Der chinesische Wissenschaftler He Jiankui (34) hat mit der Gen-Schere gewütet. Unter seiner Führung kamen die weltweit ersten genmanipulierten Babys zur Welt. Das behauptet der Molekular-Biologe jedenfalls selber.
Martin Jinek (39), der an der Entwicklung der «Gen-Schere» (sog. Crispr/Cas9-Verfahren) beteiligt war und heute an der Universität Zürich forscht, verurteilt das Vorgehen seines chinesischen Kollegen scharf. Der Grund: Menschliche Embryos sind für derartige Experimente eigentlich tabu.
Immun gegen Aids?
Mit dem seit 2012 angewandten Crispr/Cas9-Verfahren lässt sich das Erbgut von Lebewesen programmieren. Gene können damit verändert, an- oder ausgeschaltet und durch fremde Bestandteile ergänzt oder ersetzt werden. Jinek bezeichnet eine Anwendung dieser Technologie an Embryos als «äusserst unverantwortlich».
Forscher He verteidigte seine Gen-Babys gestern an einem Genomforscher-Kongress in Hongkong. Die Identität der Lulu und Nana genannten Mädchen ist geheim. Ziel der Veränderung ihres Erbguts war dem Wissenschaftler zufolge, die Babys immun gegen Aids zu machen.
Für die Versuche habe er acht gesunde Frauen dazu gebracht, mit ihren HIV-infizierten Männern Kinder zu zeugen. Am Ende habe eines der Paare tatsächlich Zwillinge bekommen. «Auf diesen speziellen Fall bin ich wirklich stolz», sagte He im vollbesetzten Saal.
Eine weitere Frau ist schwanger
Dann setzte der chinesische Wissenschaftler noch einen drauf: Im Rahmen der Experimente sei noch eine zweite Frau schwanger geworden. Die Schwangerschaft sei jedoch noch in einem frühen Stadium und man müsse sehen, ob sie fortdauere.
Forscher He sah sich am Kongress auch heftiger Kritik ausgesetzt. Er verteidigte sich damit, dass die Wissenschaft mehr tun müsse, um Menschen mit Krankheiten zu helfen.
Der Chinese habe mit der genetischen Manipulation von Embryos eine rote Linie überschritten, so der Tenor der Gen-Schere-Entdecker. Der Zürcher Forscher Jinek, der mit Erfinderin Jennifer Doudna zusammengearbeitet hat, sagt zu BLICK: «Das Vorgehen widerspricht dem Konsens in der Forschungsgemeinschaft.»
Unvorhergesehene Langzeitfolgen in zehn bis 20 Jahren
Eine wissenschaftliche Publikation über das Projekt gibt es nicht. Dass He blufft, ist laut Jinek jedoch unwahrscheinlich. «Wenn ich sehe, was der chinesische Wissenschaftler präsentiert hat, erscheint mir die Geschichte glaubwürdig.»
Immerhin sei es ein gutes Zeichen, dass die Zwillinge gesund zur Welt gekommen sind. Jinek: «Trotzdem könnten in zehn bis 20 Jahren unvorhergesehene Langzeitfolgen auftreten.»
Dass mit der Gen-Schere demnächst schon so etwas wie Supermenschen gezüchtet werden, glaubt Jinek nicht. Bereits die Veränderung der Körpergrösse oder der Augenfarbe erfordere eine gleichzeitige Anpassung verschiedener Gene. «Wir verstehen die genetische Grundlage für diese Eigenschaften immer noch nicht vollständig», sagt der Wissenschaftler.