eines der ersten Grossserien-Fahrzeuge mit Turbo überhaupt kam 1980 der Renault 18 Turbo. Sein 1,5-Liter-Vierzylinder leistete 110 PS und ermöglichte eine Spitze von 180 km/h, womit er Anfang der 1980er-Jahre zu den Schnellsten der Mittelklasse gehörte.

Einst Symbol für Kraft

Für mehr Aufsehen sorgte ein Jahr später der radikal konzipierte Renault 5 Turbo. Bis auf die Grundzüge der Stahlkarosserie hatte der 20,2 Zentimeter breitere Zweisitzer mit den seit 1972 gebauten Brüdern der Grossserie nicht mehr viel gemeinsam. So sass der 1,4-Liter-Vierzylinder mit Garrett-T3-Turbo anstelle der Rückbank längs hinter den Vordersitzen. Und die 160 PS gingen direkt auf die extrem breiten Hinterräder. Mit der Rennversion dieses R5 kehrte Renault erfolgreich in die Rallye-WM zurück. Jean Ragnotti gewann 1981 mit dem 285 PS starken Hecktriebler die Rallye Monte Carlo. Später, mit einer 350-PS-Variante (R5 Turbo Maxi), auch die Rallyes Tour de Corse und Tour de France.

Heute für weniger Verbrauch

Galt der Turbolader im Grossserien-Auto einst als Symbol für Kraft, Tempo und Fortschritt, dient er heute in Verbindung mit Verbrennungsmotoren zusätzlich zum Spritsparen. Deshalb verwendet Renault – und die meisten anderen Hersteller auch – den Turbolader fürs Gros der Serienfahrzeuge. Und so steht die Turbotechnologie, ganz im Sinn des aktuellen Trends zum Downsizing, heute für mehr Leistung bei weniger Spritverbrauch und weniger Abgasen.

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