Seit mehr als 60 Jahren prägen Giorgetto Giugiaros Schöpfungen das Strassenbild. Über 100 Serienautos gehen auf sein Konto, darunter die ganze Fiat-Palette der 1980er von Panda bis Croma, die ersten Generationen VW Golf und Passat oder das «Back to the Future»-Auto DeLorean DMC12. Ausserdem Traktoren und der ETR 610, den die SBB seit 2009 nach Mailand einsetzen. Aber – leider – auch Belanglosigkeiten wie die Daewoo Evanda oder Lacetti. Sein Studio Italdesign verkaufte er 2015 an Volkswagen. Für Giugiaro das Zeichen zum Aufbruch. Denn auch mit 80 Jahren ist bei ihm von Ruhe wenig zu spüren: Er arbeitet jetzt unter dem Label GFG Style gemeinsam mit seinem Sohn Fabrizio. Zuletzt entwarfen sie die Studie Sibylla mit Flugkanzel-Scheibe und extra-reduziert gestaltetem Cockpit. SonntagsBlick traf den «Car Designer of the Century» an der Klassiker-Messe Grand Basel, wo er sein aktuelles Concept Car präsentierte.
SonntagsBlick: Signore Giugiaro, Sie sind über 60 Jahre in der Branche. Gehen Sie Automobildesign heute anders an als früher?
Giorgetto Giugiaro: Es gibt einen unglaublichen technischen Fortschritt. Und viele neue Gesetze und Regeln, die man beachten muss. Autos dürfen heute nicht gefährlich sein. Man muss auf so viel achten: Fussgängerschutz, Airbags, Sitzform – Sicherheit ist heute allem übergeordnet. Und dann hat die Qualität an Bedeutung gewonnen. Ihr Level wird immer höher, über alle Marken hinweg. All das hat Konsequenzen fürs Design.
Wovon hängt ein neuer Entwurf mehr ab? Von der einen, visionären Idee oder harter Arbeit, Tag für Tag?
Es ist eine ständige Suche. Ich beginne mit einem simplen Ansatz, um etwas Neues, Spezielles zu schaffen. Und dann will ich mehr, mehr und noch mehr. Leider gibt es immer eine finanzielle Grenze.
Was ist Ihnen beim Autodesign besonders wichtig?
Wenn wir einer Person begegnen, schauen wir auf Gesicht, Kleidung und die gesamte Erscheinung. Entweder weckt diese Person dann unsere Aufmerksamkeit – oder eben nicht. Bei Autos ist es ähnlich. Meine Entwürfe sollen Aufmerksamkeit und Akzeptanz wecken.
Warum Akzeptanz?
Es gibt immer eine gesellschaftliche Meinung zum Auto. In der City werden vor allem kleine, sparsame und praktische Autos akzeptiert – folglich muss ich auch solche Entwürfe liefern. Der Aspekt der Akzeptanz gewinnt mit dem Aufkommen des Elektroantriebs und des autonomen Fahrens noch mehr Bedeutung. Aber wir dürfen uns auch nichts vormachen: Die Weltwirtschaft hängt vom Erdöl ab. Wir können nicht plötzlich komplett auf den elektrischen Antrieb umschwenken – die globalen wirtschaftlichen Folgen wären fatal. Der Umstieg wird langsam erfolgen.
Gibt der Elektro-Antrieb ihnen mehr Möglichkeiten beim Design?
Nein, mehr Möglichkeiten nicht – aber andere. Verbrennungsmotor und Getriebe fallen zwar weg und machen Raum frei für anderes. Aber der Mensch ist noch immer der Massstab. Man muss zum Beispiel bequem einsteigen können – egal, welcher Antrieb verbaut ist. Und man will einen Koffer einladen können. Solche Themen müssen wir weiterhin berücksichtigen.
Was inspiriert sie: Kunst, Mode, Architektur, Technik?
Mein Startpunkt ist immer die Lust am Kreativen. Aber natürlich nehme ich Einflüsse wahr. Und dann arbeitet man sich daran ab. Wenn ich ein neues Projekt starte, nutze ich die Ideen und Gestaltungsprinzipien als Grundlage. Ganz ehrlich: Wie das dann alles einfliesst in meine Entwürfe, ist selbst für mich ein Geheimnis. Es passiert einfach. Es ist ein wenig wie in der Musik: Alle Noten sind schon geschrieben, es kommt auf ihre Kombination an.
Arbeiten sie allein oder diskutieren sie im Team?
Mit meinem Sohn Fabrizio tausche ich mich intensiv aus. Früher redeten mir immer die Ingenieure drein. Aber im neuen Unternehmen sind wir freier. Da gehts nur um Kreativität.
Sie waren lange mit Volkswagen verbandelt.
Bei Italdesign war Design wichtig, aber vor allem die technische Entwicklung. Wir waren in erster Linie ein freies Entwicklungsbüro. Das heisst, unsere Entwürfe mussten auch immer realisierbar sein. Im Jahr 2010 stieg Volkswagen ein, 2015 übernahm der Konzern Italdesign komplett. Seitdem sind Fabrizio und ich GFG-Style.
Warum können Sie sich jetzt nur aufs Design konzentrieren?
Wir haben unser Konzept geändert. Als kleines Entwicklungsbüro ist man heute zu teuer, vor allem mit italienischen Lohnkosten. Man ist nicht konkurrenzfähig mit den grossen Herstellern und ihren Entwicklungsabteilungen. Wir kooperieren nun mit chinesischen Entwicklern und arbeiten vor allem für asiatische Märkte. Dafür ist auch Sibylla gedacht. Das Concept Car haben wir die letzten zwei Jahre erarbeitet.
Was ist anders auf diesen Märkten?
Asiatische Kunden wollen mehr als nur Styling. Da gehts auch ums Konzept und das Packaging. Wir arbeiten nur noch mit Elektroantrieben, das ist zum Beispiel in China ein Muss. Aber vielleicht kehren wir eines Tages wieder nach Europa zurück.
Auf welches Ihrer Autos sind Sie besonders stolz?
Eine schwierige Frage. Es sind so viele. Am interessantesten sind immer jene Entwürfe, die man auf weissem Papier machen kann. Oder exklusive Einzelstücke. Unter den Serienautos sind es der erste VW Golf und der Fiat Panda; unter den Studien meine Bugattis aus den 1990ern. Oder doch nicht? Es ist schwierig, sich eins auszusuchen.
Die Gerade ist sein Markenzeichen: Giorgetto Giugiaro wurde am 7. August 1938 in Garessio (I) geboren. Grossvater und Vater waren Maler – sein Weg war sozusagen vorgezeichnet. Ab 1955 arbeitete er für den Fiat-Konzern und wechselte 1965 zu Ghia, wo er Maserati Ghibli und De Tomaso Mangusta entwarf. 1967 gründete er Italdesign und zeichnete seitdem mehr als 200 Serienautos und Studien.
Die Gerade ist sein Markenzeichen: Giorgetto Giugiaro wurde am 7. August 1938 in Garessio (I) geboren. Grossvater und Vater waren Maler – sein Weg war sozusagen vorgezeichnet. Ab 1955 arbeitete er für den Fiat-Konzern und wechselte 1965 zu Ghia, wo er Maserati Ghibli und De Tomaso Mangusta entwarf. 1967 gründete er Italdesign und zeichnete seitdem mehr als 200 Serienautos und Studien.