Ein Gewerbegebiet in Cham Ende März. Über uns dunkle Regenwolken, unter uns grauer Asphalt. Das Thermometer zeigt 8 Grad. Ein Traumtag sieht anders aus – doch Christoph Gut (54) ist bester Dinge. Gut ist Betreiber und Inhaber von «Woody Pizza» – einer kleinen Firma mit zwei Foodtrucks, zwei Essensständen und acht fest angestellten Mitarbeitenden, bei der der Name Programm ist: Woody Pizza hat sich der Holzofenpizza verschrieben.
Heute ist Saisonstart für Foodtruck #1, Spitzname «Gloria», mit dem Gut jedes Jahr rund 3000 Kilometer zu Caterings und Events in der ganzen Schweiz fährt. Die Idee, einen eigenen Foodtruck aufzubauen, sei bei ihm 2016 aufgekommen. Gut war zuvor fast 25 Jahre als selbstständiger Caterer tätig, und suchte eine neue Herausforderung. «Ich war schon immer grosser Oldtimerfan und hatte einst im Militär die LKW-Prüfung gemacht. Ich dachte mir: Wenn ein Foodtruck, dann etwas Spezielles. Kein gewöhnlicher 3,5-Tönner, sondern einer, der sich von der Masse abhebt. Irgendwann bin ich auf den alten 1969er-Saurer gestossen.»
Pizzaofen wiegt zwei Tonnen
Für den Umbau des 11-Tonnen-Trucks holt sich Gut die Hilfe der Karosserie Rusterholz in Richterswil ZH. Der originale 12-Liter-Reihensechszylinder unter der chromverzierten Haube bleibt unangetastet. Dahinter lässt Gut einen Container auf dem verstärkten Chassis anfertigen. Neben Küche mit Frischwassertank und der Belegstation findet auch der aus Italien importierte Schamottstein-Pizzaofen der Manufaktur Valoriani Platz im fünf Meter langen und 2,30 Meter breiten Aufbau. Er allein bringe fast zwei Tonnen auf die Waage. «Der Ofen ist das Herzstück. Im Betrieb wird er innen bis zu 500 Grad heiss. Er speichert die Wärme so gut, dass er selbst am nächsten Tag noch 300 Grad warm ist.» Warum er heute Pizza backt und keine Burger brutzelt? «Ich liebe Pizza und könnte sie jeden Tag essen.»
Oldtimerfans ist der rechtsgelenkte Hauben-LKW des Schweizer Herstellers Saurer als Normallenker bekannt. Da der Truck nicht als Veteran zugelassen ist, sind Fahrtenschreiber und zweijährige Kontrollen Pflicht. Ausserdem ist das Fahren zwischen 22 und 5 Uhr verboten.
Oldtimerfans ist der rechtsgelenkte Hauben-LKW des Schweizer Herstellers Saurer als Normallenker bekannt. Da der Truck nicht als Veteran zugelassen ist, sind Fahrtenschreiber und zweijährige Kontrollen Pflicht. Ausserdem ist das Fahren zwischen 22 und 5 Uhr verboten.
Vor dem ersten Einsatz im April 2018 besucht Gut einen fünftägigen Pizzaiolo-Intensivkurs in der Nähe von Venedig. Zurück in der Schweiz, tüftelt er wochenlang mit einem Bäcker an der perfekten Unterlage. «Hefeteig ist wie ein Lebewesen, das man entsprechend behandeln muss, damit etwas Gutes rauskommt», sagt Gut. Heute verarbeitet Woody Pizza 15 Tonnen Mehl im Jahr, das am fixen Standort in der Markthalle Freiruum in Zug täglich frisch zu portionsgerechten Teigkugeln verarbeitet wird. «Klar ist der Auftritt wichtig, und mit meinen Trucks habe ich einen hohen Wiedererkennungswert. Doch ohne ein Topprodukt und beste Zutaten ist es schwierig, erfolgreich zu sein. Qualität ist das A und O.»
Dass es gute Qualität und innovative Ideen braucht, um in der Szene zu bestehen, dem pflichtet Andreas Albonico-Seiler (36) bei. Seiler hat 2019 den Foodtruck Verband Schweiz ins Leben gerufen, um die Interessen und Anliegen der immer grösser werdenden mobilen Gastronomie in der Öffentlichkeit zu vertreten und die Mitglieder untereinander zu vernetzen. Heute ist der Verband mit über 100 Mitgliedern die wichtigste Institution der Schweizer Foodtruck-Szene.
