Foto: Imago

Zwölf Geschichten zum berühmtesten Weihnachtslied, das am Montag 200 Jahre alt wird
«Stille Nacht! Heilige Nacht!»

Mitten in einer Zeit von Hunger und Not hat das Lied «Stille Nacht! Heilige Nacht!» den Menschen in Europa Trost gespendet. Es wurde vor genau 200 Jahren das erste Mal in Österreich gesungen. Im Nu hatte es die Welt erobert.
Publiziert: 19.12.2018 um 17:31 Uhr
|
Aktualisiert: 21.12.2018 um 13:34 Uhr
1/8
Die Stille-Nacht-Gedächtniskapelle in Oberndorf bei Salzburg. Sie wurde anstelle der abgerissenen St.-Nikola-Kirche gebaut, in der das Lied zum ersten Mal erklang. Hier soll Mohrs Schädel eingemauert sein.
Foto: Imago
Guido Felder

1. Trost in Zeiten der Not

Diese Weihnacht sind es genau 200 Jahre her, seit das Friedenslied «Stille Nacht! Heilige Nacht!» in der Kirche von Oberndorf im Salzburger Land das erste Mal erklang. Es war die Zeit nach den verheerenden Feldzügen des französischen Kaisers Napoleon Bonaparte (1769–1821), zudem führten Ernteausfälle im Jahr 1816 zu Hunger und noch mehr Not in Europa. Die Menschen waren verschuldet, viele suchten Trost und Hilfe in ihrem Glauben zu Gott.

2. Ein Express-Werk

Am 24. Dezember 1818 überreichte der damals 26-jährige Oberndorfer Hilfspriester Joseph Mohr (1792–1848) sein Gedicht «Stille Nacht! Heilige Nacht!», das er zwei Jahre zuvor geschrieben hatte, seinem 31-jährigen Freund Franz Xaver Gruber (1787–1863) mit der Bitte, es noch gleichentags für den Heiligabend-Gottesdienst in der St.-Nikola-Kirche zu vertonen. Der Organist und Dorflehrer aus dem benachbarten Arnsdorf schrieb eine einfache, eingängige Melodie über den Text. Am Abend wurde das Lied in Oberndorf uraufgeführt, Mohr und Gruber sangen die beiden Stimmen. Gruber, der das Lied später als «Gelegenheitskomposition» bezeichnete, sagte damals über jenen Gottesdienst: «Die Ergriffenheit derer, die an der Messe teilgenommen haben, war eine echte.»

3. Maus knabberte Orgel an

Das Lied ist für zwei Solostimmen und Chor mit Gitarrenbegleitung geschrieben, obwohl die Gitarre zu jener Zeit ein weltliches Instrument war und in der Kirche nichts verloren hatte. Laut Überlieferung hatte eine Maus den Blasebalg der Orgel angeknabbert, worauf das königliche Instrument nicht mehr bespielbar war. Die Wahrheit: Die Maus ist eine Mär. Die Orgel war bespielbar, jedoch reparaturbedürftig. Möglicherweise entschieden sich die Autoren aber auch für die Gitarre, weil sie das Lied erst nach dem Gottesdienst an der Krippe singen wollten.

4. Mohrs Schädel eingemauert

Mohrs Leichnam liegt im österreichischen Wagrain, allerdings ohne Kopf. 1912 benötigte Bildhauer und Pfarrer Joseph Mühlbacher (1868–1933) Mohrs Schädel, um ein Denkmal anfertigen zu können. Mohr hatte sich stets gegen ein Porträt gewehrt, sodass es kein Bildnis von ihm gab. Der Schädel wurde, so vermutet man, später in die Stille-Nacht-Gedächtniskapelle eingemauert, die 1936 anstelle der abgerissenen St.-Nikola-Kirche erbaut wurde. In deren Nähe steht das Relief des Schädels, das wegen der damaligen einfachen Techniken vermutlich nicht viel mit dem Original zu tun hat.

5. Nur die Hälfte gesungen

Uns sind nur drei Strophen bekannt, obwohl Joseph Mohr deren sechs verfasst hatte. Wir singen die erste, die zweite und die sechste Strophe. Mohr verfasste den Text in einfacher Sprache, um den Trost des Weihnachtsfestes leicht verständlich an die Menschen zu bringen.

Die sechs Original-Strophen

Stille Nacht! Heilige Nacht!
Alles schläft, einsam wacht
Nur das traute hochheilige Paar.
Holder Knabe im lockigen Haar,
Schlaf in himmlischer Ruh!
Schlaf in himmlischer Ruh!

Stille Nacht! Heilige Nacht!
Gottes Sohn, o wie lacht
Lieb aus deinem göttlichen Mund,
Da uns schlägt die rettende Stund'.
Christ, in deiner Geburt!
Christ, in deiner Geburt!

Stille Nacht! Heilige Nacht!
Die der Welt Heil gebracht,
Aus des Himmels goldenen Höh'n
Uns der Gnaden Fülle lässt seh'n
Jesus, in Menschengestalt,
Jesus, in Menschengestalt.

Stille Nacht! Heilige Nacht!
Wo sich heute alle Macht
Väterlicher Liebe ergoss
Und als Bruder huldvoll umschloss.
Jesus, die Völker der Welt,
Jesus, die Völker der Welt.

