Es gibt Autos, denen nähert man sich mit Ehrfurcht. Der Alfa Romeo Montreal ist so eines. Das atemberaubend schöne, von Bertone-Designer Marcello Gandini (81, schuf auch den Lamborghini Miura) gezeichnete Coupé bringt uns heute noch zum Träumen. Auch wenn uns Anekdoten über Kabelbrände, streikende Zylinder und gebrochene Lenkrad-Säulen zusammenzucken lassen. Doch sobald wir in beige Ledersitze sinken, tritt das in den Hintergrund. Es bleibt die Lust aufs Fahren.
Schon beim Starten des V8-Motors kommt in der Ikone Hühnerhaut-Feeling auf: Der Achtzylinder hat Sportwagen-Gene und stammt aus dem legendären Tipo-33/2-Renner. Für den Serieneinsatz wurde sein Hubraum von 2,0 auf 2,6 Liter aufgebohrt, die Leistung auf 200 PS reduziert – der Standfestigkeit zuliebe. Seine Mechanik beeindruckt: vier oben liegende Nockenwellen, Trockensumpf-Schmierung, fünffach gelagerte Kurbelwelle und die mechanische Einspritzanlage Spica (Società Pompe Iniezione Cassani & Affini).
Dieser V8 will gedreht sein
Auf der Strasse ist der nur 4,22 Meter kurze Montreal auch nach 50 Jahren noch in seinem Element. Er bietet alles, was man von einem italienischen Sportwagen der 1970er-Jahre mit dem «Scudetto» darauf erwartet: Holzlenkrad, enge Pedalerie und die leicht angewinkelte Beinhaltung, die zur Alfa-typischen Froschhaltung führte.
Vorne tobt das V8-Feuerwerk mit seiner eigenen Tonalität und Eigenart. Kein voluminöses Brabbeln oder Power aus der Tiefe des Raumes. Der kurzhubige, 200 PS starke V8 will gedreht sein, nur dann gehts vorwärts (0–100 km/h in 7,6 s). Aus dem heiseren Grummeln wird wohlklingendes Singen.
Es wird schnell heiss
Bis über 220 km/h treibt der Motor den 1,3 Tonnen leichten Montreal – und bei so viel italienischer Grandezza ist es auch egal, dass es innen schnell richtig heiss wird. Der jubelnde Achtzylinder strahlt Wärme ab, und unser Modell hat keine Klimaanlage. Dafür coole Rundinstrumente: Drehzahlmesser rechts, Tacho links. In der Mitte Kippschalter für Fensterheber und Licht.
Mit einem Drehhebel verschwinden dann die Blech-Gardinen nach unten und legen die Scheinwerfer frei. Doch dann sieht der Montreal fast gewöhnlich aus. Also lassen wir das Licht, so oft es geht (und bei unserer Probefahrt in Deutschland braucht es kein Abblendlicht), aus – und die Gardinen oben. Denn die Augen und ihr Schlafzimmerblick sind betörend.
Klassischer Granturismo
Die Lenkung erfordert Muskeln. Will man den Montreal um die Kurven wuchten, gehts nur mit Schmackes. Im Stand sollte man übrigens nicht zu stark am Steuer hantieren – man könnte die Lenksäule verbiegen oder brechen. Die knackige Fünfgang-Schaltung von ZF überzeugt auch heute noch mit kurzen und präzisen Wegen.
An der Hinterachse hilft ein Sperrdifferential beim Kurven. Allerdings stösst das relativ komfortabel abgestimmte Coupé in schnellen Ecken an seine Grenzen, die Karosserie gerät ins Wanken. Denn das Montreal-Fahrwerk ist bis auf wenige Details identisch mit jenem des GTV 2000 (Bertone), des GTJ oder der Giulia. Deshalb ist der Montreal ein Gran Turismo im wahrsten Sinne des Wortes – ein flottes Reisemobil, aber kein kompromissloser Spitzensportler.
Atemberaubend schön, aber …
Aber so atemberaubend schön damals der (in der Schweiz erst ab 1972 für 39'500 Franken zu habende) Montreal war, so anfällig war seine Technik. Deshalb wurden in den sieben Jahren von 1970 bis 1977 weltweit nur 3925 (einige sprechen von 3917) Stück verkauft. Folglich gibts heute nur wenige gut erhaltene Exemplare des Montreal, für die man etwa 80'000 bis 100'000 Franken hinblättern muss.