Mehr als 100'000 Menschen dürften sich nach dem 12. Mai 1984 darüber geärgert haben: Kein Zuschauer, der zur Eröffnung der erneuerten GT-Strecke an den Nürburgring (D) gekommen ist, nimmt Notiz von dem erst 24-jährigen Brasilianer. Selbst im Fahrerlager ist Ayrton Senna (1960–1994) nur das Babyface unter Legenden: Zwar fährt er Formel 1. Aber bei Toleman, also chancenlos. Auch hier in der Eifel ist der spätere dreimalige F1-Weltmeister nur Lückenbüsser.
Spannender ist für die Zuschauer der Mercedes-Benz 190 E 2.3-16, die Sportvariante des «Baby-Benz». Ein Auto, das den Stern nach Jahrzehnten wieder in die Sport-Schlagzeilen fahren soll. Zur Streckeneröffnung hat Mercedes darum das Race of the Champions organisiert: In identischen Autos messen sich Rennfahrer von Rang und Namen – und Senna. Schon die Einführung des «Baby-Benz» 190 zwei Jahre zuvor war eine ästhetische Prüfung für Mercedes-Fans. Und jetzt das: Ein Auto mit Stern, das trägt, wofür die Schwaben Tunern verboten hatten, den Stern aufs Auto zu schrauben: Spoiler, Spoiler, Spoiler.
Lauter Legenden
Rückblickend ist es der Tag, an dem Senna und der 190er Legenden werden. Als C-Klasse-Urahn öffnet der 190er die Marke nach unten, setzt mit Keilform den Designtrend, bringt mit der Raumlenker-Hinterachse Konkurrenten wie BMW in Zugzwang – und traut sich mit dem 2.3-16 Motorsport. Und Senna tritt ihn ihm mit Vierventil-Technik und 185 PS gegen ganz Grosse an: Mercedes hatte gerufen – und fast alle F1-Weltmeister kommen zum Race of the Champions: Niki Lauda (1949–2019), Keke Rosberg (heute 70), Alan Jones (72), James Hunt (1947–1993), Jody Scheckter (69), Carlos Reutemann (77), Jacques Laffite (75), Alain Prost (64), aber auch Cracks der 1960er-Jahre wie Phil Hill (1927–2008), Jack Brabham (1926–2014), John Surtees (1934–2017), Dennis Hulme (1936–1992) – und als Ehrengast, aus gesundheitlichen Gründen jedoch ohne Platz im Cockpit sogar Juan Manuel Fangio (1911–1995). Lauter Legenden gegen einen Rookie.
Senna versus Lauda
Auf der Strasse kommt der 190 E 2.3-16 auf 235 Sachen. Mit Senna geht alles noch ein bisschen schneller: Schon im Qualifying fährt er wie wild und parkt am Ende auf Platz 3, geschlagen nur von Prost und Reutemann. Ein Raunen geht durch den Rennzirkus. Dann, im Rennen, sprintet Senna direkt an die Spitze und spult virtuos Runde um Runde ab. Bis sich plötzlich Niki Lauda im Rückspiegel breitmacht: Der damals 35-jährige Österreicher ist von ganz hinten gestartet und wie ein Besessener durchs Feld gepflügt – denn sich von einem neun Jahre jüngeren Nobody wie Senna in die Schranken verweisen zu lassen, das ist so gar nicht Niki Laudas Ding.
Ein harter Zweikampf entbrennt. Mal führt Senna, mal führt Lauda. Ein beherztes letztes Überholmanöver – und Senna fährt auf den obersten Podestplatz!
Begrenzter Jubel
Bei Mercedes hält sich der Jubel in Grenzen: Der PR-Abteilung wäre ein bekannter Sieger wie Lauda lieber gewesen. Rückblickend siehts anders aus: Sennas Sieg ist eine Sensation – und das Auto auch. Zumal die 20 identischen 190 E 2.3-16 bis auf Überroll-Käfig, kürzere Übersetzung, Sportauspuff und fette Bremsen serienmässig sind, also samt Scheinwerfer-Wischern, elektrischer Sitzverstellung und Kassettenradio. Heute gibts wohl mehr vermeintliche «Race of the Champions»-190er als damals. Denn bei aller Rennbegeisterung sind Schwaben sparsam: Mercedes rüstete fast alle Renner zurück und verkaufte sie.
Entsprechend sind diverse Fälschungen unterwegs. Nur zwei Stück haben eindeutig belegbar im Rennoriginal überlebt und fahren sich bis heute verblüffend normal: Der 190 E 2.3-16 von Senna – und jener von Lauda, der den steilen Aufstieg des Brasilianers damals zu stoppen versuchte.