Stille Nacht! Heilige Nacht!
Lange schon uns bedacht,
Als der Herr vom Grimme befreit,
In der Väter urgrauer Zeit
Aller Welt Schonung verhiess,
Aller Welt Schonung verhiess.

Stille Nacht! Heilige Nacht!
Hirten erst kundgemacht
Durch den Engel Halleluja,
Tönt es laut von ferne und nah:
Christus, der Retter ist da!
Christus, der Retter ist da!

Stille Nacht! Heilige Nacht!
Alles schläft, einsam wacht
Nur das traute hochheilige Paar.
Holder Knabe im lockigen Haar,
Schlaf in himmlischer Ruh!
Schlaf in himmlischer Ruh!

Stille Nacht! Heilige Nacht!
Gottes Sohn, o wie lacht
Lieb aus deinem göttlichen Mund,
Da uns schlägt die rettende Stund'.
Christ, in deiner Geburt!
Christ, in deiner Geburt!

Stille Nacht! Heilige Nacht!
Die der Welt Heil gebracht,
Aus des Himmels goldenen Höh'n
Uns der Gnaden Fülle lässt seh'n
Jesus, in Menschengestalt,
Jesus, in Menschengestalt.

Stille Nacht! Heilige Nacht!
Wo sich heute alle Macht
Väterlicher Liebe ergoss
Und als Bruder huldvoll umschloss.
Jesus, die Völker der Welt,
Jesus, die Völker der Welt.

Stille Nacht! Heilige Nacht!
Lange schon uns bedacht,
Als der Herr vom Grimme befreit,
In der Väter urgrauer Zeit
Aller Welt Schonung verhiess,
Aller Welt Schonung verhiess.

Stille Nacht! Heilige Nacht!
Hirten erst kundgemacht
Durch den Engel Halleluja,
Tönt es laut von ferne und nah:
Christus, der Retter ist da!
Christus, der Retter ist da!

6. Lebensgefährliches Lied

«Stille Nacht! Heilige Nacht!» darf nur in der Heiligen Nacht gesungen werden. Das ist im alpenländischen Raum so Sitte. In Bayern wird den Kindern sogar die Sage erzählt, dass ein Mensch stirbt, wenn man das Lied an einem andern Tag anstimmt.

7. Wunder an der Kriegsfront

Rund fünf Monate nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 ereignete sich an der Westfront, an der schon über eine Million Soldaten gefallen oder verwundet worden waren, ein Wunder. Am 24. Dezember schmückten Soldaten den oberen Rand der Schützengräben mit beleuchteten Christbäumen. Auf beiden Seiten der Front in Flandern legten die deutschen und englischen Kämpfer ihre Waffen und Helme ab und sangen «Stille Nacht!» sowie andere Weihnachtslieder.

8. Unesco-Weltkulturerbe

Mit der Aufnahme des Lieds ins Unesco-Weltkulturerbe wird «Stille Nacht» unsterblich. Für die Unesco repräsentiert es die Art, wie das Weihnachtsfest gefeiert werde. Es thematisiere den Wunsch der Menschen nach allumfassendem Frieden, es vermittle ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und fördere den zwischenmenschlichen Austausch und das gegenseitige Verständnis.

9. Das Geheimnis der Melodie

Das Lied eroberte sofort die Herzen der Menschen. Musikanalytiker führen den Erfolg auf den wiegenden Sechs-Achtel-Takt, die selig machenden Terzen sowie auf die schlichte Abfolge von Tonika, Dominante und Subdominante zurück.

10. In über 350 Sprachen

Gegen 2,5 Milliarden Christen singen das Lied an Heiligabend in über 350 Sprachen und Dialekten. Die Inuit in der Arktis etwa singen «Jutdlime Kimsugtut», die Einwohner von Papua Neuguinea «Gutpela nait, ho-oli nait» und im brasilianischen Urwald erklingt «Akamot met, Akamot met».

11. Auf der ganzen Welt

Ein Orgelbauer nahm «Stille Nacht» mit nach Tirol. Dort erklang es im Schloss eines Grafen bei einem Volksliederabend vor Kaiser Franz I. und dem russischen Zaren Alexander I. Das Lied gefiel. Tiroler Sängerfamilien wie die Geschwister Strasser und die Rainer Family verbreiteten die Melodie auch international. 

12. Jubiläumsjahr ohne Papst

Ausstellungen, Theatervorführungen, Bücher: Vor allem in Salzburg und Umgebung wird an das Jubiläum erinnert. In der Salzburger Felsenreitschule wurde ein Musical inszeniert. In Lamprechtshausen wurde ein Stück über die alleinerziehende Mutter Joseph Mohrs im November uraufgeführt. Das bayerische Burghausen rief zu einem Orgel-Kompositionswettbewerb auf. Bis ins neue Jahr läuft zudem noch ein Song-Contest, für den junge Erwachsene ein Lied mit Friedensbotschaft produzieren können. Sonderpostämter versehen die Weihnachtspost mit Sonderstempeln. Ein vom Land Salzburg erhoffter Besuch von Papst Franziskus liess sich allerdings nicht realisieren.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?