Zwei Jahre nach dem Terror in Nizza
«Liebe Cristina, ich werde immer ein guter Vater sein»

Der Waadtländer Sylvain Solioz (36) reiste nach Nizza, wo vor zwei Jahren seine Frau und eine Tochter dem Lastwagen-Attentat zum Opfer fielen.
Publiziert: 14.07.2018 um 00:27 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 17:41 Uhr
Guido Felder

Heute vor zwei Jahren hat sich das Leben von Sylvain Solioz (36) aus Yverdon VD schlagartig und komplett verändert. Beim Lastwagen-Attentat von Nizza (F) verlor er seine geliebte Partnerin Cristina (†31) und seine geliebte älteste Tochter Kayla (†6). Er sowie seine beiden kleineren Töchter Djulia (heute 6) und Kiméa (heute 2) mussten die Tragödie aus nächster Nähe mitansehen.

Am 14. Juli 2016, dem französischen Nationalfeiertag, spazierte die Familie die berühmte Promenade des Anglais entlang in Richtung jener Stelle, wo um 23 Uhr das Feuerwerk gezündet werden sollte. Die fünf hatten Ferien in Südfrankreich gebucht – gegen den Willen von Sylvain Solioz, der lieber nach Spanien geflogen wäre. Solioz: «Aber Cristina liess sich nicht umstimmen.»

Plötzlich hörten sie hinter sich einen fürchterlichen Knall. Solioz: «Ich drehte mich um und sah den weissen Lastwagen, der im Zickzack fuhr und auf uns zuraste.» Zum Ausweichen war es zu spät. Seine Frau starb noch vor Ort, Tochter Kayla im Spital.

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Sylvain Solioz (36) aus Yverdon VD mit Tochter Kiména an der Promenade des Anglais in Nizza an der Stelle, wo seine Parterin Cristina †31) und seine älteste Tochter Kayla (†6) starben.
Foto: Benjamin Geminel

Heute Samstag gedenkt die Stadt Nizza der Opfer, sie hat dazu die Hinterbliebenen zu verschiedenen Gedenkfeiern eingeladen. Schon gestern hat Sylvain Solioz bei der Gedenkstätte im Garten des Museums Masséna, gleich neben dem Luxushotel Negresco, mit seiner kleinsten Tochter Kiméa Blumen niedergelegt. Hier erinnern Bilder der Verstorbenen an die Tragödie. 

Seit dem Anschlag hat sich Solioz’ Leben komplett verändert. «Ich bin Vollzeit-Papa. Ich bringe die Kinder zur Schule, hole sie ab, spiele und spaziere mit ihnen, putze, wasche – alles.» Noch immer weckten ihn nachts Albträume. «Ich sehe Cristina und Kayla am Boden liegen. Ich hebe im Traum sogar meinen Arm, um sie wiederzubeleben.»

«Ich weiss nun, was leben heisst»

Auch Djulia, die damals vier Jahre alt war, plagen schlimme Träume. «Sie redet nicht viel darüber. Manchmal fragt sie mich, warum die anderen Kinder in der Schule sowohl einen Vater als auch eine Mutter hätten.» Sie wird psychologisch betreut. 

Die Tragödie hat in Sylvain Solioz aber auch etwas ganz anderes bewirkt. «Ich weiss nun, was leben heisst», sagt er nachdenklich. Er hat nie etwas Richtiges gelernt, nur gerade die obligatorische Schule abgeschlossen. «Ich habe früher viel getrunken und ebenso viel gekifft», sagt er. Der 14. Juli 2016 habe viel verändert. «Ich weiss nun, wie schlecht es ist, wenn man zu viel trinkt und raucht.» Sein Leben bestreitet er mit einer IV-Rente und mit Waisenrenten. 

Cristina war mit ihrer Familie 1998 von Brasilien in die Schweiz eingewandert. Sie und Sylvain, die nicht verheiratet waren, hatten grosse Träume. Als Coiffeuse sparte sie für einen eigenen Salon. «Wir redeten auch davon, später einmal nach Brasilien zu ziehen», sagt Sylvain Solioz.

Keine neue Liebe in Sylvains Leben

Eine neue Liebe gebe es in seinem Leben nicht. Solioz: «Dazu bin ich noch nicht bereit.» Am Hals hat er sich die beiden Namen, am Oberarm als Erinnerung an Kayla einen Engel stechen lassen. Der andere Oberarm ist für Cristina reserviert: Hier könnte es einen Anker geben, ein Zeichen für Halt und Verbundenheit. 

Um den Hals trägt der ehemalige Atheist ein Kettchen mit Kreuz. «Mir ist bewusst geworden, dass es eine höhere Macht geben muss.» Und mit dem Blick zum Himmel gerichtet sagt Sylvain leise: «Liebe Cristina, ich verspreche dir, dass ich immer ein guter Vater für deine und meine Kinder sein werde. Ich liebe euch beide immer noch so sehr, als ob ihr hier wärt.»

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