Zwei Premiers im Paradies
Südsee-Staat Samoa versinkt im politischen Chaos

Auch die Südsee besteht nicht nur aus Sandstränden und eitel Sonnenschein. Der Inselstaat Samoa macht normalerweise nur deshalb alle zwölf Monate Schlagzeilen, weil er dank Zeitverschiebung als erstes Land der Welt Silvester feiert.
Publiziert: 27.05.2021 um 10:32 Uhr
ARCHIV - Fiame Naomi Mata'afa, Samoas gewählte Premierministerin, spricht mit Reportern vor dem Parlamentsgebäude. (zu dpa "Zwei Premiers im Paradies: Südsee-Staat Samoa im politischen Chaos") Foto: Anetone Sagaga/Samoa Observer/AP/dpa
Foto: Anetone Sagaga

Derzeit aber versinkt das polynesische Paradies - vermeintlich seit Jahrzehnten eine stabile Demokratie - im Chaos. Auslöser war die Parlamentswahl vom 9. April, die überraschend die gerade erst gegründete Partei FAST von Oppositionsführerin Fiame Naomi Mata'afa mit knapper Mehrheit gewann. Die Krux an der Sache: Langzeit-Premier Tuilaepa Sailele Malielegaoi, seit 23 Jahren an der Macht, will partout nicht weichen.

So kam es zu allerlei Machtspielen und Mauscheleien, die darin gipfelten, dass Malielegaoi (76) seine Widersacherin am vergangenen Montag - dem Tag ihrer geplanten Vereidigung - kurzerhand aus dem Parlament aussperrte. Die 64-Jährige, eine alte Häsin auf der politischen Bühne Samoas, liess sich nicht beirren: Sie wurde schliesslich in einem grossen Zelt im Garten vor dem Parlamentsgebäude unter dem Applaus ihrer Parteikollegen eingeschworen. Legitimität erhielt die Zeremonie durch die Anwesenheit hochrangiger Juristen, amtierender Kirchenführer und früherer Spitzenpolitiker.

«Der 24. Mai 2021 wird als eine Geschichte alternativer Realitäten in die Historie eingehen», kommentierte die Zeitung «Samoa Observer». Das Land sei nun «in der hässlichen Position», dass zwei Parteien die Macht für sich beanspruchten. Und derjenige, auf den in solchen Zeiten alle blicken und der Klarheit schaffen könnte, hat sich vom Acker gemacht: Staatspräsident Tuimalealiifano Vaaletoa Sualauvi II. ist seit der Open-Air-Amtseinführung vom politischen Parkett in der Hauptstadt Apia verschwunden. «Wo ist unser Staatsoberhaupt?», fragen sich die Gazetten des Archipels.

Mehr als 200 000 Menschen leben in dem zwischen Neuseeland und Hawaii gelegenen Pazifikstaat. Samoa, das sind ein paar winzige Tupfer auf der Weltkarte. Die Inseln waren Anfang des 20. Jahrhunderts für einige Jahre deutsche Kolonie - bis Neuseeland Deutsch-Samoa 1914 besetzte und unter Militärverwaltung stellte. Seit 1962 ist die Rugby-verrückte Nation unabhängig. Fast alle Einwohner sind Christen, und Religion spielt im Paradies eine wichtige Rolle.

Das mag wohl auch den ewigen Regierungschef Malielegaoi nach der Wahlpleite zu den Worten verleitet haben, er sei von Gott in dieses Amt berufen worden. Die Justiz habe nicht das Recht, darüber zu bestimmen, ob er weiter Premierminister sei. Seinen Gegnern riet er: «Sie sollten in die Kirche gehen und beten, statt vor den Gerichtsgebäuden zu demonstrieren.» Wahlsiegerin Mata'afa entgegnete in einem Interview knapp: «Ich glaube, er hat den Durchblick verloren.»

Der Hintergrund: Mata'afa hat sich mit ihrer FAST-Partei 26 der 51 Parlamentssitze gesichert. Sie ist damit die erste Frau auf Samoa und erst die zweite in der männerdominierten Pazifikregion (nach Hilda Heine von den Marshallinseln), die an der Spitze einer Regierung steht. Das alleine sei schon ein «politisches Beben» gewesen, nachdem die «Partei zum Schutz der Menschenrechte» (HRPP) fast 40 Jahre lang ununterbrochen an der Macht war, befand Kerryn Baker, Pazifikexpertin der Australischen National-Universität in Canberra (ANU). «Es ist klar, dass die Demokratie auf Samoa eine grundlegende Veränderung durchläuft», schrieb sie in einer Analyse.

Der geschockte Premier Malielegaoi zauberte kurz entschlossen einen neuen Parlamentssitz aus dem Ärmel, der seiner eigenen Partei HRPP zugerechnet wurde. Somit stand es 26 zu 26. Staatspräsident Sualauvi setzte daraufhin eine Neuwahl für den 21. Mai an. Jedoch erklärte der Oberste Gerichtshof diese wenige Tage vor dem geplanten Termin für nichtig, ernannte Mata'afa zur Wahlsiegerin und ordnete an, dass das Parlament am 24. Mai zusammenkommen solle, um sie einzuschwören.

Als die Politikerin nach den wochenlangen Querelen auch noch vom Parlamentsgebäude ausgesperrt wurde, stiegen sogar weltberühmte Blätter wie die «New York Times», «The Guardian» und «Le Monde» auf die Verfassungskrise in Polynesien ein. Die «Washington Post» sprach von «bizarren Szenen». Und der «New Zealand Herald», der die Situation mit besonderem Interesse verfolgt, forderte die USA und die EU auf, die demokratisch gewählte Regierung offen zu unterstützen.

Sonst drohe eine illegitime Machtübernahme Malielegaois ohne Rücksicht auf Verluste. Und dann würde wohl auch Samoa, das sich unter der bisherigen Regierung nach China orientiert hatte, zu einem autokratisch geführten Staat. Einen Militärputsch - im Nachbarland Fidschi schon fast an der Tagesordnung - kann es aber nicht geben: Samoa hat keine Armee. Und die Polizei hat sich bislang noch immer an die Entscheidungen der Justiz gehalten.

(SDA)

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