Start-up zeigt neues Gondelsystem
Autonom über den Stau

Die Firma Ottobahn will mit einem Gondelsystem den Verkehr in überfüllten Städten revolutionieren. Schon in wenigen Jahren könnten wir in autonomen Gondeln über den Stau hinweg schweben – doch das System hat einen Haken.
Publiziert: 10.10.2020 um 16:00 Uhr
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Aktualisiert: 01.02.2021 um 12:33 Uhr
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Im deutschen Wuppertal nutzen Einwohner schon seit fast 120 Jahren die weltbekannte Schwebebahn als Fortbewegungsmittel.
Foto: zVg
Stefan Grundhoff

In Gondeln den Stau hinter oder besser unter sich lassen: Diese Idee der urbanen Mobilität ist nicht neu. Im deutschen Wuppertal dient schon seit fast 120 Jahren (!) die weltbekannte Schwebebahn als Fortbewegungsmittel. In südamerikanischen Städten wie La Paz (Bolivien) gehören Seilbahnen immer häufiger zum Stadtbild – statt in engen Gassen in Minibussen im Stau zu stehen, überwindet man grosse Distanzen umweltfreundlich und zeitsparend.

Auch in der Schweiz wurde schon darüber nachgedacht: Zum 150-jährigen Jubiläum plante die Zürcher Kantonalbank eine temporäre Seilbahn vom Zürcher Mythenquai zum Zürihorn – wegen eines Verfahrens beim Zürcher Baurekursgericht liegt das Projekt auf Eis. Schon zwei Mal – 1939 und 1959 – gabs zuvor Seilbahnen über den Zürichsee, die später abgerissen wurden.

Platz für vier Passagiere

Geht es nach dem Start-up Ottobahn aus dem deutschen München, setzen sich Gondel-Seilbahnen eines Tages rund um den Globus durch: Die Firma hat ein Schienen- und Gondelsystem kreiert, mit dem Personen bequemer denn je von A nach B kommen. Der Aufbau ist simpel: Die von Stützen getragenen, handelsüblichen Stahlschienen befinden sich fünf bis zehn Meter über dem Boden. Die Gondeln selbst, die Platz für bis zu vier Passagiere oder zwei Europaletten bieten, werden dabei von einem kleinen Elektromotor angetrieben, der oberhalb der Schiene in einem Antriebsmodul sitzt.

Der Clou ist die Selbstständigkeit der Kabinen: Sie steuern nicht Bahnhöfe oder zentrale Haltestellen an, sondern werden per App gerufen und senken sich an der gewünschten Position zu Boden, nehmen Passagiere oder Fracht auf und fahren zum ausgewählten Ziel. Da für den Senk- und Hebevorgang mehr Energie benötigt wird als für die Fahrt, bleibt abzuwarten, ob die Ottobahn nur über Akkus läuft oder eine Schienen-Stromversorgung braucht.

Fast schon serienreif

Das Tempo soll im urbanen Umfeld bei 60 km/h liegen, auf Überlandstrecken wären Zug-Tempi möglich. Marc Schindler, einer die Initiatoren der Ottobahn, zeigt sich selbstbewusst: «Wir können das Ganze innerhalb eines Jahres zur Serienreife bringen.» Die Interessenten kommen dabei nicht nur aus dem Ausland, sondern auch aus der Heimat des Start-ups: Ende des Jahres soll in einem Gewerbegebiet in München eine erste Teststrecke aufgebaut werden.

Die Kosten kalkuliert Ottobahn mit rund fünf Millionen Euro (ca. 5,4 Mio. Fr.). Pro Kilometer wohlgemerkt. Doch neben technischen Details bleibt offen, ob die Innenstädte Verkehrsraum hoch über Strassen schaffen wollen und können. Das darf bei aufwendigen Abstimmungen, Genehmigungen und Klageverfahren in Ländern wie Deutschland oder der Schweiz bezweifelt werden. Daher scheinen die Chancen in innovativen Übersee-Metropolen besser: Vielleicht rollen in Ländern wie Singapur oder den Vereinigten Arabischen Emiraten in der zweiten Hälfte der 2020er-Jahre Ottobahnen.


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