SonntagsBlick: Herr Diess, Hauptgesprächsthema hier am Salon sind die drohenden Dieselfahrverbote ...
Herbert Diess: Aus meiner Sicht wird diese Diskussion überhitzt geführt, viele Fakten bleiben unberücksichtigt. Seit Jahren verzeichnen wir immer bessere Stickoxidwerte in unseren Städten. Wir hatten zum Beispiel noch vor wenigen Jahren in Stuttgart am Neckartor über 800 Stunden pro Jahr, in denen die Grenzwerte überschritten wurden. 2016 waren es noch 35 und im letzten Jahr noch drei Stunden. Das heisst, wir haben wenige, sehr spezifische Situationen, an denen das Ziel noch nicht erreicht wird. Überwiegend in engen, von Häusern eingefassten Strassen mit viel Stopp-&-Go-Verkehr und Stau. Hier werden wir gemeinsam mit den Kommunen nach Lösungen suchen. Es gibt viele Massnahmen, die Verbesserung bringen. Aber mit Fahrverboten oder Gerichtsurteilen zu reagieren, halte ich für falsch. Ich bin überzeugt, dass wir die Ziele auch ohne Verbote erreichen.
Wie sollte man denn reagieren?
Bei VW haben wir die Stickoxidwerte unserer Euro5-Motoren, die einen grossen Anteil unserer Dieselflotte ausmachen, mittels Software-Updates der Motorsteuerungssoftware um etwa 25 bis 30 Prozent reduziert. Insgesamt sind das rund 2,1 Millionen Fahrzeuge. Alle deutschen Hersteller haben auf dem Diesel-Gipfel angeboten, in Deutschland über 5 Millionen Fahrzeuge mit einem Software-Update auszustatten. Wir müssen zudem die Flottenerneuerung beschleunigen. Mit unserer Umweltprämie haben wir bereits 160'000 Diesel der Schadstoffklasse EU 1 bis 4 vom Markt genommen, verschrottet und durch Neufahrzeuge ersetzt. Ein weiteres Kriterium wäre, den Verkehr flüssiger zu gestalten – warum bei einer vierspurigen Strasse zum Beispiel nicht eine Spur für Busse und Elektroautos reservieren? Das wäre doch alles besser als Fahrverbote.
Mögen Sie noch über Dieselgate, Kartellvorwürfe oder Affen- und Menschenversuche reden?
Die Dieselkrise dürfte uns noch eine Zeit lang begleiten. Aber darüber hinaus gehts um die Einhaltung der CO2-Ziele. Müssten wir jetzt auch noch auf den Diesel verzichten, wäre dies ein zusätzlicher Rückschlag. Ich glaube zudem, dass der Diesel für Viel- und Langstreckenfahrer erste Wahl bleibt. Für lange Strecken und grosse Fahrzeuge ist dieser Antrieb die beste Lösung.
Der am 24. Oktober 1958 geborene Österreicher Herbert Diess studierte Fahrzeugtechnik und Maschinenbau in München, war von 1984 bis 89 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften und arbeitete von 1989 bis 1996 bei Bosch in Deutschland und Spanien. 1996 wechselte Diess zu BMW, wo er sich von 2007 bis 2014 als Entwicklungschef und Vorstandsmitglied stark für die E-Mobilität einsetzte. Seit 1. Juli 2015 ist Herbert Diess Vorsitzender des Markenvorstands VW-Personenwagen.
Der am 24. Oktober 1958 geborene Österreicher Herbert Diess studierte Fahrzeugtechnik und Maschinenbau in München, war von 1984 bis 89 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften und arbeitete von 1989 bis 1996 bei Bosch in Deutschland und Spanien. 1996 wechselte Diess zu BMW, wo er sich von 2007 bis 2014 als Entwicklungschef und Vorstandsmitglied stark für die E-Mobilität einsetzte. Seit 1. Juli 2015 ist Herbert Diess Vorsitzender des Markenvorstands VW-Personenwagen.
Sind nun alle bösen Überraschungen aus ihrem Konzern auf dem Tisch?
Ich hoffe es. Aber wir bleiben mit unseren Aussagen vorsichtig. Fakt ist, wir müssen weiter aufräumen und die Unternehmenskultur neu ausrichten.
Weniger Antriebe, mehr Dienstleistungen
Viel Grund zur Freude hatten Sie in letzter Zeit nicht. Freuen Sie sich wenigstens übers letztjährige Absatz-Rekordergebnis?
Natürlich, die aktuellen Zahlen zeigen, dass die Neuausrichtung von VW greift. Diese Verbesserung brauchen wir. Vor der Dieselkrise lag die Rendite der Marke bei knapp zwei Prozent. Zu wenig, um das laufende Geschäft solide zu finanzieren, und erst recht zu wenig für die Investitionen in die Zukunft, zum Beispiel für die E-Mobilität oder autonomes Fahren.
Sie sprechen von Rendite. Es fällt auf, dass es heute im Modellangebot vieler Autohersteller kaum mehr unbesetzte Nischen gibt. Zudem wird an allen Antriebsarten geforscht. Müsste für eine bessere Rendite nicht die Modellvielfalt zurückgefahren werden?
Das machen wir. Wir werden etwa die Vielfalt der Antriebsstränge reduzieren und die Angebotsvielfalt vereinfachen. Wir haben eine Komplexität erreicht, die vom Kunden teils gar nicht mehr verstanden wird. Selbst der Verkäufer ist oft nicht mehr in der Lage, dem Kunden alles korrekt zu erklären. Wir sind angehalten, diesbezüglich zurückzudrehen.
