Ein Besuch in der geheimen BMW-Tarnwerkstatt
Zutritt verboten!

Damit Autos von übermorgen heute noch geheim bleiben, werden Prototypen für erste Testfahrten bis zur Unkenntlichkeit getarnt. Blick durfte exklusiv einen Blick in die hoch gesicherte Tarnwerkstatt von BMW werfen.
Publiziert: 18.11.2017 um 21:31 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 12:00 Uhr
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Ein Besuch in der geheimen BMW-Tarnwerkstatt
Foto: Werk
Stefan Grundhoff

Bevor ein neues Fahrzeug auf dem Markt lanciert wird, spulen mindestens zwei Jahre zuvor schon erste Prototypen hunderttausende von Testkilometern ab – auf streng gesicherten konzerneigenen Teststrecken, aber auch auf öffentlichen Strassen. Damit der Konkurrenz nicht vorzeitig schon alle Details verraten werden oder das Kaufinteresse am aktuellen Modell einbricht, tarnen die Fahrzeughersteller ihre Prototypen bis zur Unkenntlichkeit, um so erste Bilder von Erlkönigjägern, wie die Prototypenfotografen genannt werden, zu verhindern.

BMWs Experte für die Fahrzeugtarnung, Thomas Nock, vor einem eingepackten Prototypen.
Foto: Werk

Das Labor von «Q»

BMW hat dafür – wie viele andere Hersteller auch – eine eigene Tarnwerkstatt eingerichtet. Die ist ungefähr so geheim wie jene Werkstatt, wo 007-Agent James Bond jeweils seine Ausrüstung für den nächsten Auftrag erhält. Und tatsächlich: Als wir durch die grüne Drehtür irgendwo in den seelenlosen Katakomben des Münchner BMW-Forschungs- und Entwicklungszentrums gehen, erinnert uns viel ans Labor, in dem «Q» seine Bastelarbeiten für den besten Geheimagenten ihrer Majestät erledigt.

Der neue 3er...

Es ist hier so sauber wie in einem Operationssaal. Helle LED-Scheinwerfer illuminieren die Arbeitsplätze rund um die zahlreichen Hebebühnen. Obwohl es noch nicht mal acht Uhr ist, wird an einigen Fahrzeugen bereits emsig gearbeitet. Wir gehen im streng gesicherten Kellergeschoss in eine nächste Halle, die durch ein separates Rolltor zu erreichen ist. «Fahrzeugtarnung» steht über der bereits geöffneten Zufahrt – und auch hier werkeln schon einige Techniker an einem weiss lackierten Prototypen. Bei diesem Modell handelt es sich wohl um den neuen 3er BMW, derzeit eines der bestgehüteten Geheimnisse bei BMW. Der Verkaufsstart für die Neuauflage der Mittelklasselimousine ist erst für die erste Jahreshälfte 2019 vorgesehen.

Dürfen wir vorstellen: Der neue 3er BMW, der 2019 auf den Markt kommen soll. Die ersten Prototypentestfahrten finden in kompletter Tarnung statt.
Foto: Werk

...erhält ein Tarnkleid

Damit sich das aktuelle Modell weiterhin gut verkauft, darf die künftige Generation bei ihren Testfahrten auf öffentlichen Strassen weder punkto Design noch Technik etwas preisgeben. Das gelingt vor allem dann, wenn dem Prototypen die schwarz-weisse und das menschliche Auge verwirrende Tarnfolie aufgeklebt wird, deren Muster an einen psychodelisch getünchten Duschvorhang erinnert und vor zehn Jahren aus einer Diplomarbeit entstanden ist. Und wenn am Prototypen zusätzliche Verschalungen befestigt werden, die einer Verunstaltung gleichkommen und die Linien brechen.

Mit System

Wie das Fahrzeug getarnt wird, ist keinesfalls zufällig. Wie für fast alles bei BMW gibts auch hier eine Arbeitsgruppe, die sich Tarnkreis nennt. Acht bis zehn Leute aus den Bereichen Entwicklung, Kommunikation und Design legen genau fest, wie die streng geheimen Prototypen optisch zu verunstalten sind. Wichtig: das Tarnkleid soll auf den Erprobungsfahrten die Aerodynamik, Kühlung, Geräuschentwicklung oder Korrosion möglichst nicht einschränken.

Wie bei jedem anderen Bauteil auch, können sich die BMW-Tarner in einem Regal mit allen notwendigen Tarnelementen bedienen.
Foto: Werk

Einen Tag Arbeit

Die Folien auf den Autos aufzubringen ist eine Wissenschaft für sich. «Zwei Personen brauchen etwa einen Tag für eine Maximaltarnung mit Folie und aufgeschraubten Verschalungen», verrät BMWs Tarnexperte Thomas Nock. Eben wird die Schulterlinie des an sich weissen 3er-Prototyps mit drei Millimeter dicken ABS-Kunststoffteilen verbastelt. «Pro Auto sind es rund 20 Elemente», erklärt Nock. Details wie Türgriffe, Aussenspiegel und vor allem die Leuchten werden besonders liebevoll abgeklebt oder mit Modulen unkenntlich gemacht.

Warenlager

Jovica Petrovic hat eben die hinteren Seitenscheiben mit einer Lochfolie abgedeckt und schnipselt gerade die Tarnfolie rund um den hinteren Türgriff. An der Wand vor dem Prototypen steht ein grosses Regal, in dem sich die Tarn-Techniker bei der Verplankung des Testwagens bedienen. «Die Kunststoffschalen machen das Auto nur rund zehn Kilo schwerer und beeinträchtigen die Fahrtests so nur minimal», weiss Nock.

Jovica Petrovic klebt gerade die Seitenscheibe eines 3er-Prototypen ab.
Foto: Werk

Dunkelkabinett

Doch mit dem Verkleiden von Türen, Hauben, Klappen und Griffen ist es längst nicht getan. Auch der Innenraum muss natürlich getarnt werden. «Dieser wird komplett mit schwarzen Matten abgedeckt, damit auch hier nichts zu erkennen ist», erklärt Spezialist Nock. Während den Erprobungsfahrten werden die Matten grösstenteils abgenommen, damit die Testingenieure auf ihren Fahrten wichtige Anzeigen und Bedienelemente nutzen können. Wird der Wagen aber irgendwo ausserhalb des Werksgeländes abgestellt, wird der gesamte Innenraum mit Matten abgedeckt. «Mittlerweile gehts noch weiter», ergänzt Nock, «weil das Fahrzeug bei einigen Modellen ja auch auf Displays im Innenraum oder dem Schlüssel zu erkennen ist, müssen wir auch dies kaschieren.»

Weltweit im Einsatz dank «Tarnkappentechnik»

Das BMW-Tarnteam hat anstrengende Wochen hinter sich. Alle der knapp 300 3er-Prototypen durchliefen die geheime Werkstatt, bevor es hinaus in die weite Testwelt ging. Einige drehen derzeit schnelle Runden auf dem Nürburgring, andere sind bei Hitze- bzw. Kältetests in Kalifornien und am Polarkreis unterwegs, oder spulen auf einem der BMW-Prüfgelände Testkilometer ab. Bis zur offiziellen Ankündigung des neuen Modells wird die Tarnung dann schrittweise zurückgefahren, damit die Entwickler laufend weniger Verfälschung der Fahrdaten haben. Vom neuen 3er-BMW ist derzeit aber noch nicht viel zu erkennen – der Tarnwerkstatt sei Dank.

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