Fahrzeug-Erprobung
Im Wandel der Zeit

Kälte- und Hitze-Tests sind ein wichtiger Teil bei der Entwicklung von neuen Automodellen. Vor 30 Jahren waren dafür Improvisation, Erfahrung und Mut gefragt. Vor allem bei den Wintertests auf den zugefrorenen Seen nahe am Polarkreis.
Publiziert: 06.08.2017 um 20:59 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 09:10 Uhr
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Erprobungsfahrten einst mit Audi.
Foto: zvg
Wolfgang Gomoll

War es in den 1980er-Jahren eine verschworene Gemeinschaft, die rund zwei bis drei Wochen auf Schnee testete, wird Nordschweden heute von der Autoindustrie ein halbes Jahr belagert. «Noch vor gut 30 Jahren waren die Seen schon Anfang Oktober zugefroren», erinnert sich Gunnar Fjellström, der in Arjeplog nahe am Polarkreis eine kleine Tankstelle betreibt. «Heute müssen wir froh sein, wenn wir Anfang Januar fahren können», sagt der 78-Jährige und schaut dabei etwas besorgt.

Porsche-Tester Dieter Röscheisen musste jederzeit damit rechnen, dass die Eisdecke zu dünn war und sein Fahrzeug einbrach.
Foto: zvg

Kalte Füsse?

In den Anfangszeiten der Wintertestfahrten auf den zugefrorenen Seen war die Gefahr ein ständiger Begleiter. Beim Präparieren der Erprobungsstrecken brach nicht selten die Maschine ein und der Fahrer musste gerettet werden. Aber auch für die Fahrzeugtester galt: Nicht anschnallen – und wenn das Auto einbricht, nichts wie raus aus dem Fahrzeug. «Als wir den 959 testeten, waren wir uns nicht ganz sicher, wie dick die Eisdecke ist. Also wählten wir einen See, der nur vier bis sechs Meter tief war. Nicht dass dies im Falle des Falles was geholfen hätte», erinnert sich Porsche-Tester Dieter Röscheisen.

Heute wissen die Testfahrer von Lamborghini, dass das Eis hält und sie sicher sind.
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Komplexer Beifahrer

Vor drei Jahrzehnten liefen die Erprobungen noch hemdsärmeliger ab. Wo heute Ingenieure mit Laptops auf dem Beifahrersitz Daten kontrollieren, standen früher Messinstrumente und füllten das Auto bis unters Dach. Damals wurden Testdaten an monströsen Computern ausgewertet und das Peiseler-Rad, ein Fahrradreifen, mit dem die Wegstrecke gemessen wurde, hing an jedem Testfahrzeug. Damals programmierte man Eproms so lange bis man zufrieden war, steckte diese ins Steuergerät und fixierte die Speichereinheiten mit Hartz, damit sie bei Erschütterungen nicht wieder herausfielen. Deshalb waren unzählige Testfahrten nötig, um die Resultate zu erzielen, die man sich wünschte.

Vor 35 Jahren war der Fahrer noch alleine im Testfahrzeug. Der Beifahrersitz wurde für den monströsen Computer gebraucht, der die Testdaten aufzeichnete.
Foto: zvg

Faktor Mensch

Wo heute Simulationen schon die Grundlagenarbeit leisten, mussten diese Werte vor 35 Jahren noch mühsam erfahren werden – im wahrsten Sinne des Wortes. Thomas Ammerschläger hat dazu eine klare Meinung: «Wenn jemand heute meint, die Fahrzeug-Entwicklung sei nur mit Simulationen am Computer zu machen, der unterschätzt die Komplexität des menschlichen Empfindens. Da gehts um Nuancen», sagt der ehemalige Technische Direktor der BMW Motorsport GmbH, der unter anderem an der Entwicklung des M3 E30 beteiligt war. «Das Umsetzen der Messwerte kann kein Computer übernehmen, da zeigt sich, wie gut man ist, oder eben nicht.» Das wusste auch Audi und engagierte deshalb Freddy Graf Kottulinsky, der den Ingenieuren das Interpretieren von Reaktionen des Testfahrzeugs beibrachte. Der adlige Sieger der Rallye-Paris-Dakar hatte unter den Audi-Technikern bald den Ruf eines strengen, aber sehr guten Lehrers.

Schon bei der Erprobung des vorletzten Opel Astra 2009 konnten die Ingenieure nach der Fahrt einfach nur noch den Laptop einstöpseln und die Daten auslesen.
Foto: zvg

Jede Sekunde zählt

Einte damals die Fahrzeug-Entwickler und die Einheimischen in den kleinen schwedischen Dörfern nahe der Teststrecken ein Ziel – zusammen anpacken und das bestmögliche Ergebnis erzielen –, hat sich heute das Bild gewandelt. Standen vor 30 Jahren die Testfahrzeuge noch unverschlossen vor den ebenfalls nicht zugesperrten Häusern der Einheimischen, die ihre Zimmer an die Auto-Techniker vermieteten, ist das heute nicht mehr so. Und machten die Tester früher am Samstag um 13 Uhr Feierabend, um sich dann gemeinsam mit der Bevölkerung auch mal das eine oder andere Glas zu genehmigen, wird heute durchgearbeitet – effizient, nüchtern und zielorientiert. Alleine die Reifenfirmen, die ihre Produkte aufgrund der vielen Nischenfahrzeuge vervielfachen mussten, nutzen heute jede Sekunde und fahren teils gar Nachtschichten. Im Sommer behelfen sie sich zudem für Beschleunigungs- und Bremstests mit 800 Meter langen Eishallen, wo der Schnee vom Winter verwendet wird.

Die Einheimischen verfolgen diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Auf die Frage, was die Nordschweden tun würden, wenn die Autohersteller Arjeplog wieder verlassen würden, antwortet Gunnar Fjellström pragmatisch: «Aufräumen und putzen.»

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