Lösen Sie sich folglich von den klassischen Geschäftsfeldern und denken in komplexen Mobilitätskonzepten?
Unser Konzern macht insgesamt viel zum Thema Mobilitätsdienste. Mit der Marke VW bleiben wir natürlich dem Automobil treu und kümmern uns intensiv um die Schnittstelle zum Kunden. Der Kunde erwartet heute zum Beispiel, dass das Auto beim Einsteigen automatisch seine Präferenzen erkennt, ihn mit dem Internet verbindet und auf Wunsch mobile Dienste anbietet. Wir stellen uns darauf ein, dass wir künftig als Hersteller direkten Kundenkontakt haben werden, was heute noch nicht der Fall ist. Wir brauchen diesen direkten Kundenkontakt unter anderem, um auf das Fahrzeug künftig direkt Software-Downloads aufzuspielen, ähnlich wie man es schon seit langem vom Handy kennt.
Wo bringt die vernetzte Mobilität konkret Vorteile für den Kunden?
Das Auto wird in den nächsten Jahren viele Verbesserungen erfahren. Es wird klimaneutral und vor allem sehr sicher werden. Durch die Sensorsysteme im Auto werden wir viele Unfälle verhindern können. Das sehen wir jetzt schon beim VW Golf. Er hat mit «Frontassist» als einziges Auto in der Kompaktklasse serienmässig eine Kamera und ein Radar für die Erkennung von Fussgängern und des vorausfahrenden Verkehrs an Bord. Damit konnten wir die Auffahrunfälle um 50 Prozent reduzieren. Beim autonomen Fahren werden dann mit einer Vielzahl von Sicherheitssystemen die Unfallzahlen weiter signifikant zurückgehen. Das Auto wird uns künftig immer mehr Aufgaben abnehmen, wenn wir es wollen. Vom selbständigen Parken bis in einigen Jahren zum autonomen Betrieb.
Wie schnell kommt das autonome Fahren – welches Level haben wir in fünf Jahren?
Audi ist diesbezüglich der Pionier in unserem Konzern, davon profitieren wir. Es ist ein anspruchsvoller Weg und es wird weltweit unglaublich viel in innovative Technologie investiert. Tausende von Ingenieuren arbeiten daran. Auf Level 3 zu fahren (Auto fährt auf der Autobahn selbst, muss vom Menschen nicht überwacht werden, die Red.) planen wir etwa 2022. Level 4 (das Auto kann weitgehend selbst fahren, der Mensch fährt nur gewisse Strecken, die Red.) ist ein weiterer grosser Schritt. Im Auto braucht man dann zwei unabhängige Rechnersysteme, die sich praktisch gegenseitig kontrollieren. Und auch dann fahren wir noch immer mit Lenkrad.
Der Elektro-Antrieb auf dem Durchmarsch
Hat sich beim Antrieb die E-Mobilität durchgesetzt?
Der Elektroantrieb ist der Antrieb der Zukunft. Nur so lassen sich die ehrgeizigen Klimaziele nachhaltig erreichen. Dennoch müssen wir differenzieren: Für China mit den Luftqualitätsproblemen in den grossen Städten ist das E-Auto besonders wichtig. Obwohl die Chinesen – und das mag vielleicht paradox klingen – den Strom noch zum grossen Teil mit Kohle fabrizieren, macht E-Mobilität dort Sinn. Denn in chinesischen Städten liegt die Durchschnittsgeschwindigkeit bei 7 bis 15 km/h – in diesem Tempobereich arbeitet ein Verbrenner sehr ineffizient. Da ist es sogar sinnvoll, mit aus Kohle gewonnem Strom zu fahren. Bei uns in Deutschland müssen wir am Energiemix arbeiten. Denn nur mit grünem Strom macht E-Mobilität wirklich Sinn.
Folglich ist China für Sie vor allem bei der E-Mobilität ein Wachstumsmarkt?
Nicht nur für die E-Mobilität. Der Bedarf nach individueller Mobilität in diesem grossen Land mit gutem Wirtschaftswachstum ist weiterhin gross. China wird dabei sicher ein Treiber für die E-Mobilität sein. Wir sind dort Marktführer mit einem Marktanteil von 15 Prozent. Um diese Position zu halten und die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen brauchen wir bis 2025 600'000 Elektro-Fahrzeuge.
Öffnet die E-Mobilität aber nicht auch Türen für neue Wettbewerber?
Die Komplexität des E-Autos ist geringer. Das gesamte System Auto mit Produktion, Logistik und schliesslich der Etablierung einer Marke ist jedoch unverändert anspruchsvoll. Tesla zeigt, dass man gute Autos auf die Strasse bekommt. Man sieht aber auch, dass Milliardeninvestitionen erforderlich sind und es ein weiter Weg ist, um wirklich den Durchbruch zu schaffen.
Wie gross ist Ihr Invest in die E-Mobilität?
Wir investieren derzeit rund 20 Prozent unseres Budgets in E-Fahrzeuge. Wir entwickeln momentan 55 Autos, davon sind sieben reine E-Autos. Das Interesse der Medien und der Öffentlichkeit gilt dabei gerade überproportional der E-Mobilität. Tatsache ist jedoch, dass unsere Modellpalette noch auf längere Sicht auch Autos mit konventionellen Antrieben enthalten wird.
Wasserstoff und Erdgas fristen bei der Industrie eher ein Mauerblümchendasein ...
… und gerade der Erdgasantrieb wird unterschätzt. Aber es freut uns, dass unsere Umweltprämie dafür gesorgt hat, dass die Absätze bei den Erdgasfahrzeugen gestiegen sind. Mit Mauerblümchendasein haben Sie recht, da geht mit Sicherheit noch mehr.