«Wir wollen mit dem Verband auch Aufklärungsarbeit betreiben und Gründerinnen und Gründern eine Einstiegshilfe geben», erklärt Albonico-Seiler. Viele Neueinsteiger würden zu blauäugig an ihre Projekte rangehen und die grossen Herausforderungen unterschätzen. «Eine Leidenschaft fürs Kochen ist noch kein Businessplan. Es braucht viel Allrounderwissen, ein gutes Netzwerk und innovative Ideen – nicht nur beim Essen, sondern auch beim Auftritt», sagt Albonico-Seiler. «Die Welt hat nicht auf neue Foodtrucks gewartet.»
Natürlich hätte es auch heute noch Platz für gute Konzepte. Doch der durch die Pandemie ausgelöste Boom auf Seiten der Anbieter hätte dazu geführt, dass es immer schwieriger würde, gute Standplätze zu ergattern. «Es kann Jahre dauern, bis man mit einem Foodtruck in die Gewinnzone kommt.»
Citroën wird Bar auf Rädern
In der Szene geht es aber nicht immer nur um fette Gewinne, sondern häufig um sehr viel Freude und Leidenschaft – wie bei Corinne Glanzmann (40) und der Drink Bar. Die selbstständige Fotografin aus Solothurn reist 2019 zusammen mit Kollegin Marianne Mischler (51) in die Ferien nach Spanien. Bei einem ausgedehnten Spaziergang am Strand entsteht die Idee einer fahrbaren Bar: «Wir wollten raus aus unserer Komfortzone und etwas ganz Neues ausprobieren. Zuerst dachten wir noch an einen Foodtruck. Da wir aber beide keine Kochausbildung haben und das Arbeiten mit Lebensmitteln auch gewisse Risiken birgt, entschieden wir uns, es mit einer Bar auf Rädern zu versuchen.»
Zurück in der Schweiz der Glücksgriff: Die Porzellanfabrik Langenthal BE bietet einen 1974er-Citroën-HY zum Verkauf an. Glanzmann und Mischler fackeln nicht lange, schlagen zu und beginnen sofort mit dem Umbau: Die alte Werkbank muss Kühlschrank und Wasseranschlüssen weichen, die Innenfarbe leicht angepasst werden. Gestelle und Bar zum Ausklappen können sie eins zu eins übernehmen: «Der Citroën wurde ursprünglich um einen Meter verlängert, wodurch wir innen richtig viel Platz haben. Ein echtes Schmuckstück», schwärmt Glanzmann.
Der Kulttransporter Citroën Typ H war einer der weitverbreitetsten Kleintransporter Frankreichs und wurde von 1948 bis 1981 gebaut – 33 Jahre lang! Unter der kantigen Kurzhaube arbeiteten stets Vierzylindermotoren mit maximal 57 PS.
Der Kulttransporter Citroën Typ H war einer der weitverbreitetsten Kleintransporter Frankreichs und wurde von 1948 bis 1981 gebaut – 33 Jahre lang! Unter der kantigen Kurzhaube arbeiteten stets Vierzylindermotoren mit maximal 57 PS.
Geringes Pensum, grosse Freude
Beide sehen ihre Drink Bar als Hobby, nicht als feste Einnahmequelle – das Arbeitspensum übers Jahr gerechnet? «Momentan nicht mehr als 10 Prozent, wir würden es aber in Zukunft gerne auf 20 Prozent ausweiten». Auf die leichte Schulter nimmt es Glanzmann deswegen aber nicht: In Spanien habe sie einen Bartender-Kurs absolviert; und auch hier in der Schweiz jobbe sie jeden Freitagabend als Barkeeperin in Solothurn.
Ein Foodfestival hätten sie bislang nicht angesteuert: zu geringe Planungssicherheit, zu hohe Standgebühren. Sie würden sich auf Veranstaltungen wie Geschäftsanlässe oder Privatevents konzentrieren. «Dort können wir auch speziell für den Anlass kreierte Drinks anbieten, was immer sehr gut ankommt», erklärt Marianne Mischler. Dass die Kreationen der Drink Bar munden, davon können wir uns an diesem Abend Ende März in der Willisauer Altstadt selbst überzeugen – für Glanzmann und Mischler der erste Einsatz des Jahres nach der Winterpause. Die Bar auf Rädern ist gut besucht, die Gäste lachen, loben, geniessen. Für Corinne Glanzmann ein perfekter Start in die Saison: «Genau deshalb haben wir dieses Projekt gestartet: Wir wollen den Menschen etwas Gutes tun. Wenn uns das gelingt, sind auch wir happy.»
Eine aktuelle Liste der grössten Schweizer Streetfood-Festivals 2023 gibt es unter folgendem Link.